Berlin. Genießen Menschen mit Corona-Impfung künftig mehr Freiheiten als Ungeimpfte? Die Politik warnt vor einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“.
- Bald soll es einen Corona-Impfstoff geben – wie sieht das Leben dann aus?
- Fest steht: Es wird anfangs nicht ausreichend Dosen des Corona-Impfstoffes für allen geben
- Heißt das auch, dass zuerst Geimpfte wieder das Leben in vollen Zügen genießen können? Und was passiert mit den anderen?
Der Verlauf der weltweiten Pandemie steht vor einer entscheidenden Wendung. Eine Massen-Impfung gegen das hochansteckende Corona-Virus rückt in greifbare Nähe und damit auch die Aussicht, die Krankheit zu besiegen. Doch klar ist schon jetzt, dass dieser Kampf nicht von heute auf morgen zum Sieg führt, sondern dass es Zeit brauchen wird.
Längst werden nicht auf einen Schlag so viele Impfdosen verfügbar sein, um Milliarden von Menschen gleichzeitig zu immunisieren. So stellt sich die Frage, wer zuerst drankommt und ob sich Geimpfte künftig überhaupt noch an die Corona-Auflagenhalten müssen.
Corona-Impfungen: Zeit des Maske-Tragens könnte für einige bald vorbei sein
Denn sobald jemand nach einer Impfung vor Ansteckung geschützt ist und womöglich auch keine Gefahr mehr besteht, dass er das Virus an andere überträgt, gibt es keinen Grund mehr für einen Verzicht auf all die Freiheiten aus der Zeit vor der Pandemie. Lesen Sie auch:Umfassender Schutz vor Corona? Mittel aus Bayern könnte den Durchbruch bringen
Feiern in größerer Runde, Umarmungen, Reisen, Konzerte und vieles mehr wären wieder gefahrlos möglich. Die Zeit des Maskentragens wäre für diesen Personenkreis beendet. Doch es lauern neue Konflikte.
Schon jetzt ist absehbar, dass es eine Übergangszeit geben wird, in der sich die Bevölkerung in zwei Gruppen einteilt: in die ungeimpften Corona-Gefährdeten, die sich weiterhin an die Schutzmaßnahmen halten müssen, und in die „Freigeimpften“, die für sich persönlich die Pandemie hinter sich lassen können. Es droht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.
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Ministerpräsidentin Malu Dreyer warnt vor Spaltung der Gesellschaft
Diese Gefahr sieht auch die Politik heraufziehen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte der „Bild am Sonntag“: „Bis zur Durchimpfung und einem Schutz der Bevölkerung wird es lange dauern.“
Zwischen Geimpften und Nichtgeimpften solle bei Beschränkungen des öffentlichen Lebens nicht unterschieden werden, „das spaltet nur unnötig“, glaubt Dreyer. Notwendig sei Solidarität aller Geimpften. Alle müssten sich weiter an die Regeln und die Maskenpflicht halten. Sonderveranstaltungen wie Konzerte nur für Geimpfte dürfe es ebenfalls nicht geben.
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CDU-Politiker: Konzerte nur bei Corona-Impfung
Genau diesen Vorschlag hatte hingegen der CDU-Gesundheitspolitiker und Europaabgeordnete Peter Liese in Spiel gebracht und sich für zusätzliche Freiheiten für Geimpfte ausgesprochen. So könnte eine Corona-Schutzimpfung beispielsweise als Voraussetzung für Besuche von Großveranstaltungen gelten. Einlass sollten nur Personen mit einem entsprechenden Nachweis im Impfausweis erhalten.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fürchtet zum Start der Corona-Impfungen in Deutschland Verteilungskonflikte. Anfangs werde die Menge an Impfstoffen begrenzt sein. Nach aktuellem Stand werde es im Januar in Deutschland für eine zweistellige Millionenzahl an Impfwilligen nur drei Millionen Impfdosen geben. Deshalb werde es eine „sehr harte Priorisierung“ geben.
Der Minister rechnet mit emotionalen Diskussionen, „es wird ja nicht umsonst an Konzepten gearbeitet, bis hin zu polizeilichem Schutz der Impfzentren“. Möglicherweise werde es Situationen geben, in denen Leute sagten: „Ich will jetzt aber“, aber noch nicht an der Reihe seien. Nach seinen Worten geht es darum eine „Balance zwischen ethischem Grundsatz und Praktikabilität“ zu finden.
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Spahn erwartet Priorisierung von Bevölkerungsgruppen nur für einige Monate
Span betonte, die Bundesregierung werde in der kommenden Wochen auf Basis der Expertenempfehlungen die Reihenfolge bei der Vergabe des Impfstoffs klären. „Eine absolute Priorisierung“ werde nicht für einen sehr langen Zeitraum notwendig sein.
„Wir reden hier über Monate“, sagte Spahn. Er sei zuversichtlich, dass die Pandemie im Herbst oder Winter 2021 unter Kontrolle sein werde, weil dann ausreichend Impfstoffe zur Verfügung stünden. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Risikogruppen wie Ältere und Kranke, Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge zuerst geimpft werden.
Als „Hauptkriterium“ hierfür nannte Spahn das Alter. Wer Vorerkrankungen habe, brauche eine Bescheinigung vom Haus- oder Facharzt. Von Ärzten erwarte er Aufgeschlossenheit, sich selbst impfen zu lassen. Eine Impfpflicht werde es aber auch für sie nicht geben.
Ethikrat-Mitglied hält Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für denkbar
Das Ethikrat-Mitglied Steffen Augsberg hält indes eine Impfpflicht zumindest für bestimmte Berufsgruppen oder Tätigkeitsbereiche für möglich. „Ob man die aber tatsächlich braucht, zum Beispiel auf den Intensivstationen, das hängt von der freiwilligen Befolgung ab“, sagte der Gießener Rechtsprofessor. Für die Gesamtgesellschaft werde es mit Sicherheit dabei bleiben, dass es keine Impfpflicht geben werde.
Auch der Deutsche Ethikrat befürwortet eine Priorisierung der Impfungen mit dem Ziel, schwere Covid-19-Verläufe und Todesfälle zu vermeiden. Augsberg sprach sich für eine Behandlung des Themas in den Parlamenten aus.
Er glaube, so Augsberg „dass wir dringend eine gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz brauchen, die die groben Leitlinien enthält“. Notwendig sei ein gestuftes Verfahren mit einer Beteiligung des Gesetzgebers. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält ein Gesetz für erforderlich, um die Reihenfolge der Priorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beim Zugang zu Impfstoffen zu regeln.