Berlin. Dr. Yaosi Li erzählt vom dramatischen Zustand ihrer Covid-19-Patienten. Die Intensivstation 144 ist ihre letzte Hoffnung auf Heilung.

  • Corona ist für Risikogruppen sehr gefährlich – besonders schlimm betroffen sind oft die Lungen der Covid-19-Patienten
  • Dr. Yaosi Li ist Fachärztin für Infektiologie und Pneumologie und arbeitet auf der Intensivstation für Covid-19-Patienten
  • Im Interview berichtet sie, wie schwer Corona die Lunge zerstören kann

Dr. Yaosi Li ist nicht zimperlich. Als der Fotograf sie für das Foto nach draußen bittet, hat sie keine Jacke an. Es sind drei Grad, sie macht das kurz ohne. Ihre bloßen Unterarme und Hände sind gerötet vom vielen Desinfizieren. Jeder, der sie so auf dem Charité-Gelände sieht, schaut anerkennend.

Die 37-Jährige ist Fachärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie. Ihr Arbeitsplatz ist die Station 144, eine Intensivstation für Covid-19-Patienten , denen man in anderen Kliniken, in anderen Intensivstationen schon nicht mehr helfen konnte. Und täglich werden es mehr, die zu ihr kommen.

Frau Dr. Li, was haben Sie gerade gemacht?

Dr. Yaosi Li : Ich habe die Laboranforderungen für morgen gemacht. Aufgelistet, bei welchem Patienten Blut abgenommen werden muss.

Was passiert auf Ihrer Station?

Li: Unsere Station hat 18 Betten, 16 sind belegt. Zu uns kommen Patienten mit einem akuten schweren Lungenversagen. Unsere Spezialisierung ist die Lungenersatztherapie mit einem sogenannten Ecmo-Gerät: einer Maschine, in der außerhalb des Körpers das Blut mit Sauerstoff angereichert und Kohlendioxid entfernt wird. Alles, um die Lunge zu entlasten.

Wie wirkt sich die zweite Corona-Welle aus?

Li: Es ist enorm viel zu tun. Auf unserer Station sind einige Patienten sehr schwer krank, und wir kämpfen um ihr Überleben. Wir sind für das, was gerade passiert, ausgebildet und ausgerüstet. Die große Anzahl an Corona-Patienten über diesen langen Zeitraum ist aber auch für uns eine absolute Herausforderung. Es bringt uns, Ärzte und Pfleger, an die Kapazitätsgrenze.

Wie sieht denn eine normale Zwölfstundenschicht aus, ist da eine Pause vorgesehen?

Li: Die Schicht beginnt um acht Uhr und endet um 20 Uhr. Meist machen wir mittags eine Pause. Heute weiß ich nicht, wann ich die machen kann. Gestern hatte ich gegen 16 Uhr kurz Zeit, etwas zu essen.

In welchem Stadium kommen die Menschen auf die Station 144?

Li: Patienten, die zu uns kommen, sind schon an ihrem Endpunkt. Der normale Ablauf ist, dass ein schwer an Covid-19 Erkrankter an Tag sieben bis zehn auf die Intensivstation kommt. Dann ist der Patient erst einmal gut zu beatmen, wenn nicht noch eine andere Infektion dazukommt, die den Kreislauf in die Knie zwingt. Diese erste Beatmung verläuft oft gut, der Patient wird dann auch auf den Bauch gedreht, so sinkt der Sauerstoffbedarf und der Patient profitiert davon. Doch nach zwei Wochen kann es sein, dass die Lunge steifer wird und der Patient nicht mehr genug Sauerstoff bekommt. Das ist dann der Punkt, wenn die Patienten zu uns auf die Station kommen.

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Die Ärztin Dr. Yaosi Li behandelt täglich schwer erkrankte Corona-Patienten. „Wir sind am Limit“, sagt sie. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wie alt sind Ihre Patienten im Schnitt?

Li: Zwischen 55 und 75 Jahre. Erstaunlich viele sind so um die 65 Jahre alt.

Und können Sie Muster erkennen?

Li: Wir haben fast nur Männer auf der Station. Sie haben alle Bluthochdruck, Diabetes und sind eher adipös. Diese Vorerkrankungen kommen in der Altersgruppe häufig vor.

Die Zahl der Toten hat am Mittwoch einen neuen Rekord erreicht. Geht das bis Weihnachten so weiter?

Li: Ich kann mich auch nur auf das verlassen, was uns Politik und Wissenschaft sagen: Nämlich, dass die Entwicklung davon abhängt, wie wir uns in nächster Zeit verhalten. Aber ich habe schon das Gefühl, dass die Situation extremer ist als im Frühjahr.

Warum?

Li: Im Frühjahr verbreitete sich das Coronavirus über Herde. Jetzt kann man gar keinen Ursprung mehr ausmachen, das Virus flammt überall auf. Und wir sind am Limit.

In Frankreich, Belgien und Italien waren die Intensivstationen überfordert. Kann so etwas in Deutschland auch passieren?

Li: Deutschland hat ja im Vergleich mit allen Ländern die meisten Intensivbetten pro Einwohner. Was viele aber nicht bedenken, ist, dass wir in Deutschland schon vor der Pandemie einen Pflegermangel hatten. Es wird zwar erst einmal genug Betten für die Kranken geben, aber wenn es so weitergeht, können die Patienten irgendwann nicht mehr nach den bisherigen Standards versorgt werden. Zudem steigt die Auslastung der Intensivbetten täglich.

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    Was war Ihre schwerste Entscheidung in den vergangenen Wochen?

    Li: Ich habe das Glück, dass wir nicht triagieren, also wegen der geringen Kapazitäten entscheiden müssen, welcher Patient als Erster behandelt wird. Schwer sind die Momente, in denen man erkennt, dass man nicht mehr helfen kann und die Therapie nicht anschlägt. Dann Gespräche mit den Angehörigen zu führen, die oft einen ganz anderen Blick auf die Lage haben. Man muss den richtigen Ton treffen, Mitgefühl zeigen, aber auch ehrlich den aktuellen Gesundheitszustand beschreiben.

    Was können wir uns hier draußen nicht vorstellen?

    Li: Viele denken, sie kriegen Corona, sie kommen auf die Intensivstation, werden beatmet, werden auf den Bauch gedreht, aber sie überstehen das schon, vor allem, wenn sie jünger sind. Aber was die Patienten durchstehen müssen, um nachher überhaupt wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können, das können sich die meisten nicht vorstellen. Allein, wie sehr der Körper und die Haut durch die Bauchlage angegriffen wird, ist krass. Auch war es vorher sogar für uns Ärzte unvorstellbar, wie sehr Corona die Lungen zerstört.

    Fühlen Sie sich manchmal hilflos?

    Li: Nein, eigentlich nicht. Natürlich hätte ich gern ein Mittel gegen Corona, aber ich weiß, wir tun das Beste für unsere Patienten.

    Was für Schmerzen erleben Ihre Patienten?

    Li: Wir verlegen die Patienten so tief ins Koma, dass sie keine Schmerzen fühlen. Aber immer wieder berichten Patienten nach einem schweren intensiven Aufenthalt, wie traumatisch diese Zeit für sie war. Anderen, die wir aus dem Koma erwecken, reicht die Luft nicht zum Atmen. Der Patient ist noch nicht richtig wach und atmet wie ein Fisch an Land.

    Wenn ich mit Covid-19 ins Krankenhaus müsste, hätte ich am meisten Angst davor, künstlich beatmet werden zu müssen. Ist die Angst berechtigt?

    Li: Natürlich, kann ich diese Angst verstehen. Weil man ab diesem Moment seine Kontrolle abgibt und einen Betreuer braucht. Und nie weiß, ob man aus dem Koma aufwachen wird.

    Wie reagieren die Menschen, wenn sie von Ihnen erfahren, dass sie ins Koma versetzt werden und gleich intubiert?

    Li: Wir hatten Patienten, die von sich aus gesagt haben, dass sie das wollen. Weil sie zu schwach waren und gar nicht mehr anders konnten. Dann gibt es Patienten, die gar nicht merken, wie schlecht es ihnen geht, und die das Koma unbedingt vermeiden wollen. Einem Patienten sagte ich kürzlich, dass wir gut auf ihn aufpassen werden.

    Ist dieser Patient wieder aufgewacht?

    Li: Ja, zum Glück.

    Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie mitbekommen, das sich gerade darüber gestritten wird, ob geböllert werden darf an Silvester, oder nicht?

    Li: Mich erstaunt die Debatte. Es wird ja an der frischen Luft geböllert, aber das ist meine persönliche Meinung.

    Wie schützen Sie sich vor Corona?

    Li: Auf der Arbeit mit FFP-Masken und darüber noch mal ein Face-Shield. Privat, in dem ich Fahrrad fahre, Menschenansammlung meide, keine Öffentlichen Verkehrsmittel nutze und Maske trage.

    Achten Sie besonders auf Symptome bei sich selbst?

    Li: Nicht ständig. Aber ich habe zwei kleine Kinder, da bin ich schon zu ihrem Schutz sehr achtsam.

    Haben Sie durch Ihre Arbeit Angst, sich mit Corona anzustecken?

    Li: Ich falle aus allen Risiko-Clustern heraus. Ich bin weiblich, jung, gesund. Ich weiß natürlich auch von jungen Menschen, die einen komplizierteren Verlauf hatten und noch unter bleierner Müdigkeit leiden. Aber ich schütze mich gut. Vor allem versuche ich, meinen Vater zu schützen, der genau in dem risikoreichen Alter ist, an Diabetes und Bluthochdruck leidet. Er hat aber ganz klar gesagt, er will seine Enkel regelmäßig sehen. Das muss jede Familie für sich selbst entscheiden.

    Sie stehen an vorderster Front. Was müsste geschehen, um Ihren Job leichter zu machen?

    Li: Entweder weniger Patienten oder mehr pflegendes Personal.

    Was ist Ihre Botschaft für Masken-Gegner?

    Li: Ich würde nicht so weit gehen wie der Schweizer Gesundheitsökonom Willy Oggier, der gesagt hat, dass Corona-Skeptiker ihr Recht auf einen Intensivplatz verwirkt haben, falls es zu einer Erkrankung kommt. Aber gerade die, die da auf der Straße ohne Maske demonstrieren, sind männlich, 60 plus-minus fünf Jahre – genau wie die Männer, die ich hier auf der Corona-Intensivstation behandle.

    • Zur Person: Dr. Yaosi Li

    Dr. Yaosi Li kam im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern aus China nach Deutschland. Sie ist in Berlin aufgewachsen und hat an der Humboldt-Universität Medizin studiert. Seit 2010 arbeitet sie an der Charité, Schwerpunkt Infektiologie. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder und hält sich mit Crossfit und Mixed Martial Arts fit.