Berlin. Der Corona-Impfgipfel von Bund und Ländern hat bestätigt: Es wird knapp bleiben. Die Erwartungen sind größer als die Möglichkeiten.

Natürlich sind viele Ministerpräsidenten frustriert. Ihre Länder haben Impfstraßen fristgerecht aufgestellt und in Betrieb genommen. Sie haben politisch „geliefert“. Allein, der Impfstoff fehlt. Ein Rädchen greift nicht ins nächste. Der Impfgipfel am Montag war ein Akt der Selbstvergewisserung. Frage: Wo stehen wir? Antwort: In der Warteschlange.

Das Versprechen, jedem bis zum Ende des Sommers ein Angebot zu machen, liegt nur bedingt in der Macht der Bundesregierung. Die ist wie alle anderen EU-Partner abhängig von den Herstellern, und die wiederum von Produktionsprozessen und Lieferketten. Es wird knapp bleiben. Die Erwartungen sind größer als die Möglichkeiten. Man hätte sich schon viel früher gemeinsam ehrlich machen sollen.

Corona-Impfkampagne: Man muss mit der Enttäuschung umgehen können

Jeder konnte sich ausrechnen, dass die Pharmabranche nicht binnen weniger Monate Vakzine für 450 Millionen Europäer liefern kann. Woher sollten die Kapazitäten kommen?

Gemeinsam als Europäischen Union zu ordern, war eine Entscheidung für ein gesittetes Neben- und Nacheinander bei der Verteilung. Es war klar, dass jeder Produktionsengpass zu einem Rückstoß führen würde, der im Impfzentrum – am Ende der Kette – Enttäuschung verursacht. Damit muss man umgehen können. Das ist eine Frage der Geduld und des Realitätssinns.

Israel ist bei Corona-Impfung das Versuchsfeld der Welt

Die Europäer haben genug bestellt. Sie hätten handlungsschneller sein können. Drei Staaten sind – unter vergleichbaren Maßstäben der Zulassung – der Europäischen Union voraus: Israel, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Israel hat neun Millionen Einwohner. In Deutschland wäre es nicht mal unter den drei größten Bundesländern. Wenn Israel leer ausgegangen wäre und seine drei Millionen Dosen in Europa geblieben wären, hätte sich die Versorgungslage in 27 EU-Staaten nicht entscheidend verbessert. Die Impfzentren zwischen Flensburg und Berchtesgaden wären nicht ausgelastet.

Miguel Sanches kommentiert.
Miguel Sanches kommentiert. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ganz abgesehen davon, dass Israel das Versuchsfeld für den Rest der Welt ist: Wenn es zu unerwünschten Nebenwirkungen gekommen wäre, dann wären die Israelis die ersten Leidtragenden gewesen. Das wird schnell vergessen, weil die Impfung gegen Covid-19 bisher eine Erfolgsgeschichte ist.

Großbritannien war schneller und hat schon neun Millionen Erstimpfungen durchgeführt. Einen wirklich durchschlagend besseren Ansatz haben die Vereinigten Staaten gewählt. Sie haben sich früh um die Impfungen gekümmert und sich nicht mit der Frage aufgehalten, welches Unternehmen das Rennen macht. Sie haben bei allen Entwicklern gewaltige Mengen bestellt und staatlich sichergestellt, dass eine Produktionsbasis da ist. Sie hätten viel Geld verloren, wenn nie eine Impfung gelungen wäre. Sie haben Wagniskapital investiert. Sie haben geklotzt, nicht gekleckert.

Deutsche Politiker ohne Kreativität, Fantasie und Mut zum Risiko

Dagegen waren unsere Politiker Verwalter des Status quo. Kein unkonventioneller Ansatz, keine Kreativität, keine Fantasie, kein Tempo, kein Mut zum Risiko. Nur an Schuldzuweisungen mangelt es hierzulande nicht. Dabei sollte jeder vor der eigenen Tür kehren. Wenn die Terminvergabe nicht allerorts reibungslos klappt, liegt es nicht zwingend am Bund oder an Europa. Lesen Sie auch: Söder rechnet mit Corona-Gipfel in der kommenden Woche

EU-Kommission, Bund und Länder sitzen in einem Boot. Der Impfgipfel vom Montag kam mindestens ein halbes Jahr zu spät. Das ist ein Vorwurf, den sie sich kollektiv selbst machen müssen. Jetzt arbeiten sie sich an der Frage ab, wer wann dran kommt und wo ein paar Millionen Dosen mehr vielleicht ein paar Wochen früher zu holen sind. Sie sind Verwalter des Mangels. Obwohl das wahr ist, müssen wir den Zustand des Dauerklagens überwinden.