Köln/Bochum.. Eine Studie aus Köln und Bochum zeigt: Der Glaube an Verschwörungen steigt dort, wo Nutzer andere als die klassischen Informationskanäle nutzen.
Ein Viertel aller Menschen in Deutschland geht davon aus, dass Politik und Medien "unter einer Decke stecken". Das zeigt eine Studie das Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und der Ruhruniversität Bochum (RUB) zum Medienverhalten in Zeiten der Corona-Pandemie. Laut der Umfrage denken 23 Prozent der Befragten, dass es geheime Organisationen gibt, die großen Einfluss auf Entscheidungen der Politik ausüben.
Im Auftrag der Essener Brost-Stiftung hatten die IW-Forscher gemeinsam mit Soziologen der Ruhruni im August 2020 rund 1100 Menschen bundesweit zu ihrer Mediennutzung und zu ihrer Bewertung der Glaubwürdigkeit von Medien befragt - und inwieweit sie Verschwörungserzählungen anhängen.
In Deutschland wächst die Verbreitung von Verschwörungsglauben
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Das Ergebnis der repräsentativen Studie hat bei den Forschern auch eine Sorge ausgelöst, sagt Ruth Maria Schüler vom IW, Hauptautorin der Studie: Soweit sich die Befragten überwiegend auf bestimmten Kanälen sozialer Medien informieren, kann der Hang zum Verschwörungsglauben sehr groß sein, "bis dahin, dass sich dadurch parallele Realitätswahrnehmungen entwickeln".
Zu was das führen kann, zeigt der Blick in die USA: So unterzieht Noch-US-Präsident Donald Trump durch das massive Verbreiten mannigfaltigster Lügen und das Säen von Misstrauen durch Fake News seine Anhänger seit Jahren einer Art Gehirnwäsche, die zuletzt zum Sturm auf das Kapitol in Washington geführt hat. "Auch wenn in Deutschland die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medien weit höher ist, deuten Analysen auch für Deutschland auf eine zunehmende Bedeutung von Fake News und der wachsenden Verbreitung von Verschwörungsglauben hin", warnt Schüler.
YouTube ist für Menschen unter 30 oft die Haupt-Informationsquelle
Noch aber zeige sich, dass die Nutzung von und das Vertrauen in traditionelle Medien in Deutschland laut Schüler nach wie vor "stabil" und vergleichsweise hoch ist. Dabei steht das "persönliche Gespräch" an erster Stelle. "So schätzen 89 Prozent der Befragten, welche häufig persönliche Gespräche über politische Themen führen, diese als (eher) glaubwürdig ein", sagt Schüler. Ebenfalls hoch sei das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Lokalzeitungen und überregionalen Tageszeitungen.
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Was auffällt: "Man schenkt den Informationsquellen Glauben, die man selbst konsumiert", sagt Schüler. Das kann mit Blick auf manche der verbreiteten sozialen Medien starke Auswirkungen in Bezug auf das Misstrauen gegenüber Politik und traditionellen Medien und den Glauben an Verschwörungserzählungen haben: 70 Prozent der Befragten unter 30 Jahren etwa gaben an, sich hauptsächlich auf der Videoplattform YouTube über Politik zu informieren. Bei ihnen nehme die Plattform einen höheren Stellenwert ein als Lokalfernsehen und -radio oder überregionale Zeitungen.
Messengerdienst Telegram bietet Nährboden für Verschwörungserzählungen
Beim Messengerdienst Telegram, dem besonders in der Szene der sogenannten Querdenker viel genutzten Kommunikationskanal, liegt der Wert gar bei knapp 97 Prozent. Wobei die Forscher einschränken, dass die Aussagekraft hier womöglich eingeschränkt ist, weil der Anteil der Nutzer unter den Befragten der Studie nur im einstelligen Prozentbereich gelegen habe.
Das Problem aus Sicht der Studien-Initiatoren: "In Folge einer hohen Glaubwürdigkeit unter den Nutzern bieten Telegram und in geringerem Maße auch YouTube Nährboden für Verschwörungserzählungen. Bei Nutzern von YouTube und ganz besonders bei Nutzern von Telegram (geht; Red.) eine häufige Nutzung auch mit einer Tendenz zu einem höheren Verschwörungsglauben einher", berichtet Schüler.
Glaube an "Geheimorganisationen" und deren "Einfluss"
Vertiefende Fragen an die Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer belegen diese Eindrücke, sagt Schüler: Die Aussage „Die Medien und die Politik stecken unter einer Decke“ hätten demnach 44 Prozent der Befragten "voll und ganz zugestimmt, die häufig YouTube nutzen, um sich politisch zu informieren. "Bei den Nutzern, welche Telegram häufig nutzen, hat dieser Wert sogar bei 75 Prozent gelegen."
Ein ähnliches Bild zeige sich laut Umfrage auch bei der Einschätzung der Aussage „Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“. Auch hier hätten die Zustimmungswerte für Nutzer, die YouTube oder Telegram häufig nutzen über der durchschnittlichen Zustimmung gelegen. "Darüber hinaus scheinen besonders solche Personen zu einer Art von Verschwörungsglauben zu neigen, welche den überregionalen öffentlich-rechtlichen Rundfunk meiden", schließen die Wissenschaftler.
Nutzer gefangen in der "Filterblase"
Unklar aber ist aus Sicht der Forscher "ob die Nutzer von Telegram und YouTube bewusst solche Medien wählen, in denen Verschwörungserzählungen leicht Verbreitung finden, weil sie genau diese Art von Information konsumieren wollen, oder ob Nutzer erst durch diese sozialen Medien mit den Verschwörungserzählungen in Berührung kommen und von diesen eingenommen werden", sagt Schüler - ausgelöst durch die entsprechenden Algorithmen, die Nutzern sozialer Medien nur das zu Gesicht bringen, was sich aus ihrem eigenem Verhalten selbst ergibt und damit in eine "Filterblase" führen, in der abweichende Inhalte nicht auftauchen.
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Die Sorge vor "parallelen Realitätswahrnehmungen" speist sich laut IW auch aus der Beobachtung, dass die Nutzung verschiedener Medienkanäle auch eine Altersfrage ist: Unter-30-Jährige nutzen verstärkt soziale Medien als Haupt-Informationsquelle, Über-50-jährige traditionelle Medien. Bei sozialen Medien wiederum werde die Glaubwürdigkeit bisher insgesamt bis dato geringer eingeschätzt als bei traditioneller Medien.
Daraus ergibt sich für die Studien-Macher auch ein Auftrag an Journalistinnen und Journalisten: "Sie stehen vor der schweren Aufgabe, den Diskurs ernst zu nehmen, weniger emotional und vor allem Fakten-basiert zu berichten". In jedem Falle zeige sich durch die Umfrage zur Mediennutzung, wie wichtig es ist, die "Medienkompetenz in der Bevölkerung zu stärken". Dies sei "umso dringlicher" bei der "älteren Bevölkerung, welche anders als die „digital natives“ nicht in einer digitalisierten Welt aufgewachsen ist."