Berlin. Deutschland hat sich bei der Impfstoff-Beschaffung auf die EU verlassen. Nun folgt das böse Erwachen: Die Dosen werden nicht reichen.

Endlich ist es nach Monaten quälenden Wartens raus: Ab dem 27. Dezember beginnen in Deutschland die Impfungen gegen Covid-19. Die Freude über den Start der so herbeigesehnten Kampagne ist allerdings stark getrübt. Denn jetzt ist amtlich: Deutschland hat viel zu wenig Impfstoff gesichert und das Beschaffungsverfahren über die EU hat erkennbare Schwächen.

Angesichts der steigenden Totenzahlen ist dem Bürger schwer zu vermitteln, dass Deutschland zunächst nur elf Millionen Dosen bekommt, während Länder wie die USA sich Zugriff auf zigfache Einheiten der begehrten Vakzine gesichert haben.

Corona-Impfung: Solidargedanke entschuldigt nicht schlechtes Management

Natürlich ist der europäische Solidargedanke, der einer gemeinsamen Beschaffung durch die EU zugrunde liegt, richtig. Es wäre für Europa ein hässlicher Rückschlag, wenn sich die reichen Nationen auf Kosten der ärmeren in der Pandemie einen Vorteil sicherten.

Aber Solidarität bei der europäischen Impfstoffbeschaffung darf keine Solidarität mit schlechtem Management sein. Die Bundesregierung hätte darauf bestehen können und müssen, dass Brüssel mehr Impfstoff bestellt. Schließlich soll Biontech aus Mainz bis zu 500 Millionen Dosen angeboten haben. Aber nur 200 Millionen hat sich die Kommission als schnelle Lieferung gesichert, 100 weitere sollen später folgen.

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Engpässe beim Corona-Impfstoff werden für viele Menschen tödlich sein

Für diese Zurückhaltung gibt es bislang keine plausible Erklärung, und der Engpass wird tödlich sein für viele Menschen, die sich noch schutzlos infizieren werden. Hätte Brüssel auch auf falsche Impfstoffe gesetzt – wer hätte die Kommission dafür wirklich kritisieren wollen? Das gemeinsame Europa hat schon auf ganz anderen Baustellen Milliarden verbrannt, dass es darauf nicht mehr angekommen wäre. Kurzum: Eine offensivere Bestell-Taktik wie in den USA und das parallele Setzen auf viele Impfstoffe wären vertretbar gewesen.

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Nach dem Hin und Her beim Zulassungstermin sind angesichts der fehlenden Dosen jetzt schon zum zweiten Mal die Zweifel gewachsen, ob wirklich alle Kräfte genutzt wurden, um möglichst schnell möglichst viel Impfstoff zu beschaffen. Man darf dabei nicht vergessen: Es gibt wenige Gesellschaften, die über derart große und teure Verwaltungsapparate verfügen wie Brüssel und Berlin. Sollten sie in Pandemiezeiten unterdurchschnittlich arbeiten, wäre eine ganz neue Bürokratie-Debatte fällig.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion in Berlin, kommentiert.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion in Berlin, kommentiert. © Dirk Bruniecki

Später Impfstart: Deutschland hat sich zu lange ausgeruht

Stand heute hat man jedenfalls ziemlich überheblich auf die Nachbarn geblickt und sich zu lange auf niedrigen Infektionszahlen und moderaten Totenzahlen ausgeruht. Der kurzfristige Brutal-Lockdown und die schlimme Situation in den Kliniken der deutschen Corona-Hotspots zeigen, wie sehr sich die meisten Politiker in falscher Sicherheit wähnten.

Man wünscht sich, die Kanzlerin wäre vom ersten Tag an in den Ministerpräsidenten-Runden mit dem Kopf durch die Wand marschiert – aber auch für eine Angela Merkel gelten am Ende die Gesetze der Realpolitik.

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Corona-Pandemie: Deutschland impft im Sparmodus

Jetzt wird also im Sparmodus geimpft, streng nach Reihenfolge. Die Verletzlichsten zuerst. Diese Priorisierung ist moralisch richtig – ob sie pandemisch auch am effizientesten ist, muss die Wissenschaft beurteilen.

Nun ist notgedrungen Geduld angesagt, und die Ungeimpften sind gut beraten, sich und ihr Umfeld weiter maximal zu schützen. Die Geimpften wiederum sollten nicht auf Vorrechte pochen – noch weiß man zu wenig über die längerfristige Wirksamkeit der Vakzine. Und die Politik sollte alles daran setzen, die Impfstoffproduktion anzukurbeln und auf Profilierungs-Mätzchen verzichten.

Denn Wahlkampfmodus ist das Letzte, was die Gesellschaft in den nächsten Monaten braucht.