Berlin. Die Wissenschaftler der Leopoldina fordern einen härteren Lockdown. Nach den Exzessen an den Glühwein-Ständen ist das völlig richtig.

Was die Wissenschaftler der Leopoldina vorschlagen, ist so etwas wie die Ultima Ratio. Also, das nächste letzte Mittel, um die Corona-Pandemie zurückzudrängen. Denn das, was Deutschland bisher ausprobiert hat, reicht nicht. Es gab Regeln, die meist befolgt wurden. Aber die Hoffnung, dass sich die Bevölkerung von sich aus einschränken würde – die hat sich doch nicht erfüllt.

Denn hier liegt ein Interessenskonflikt. Vernunft versus Vergnügen. Der Vorschlag der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina, die Corona-Beschränkungen bundesweit drastisch zu verschärfen, ist daher richtig – und zugleich ein Appell an die Vernunft.

Corona-Verschärfungen: Wer nicht hören will, muss fühlen

Denn die Corona-Fallzahlen stagnieren auf hohem Niveau. Es gibt immer weniger freie Betten auf den Intensivstationen – und vor allem die dauerhaft hohe Belastung des medizinischen Personals ist kritisch. Es gab sogar Experten, die sich vorstellen können, dass mit Corona infizierte Ärzte und Pfleger auf den Covid-19-Stationen arbeiten sollen.

Es ist ein Gedankenspiel, das keiner von uns wollen wird – und doch bald bittere Realität sein könnte.

Denn geht es weiter wie bisher, wird es mehr Nachrichten geben wie kürzlich aus Sachsen. Im Landkreis Görlitz mussten Kliniken Leichen auslagern. Zu viele Menschen waren am Coronavirus gestorben und alle Kühlfächer belegt. Die Bevölkerung nimmt derweil jede Ausnahme von den Corona-Kontaktbeschränkungen dankend an. In deutschen Städten hat zwar kein Club geöffnet, und die Weihnachtsmärkte sind abgesagt, aber zahlreiche Glühweinstände vor Restaurants und Kneipen bringen das Ausgehgefühl zurück. Ein Wahnsinn.

Die Corona-Glühwein-Stände: ein Wahnsinn

Dicht an dicht stehen die Leute gedrängt – und ohne Mundschutz, denn sie trinken ja. Der Glühwein to go war zwei Adventswochen lang eine schöne Flucht vor den sozialen Corona-Beschränkungen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach beobachtete in Köln das bunte Treiben und war geschockt.

CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn mahnte zu mehr Solidarität: „Es kann ja nicht sein, dass die einen für den Glühwein zuständig sind und die anderen für die Intensivstation.“

Der Glühwein-Strich befindet sich rund um die Gethsemanekirche in Berlin

Berlins Stargarder Straße in Prenzlauer Berg hat sich derweil einen neuen Spitznamen eingehandelt. Weil sich zu viele Gastronomen ein Zubrot mit einem Glühweinstand verdienen wollen, spricht man rund um die Gethsemanekirche liebevoll vom „Glühwein-Strich“. Andere Städte haben reagiert. Nach Teilverboten in beliebten Stadtteilen wie der Schanze darf von heute an in ganz Hamburg kein Glühwein „to go“ mehr verkauft werden. Baden-Württemberg will den Alkoholausschank unter freiem Himmel gleich ganz verbieten. Auch hier war der Andrang zu hoch.

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Wären die Konsequenzen nicht für einige tödlich, wäre so viel Liebe zum zuckersüßen, heißen Wein schon wieder lustig, weil es so irre ist.

Dabei ist es der Tanz auf dem Corona-Vulkan. Und die Familienfeste und Kirchenbesuche an Weihnachten kommen ja noch erst.

Autorin Diana Zinkler
Autorin Diana Zinkler © FMG | FMG

Die Wissenschaftler fordern eine weitere Woche Winterferien und die Schließung der nicht lebensnotwendigen Geschäfte vom 24. Dezember bis zum 10. Januar. Denn auch das Shoppen in den Innenstädten gleicht mittlerweile einem gutbesuchten Event, und die Schlangen vor den Geschäften sind ein Preis, den der Konsument gern zahlt.

Die Politik muss den Experten der Leopoldina folgen. Alles andere wäre irrational. Und wir? Die Bevölkerung? Wir vergnügen uns zwar gern, aber können wir uns im Sinne aller bis zum 10. Januar noch einmal zurücknehmen? Die Antwort steht noch aus.