Berlin. Der Verfassungsschutz will die AfD künftig „beobachten“. Für die Rechtspopulisten ein Imageschaden, gerade im Superwahljahr 2021.
- Der Verfassungsschutz hat die Alternative für Deutschland (AfD) als „Verdachtsfall“ eingestuft
- Künftig darf der Inlandsgeheimdienst nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, um die AfD auf ihre Verfassungstreue zu prüfen
- Was die Beobachtung für die Partei im Superwahljahr 2021 bedeutet, erklärt der Überblick
Der Verdacht wiegt schwer, aber er ist aus der Sicht des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz begründet. Der Inlandsgeheimdienst stuft die AfD als „Verdachtsfall“ ein und will sie „beobachten“. Die wichtigsten Fragen.
AfD wird „Verdachtsfall“: Warum gerade jetzt?
Seit über zwei Jahren prüft das Kölner Bundesamt die Rechtspopulisten auf allen Ebenen, vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen. Er hat so lange Material gesammelt, bis sich der Verdacht erhärtet hat, dass die AfD verfassungsfeindlich sein könnte. So stellt es der Inlandsgeheimdienst dar, der genau weiß, dass er sich keinen Fehler erlauben darf, weil er vor Gericht bestehen muss.
Nach über zwei Jahren hatte die AfD allmählich einen Anspruch auf ein Ende des Fegefeuers, auf eine Entscheidung, auf klare Verhältnisse. Viel mehr Zeit konnte sich das Amt nicht lassen. Denn: Je näher die Bundestagswahl rückt, desto stärker wird das Timing politisch anrüchig.
Lesen Sie auch: Rundfunkbeitrag: Warum die AfD in Sachsen-Anhalt triumphieren könnte
Wie fällt die Reaktion der AfD aus?
Erwartbar: Die Partei will klagen. Das sagte Fraktionschefin Alice Weidel am Mittwoch. Weidel warf dem Verfassungsschutz vor, „rein politisch“ zu agieren. „Das ist angesichts der bevorstehenden Wahlen in Land und Bund in diesem Jahr besonders bemerkenswert.“ Sie sei sicher, dass diese Einstufung der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werde.
Schon im Januar, als die Beobachtung sich abzeichnete, hatte die Partei sich ans Verwaltungsgericht Köln gewandt: Sie wollte der Behörde sowohl die Einstufung als Verdachtsfall als auch die Bekanntgabe dieser Einstufung verbieten lassen. Das Bundesamt gab damals eine sogenannte Stillhaltezusage ab, in der es versicherte, bis zu einer Eilentscheidung vor Gericht keine Abgeordneten, Kandidatinnen und Kandidaten der Partei nachrichtendienstlich zu überwachen.
Außerdem sagte der Verfassungsschutz zu, während der Dauer des Verfahrens nicht öffentlich bekanntzumachen, ob es die AfD als Verdachtsfall oder gesichert extremistische Bestrebung einstuft.
Diese Zusagen sieht die AfD jetzt verletzt: Es sei „offensichtlich und ein Skandal”, dass sich das Bundesamt daran nicht gehalten habe, teilten die Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla mit. Der Vorgang drohe der AfD in einem Superwahljahr massiv zu schaden.
Beobachtung durch Verfassungsschutz: Was muss die Partei befürchten?
Dass sich Anhänger und Mitglieder abwenden, insbesondere die Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten und von denen ein besonderes Treuverhältnis zu Staat und Verfassung erwartet wird. Die Stigmatisierung ist ein Handicap. Auch bei den anstehenden Landtagswahlen könnte die Einstufung die Partei empfindlich treffen.
Hinzu kommt: Es gibt eine Steigerung vom „Verdachtsfall“. In der nächsten Stufe kann der Verfassungsschutz die AfD für erwiesen verfassungsfeindlich erklären. Ein noch härterer Befund.
Der Druck auf die Partei bleibt deshalb riesig. Die Folgen werden erstens ein weiterer Richtungsstreit und zweitens mehr Misstrauen in den Gremien sein, weil die AfD ab jetzt damit rechnen muss, dass V-Leute in ihren Reihen geführt werden oder einzelne Mitglieder abgehört werden. Bisher nutzte der Verfassungsschutz nur offene Quellen, künftig kann er auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Das ist die neue Qualität. Allerdings müssen die Maßnahmen verhältnismäßig sein. Abhöraktionen etwa müssen von der G-10-Kommission des Bundestages genehmigt werden. Die rechtsstaatlichen Hürden sind hoch.
Womit wird die härtere Gangart begründet?
Der Geheimdienst muss „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine „verfassungsfeindliche Ausrichtung“ vorlegen können. Erstens Verstöße in Programmatik und Praxis gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip. Da rächt sich, dass die AfD-Bundestagsfraktion im November Coronaleugner als „Gäste“ eingeladen hat, die am Rande der Debatte zum Infektionsschutzgesetz Abgeordnete bedrängt haben.
Zweitens muss klar sein, dass es nicht um Einzelstimmen geht. Deswegen hat das Kölner Bundesamt den letzten AfD-Bundesparteitag Ende 2020 in Kalkar abgewartet. Dort bestätigte sich der Eindruck, dass der radikale „Flügel“ um Björn Höcke fast die Hälfte der Anhänger hinter sich bringen kann und einen prägenden Einfluss auf die Gesamtpartei ausübt. Und das obwohl der „Flügel“ sich offiziell längst aufgelöst hat. Mehr dazu: AfD-Parteitag in Kalkar: Die Selbstzerfleischung einer Partei
Drittens, eine Belastung sind auch die Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen, etwa zur Identitäten Bewegung, dem Magazin „Compact“ oder zu Reichsbürgern. Die AfD hat rund 35.000 Mitglieder. Etwa 7.000 werden dem „Flügel“ zugerechnet, weitere 1.600 der Jugendorganisation „JA“, die längst ein „Verdachtsfall“ ist.
Beobachtung der AfD: Ist der Geheimdienst in seiner Entscheidung frei?
Das Amt und sein Präsident Thomas Haldenwang sind unabhängig. Der Dienstherr, Innenminister Horst Seehofer (CSU), darf ihn nicht anweisen, gegen eine Partei vorzugehen. Aber Haldenwang operiert nicht im politikfreien Raum. Er stimmt sich mit den Landesverfassungsschutzämtern ab.
Im Dezember referierte er vor den Innenministern von Bund und Ländern den Stand der Dinge in der „Causa AfD“. Und insbesondere aus Ost-Deutschland (wo der „Flügel“ eine Hausmacht hat) und aus Bayern waren die politischen Signale seit Monaten eindeutig: für eine härtere Gangart.
Auch interessant: SPD-Chefin Saskia Esken: Verfassungsschutz soll AfD stärker beobachten