Düsseldorf. Schulen waren bis dato nicht die befürchteten Pandemie-Treiber. Forscher mahnen, warum es so wichtig ist, dass sie auch weiterhin offen bleiben.

Die Sorge war groß, als die Schulen am 12. August nach den NRW-Sommerferien erstmals seit März wieder im Regelbetrieb öffneten: Würde die Corona-Pandemie an Schub gewinnen, weil sich Schülerinnen und Schüler massenhaft gegenseitig ansteckten? Die Antwort kam jüngst in Form einer Studie an der Uni Bonn. Deren Ergebnis überraschte selbst die beteiligten Forscher.

„Schulen waren keine Pandemie-Treiber“, fasst Nico Pestel zusammen, Arbeitsmarkt-Ökonom am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) der Universität Bonn. Die Forscher werteten die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts und die gemeldeten Quarantänefälle an allen Schulen bundesweit aus und verglichen die Daten aller 16 Bundesländer (externer Link). „Alle zeigten das gleiche Bild“, sagt Pestel. Das sei vor allem deshalb so aussagekräftig, weil Ferienstarts und -Ende in Deutschland föderal gestaffelt sind und sich von Juli bis weit in den September zogen, wo die Zahlen der Corona-Infektionen bereits wieder deutlich an Fahrt aufgenommen hatten.

Schulstart im Sommer hat Corona-Ausbreitung sogar gedämpft

Besonders auffallend sei zudem gewesen, dass die flächendeckende Öffnung der Schulen etwa in NRW sogar dazu geführt habe, dass die Infektionszahlen bei Schülerinnen und Schülern nach dem Schulstart „weniger schnell gestiegen waren, als in den Sommerferien“, erklärt Pestel. Als Grund werteten die Forscher unter anderem die anfangs auch in den Klassenzimmern geltende Maskenpflicht und, dass Schulen, Schüler und Eltern offenbar verstärkt die Hygiene-Regeln beachteten.

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„Diese Faktoren sind natürlich auch nach den Herbstferien weiterhin von Relevanz“, sagt Pestel. Dennoch sei die Lage nun „fundamental anders“: „Zum einen hat die Pandemie mit deutlich zunehmenden Fallzahlen eine deutlich höhere Dynamik in der Gesamtbevölkerung bekommen. Zum anderen dürften die Witterungsverhältnisse im Herbst das Einhalten von Hygienemaßnahmen erschweren.“ Deshalb seien die Studienergebnisse aus dem Sommer „nicht ohne Weiteres auf die Situation jetzt übertragbar“, erklärt Pestel.

Corona-Pandemie: „Unterricht in Präsenzform ist die Regel“

„In der bisherigen Entwicklung waren die Schulen in der Regel keine Treiber von Infektionen." Eine Umfrage mit dem Stichtag 7. Oktober hatte laut NRW-Schulministerium ergeben:

  • 2084 Lehrkräfte waren zu diesem Zeitpunkt in Quarantäne wegen Corona (1,3 Prozent)
  • Bei 166 Lehrkräften war eine Corona-Infektion bestätigt worden
  • Insgesamt 148.088 Lehrkräfte waren an den Schulen im Dienst. Das waren 95,7 Prozent aller Lehrkräfte.
  • Der Anteil der Lehrkräfte, deren Einsatz im Präsenzunterricht nicht möglich war, weil sie zu einer der Risikogruppen gehören, lag bei 4,3 Prozent.
  • 23.327 von 1,98 Millionen Schülerinnen und Schüler waren zum genannten Zeitpunkt in Quarantäne. Das entspricht einem Anteil von 1,9 Prozent.
  • Bei 853 Schülerinnen und Schülern (rund 0,04 Prozent) wurde eine Corona-Infektion bestätigt.

NRW führt Maskenpflicht im Unterricht wieder ein

„Für das begonnene Schuljahr gilt der Grundsatz, dass der Unterricht in Präsenzform den Regelfall darstellt. Darauf haben sich alle am Schulleben Beteiligten und alle Bundesländer verständigt“, sagt ein Sprecher des NRW-Schulministeriums. Es bleibe jedoch "die weitere Entwicklung abzuwarten und genau zu beobachten“.

Am Mittwoch teilte das Schulministerium mit, dass nach den Herbstferien die Maskenpflicht im Unterricht wieder eingeführt werde. Auch am Sitzplatz sei dann Mund-Nase-Maske zu tragen. Dies gelte ab der 5. Klasse vorläufig bis zu den Weihnachtsferien. Die Anweisung sei am Mittwoch allen Schulen per Mail mitgeteilt worden, hieß es. Unter anderem die Lehrergewerkschaft GEW hatte jüngst die erneute Einführung der Maskenpflicht in den Klassenzimmern gefordert.

Erneuter Schul-Lockdown kann sich für Schüler bis ins Berufsleben auswirken

„Die Schulen sollten so lange wie möglich geöffnet bleiben“, sagt etwa Christine Anger, die unter anderem am „Bildungsmonitor“, einem jährlichen Vergleich der Bildungssysteme in den Bundesländern, beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln mitarbeitet. „Der Lockdown im Frühjahr hat gezeigt, dass viele Schülerinnen und Schüler in ihren Leistungen nachhaltig eingebrochen sind“, sagt Anger. „Gerade für Schülerinnen und Schüler, die nun vor einem Abschluss stehen, wird dieses Schuljahr schwer. Sie könnten es kaum noch aufholen, sollte es erneut zu einem Lockdown kommen“, warnt Christine Anger.

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Auch Nico Pestel mahnt: Studien aus anderen Ländern zeigten, dass sich ein Wochen- oder sogar Monate langer Unterrichtsausfall, wie er in der Vergangenheit im Zusammenhang mit besonders hartnäckigen Lehrerstreiks etwa in Südamerika untersucht worden ist, zum Teil bis ins spätere Berufsleben auswirkt und das sogenannte Lebenszeiteinkommen senkt - „bloß weil man in einer Phase der Schulzeit weniger und schlechter gelernt hat“, erklärt Arbeitsökonom Nico Pestel.

So hatte das Ifo Institut im August ermittelt, dass der Corona-Lockdown in Deutschland dazu geführt habe, dass Schülerinnen und Schülern von Mitte März bis Ende Mai nur noch halb soviel Zeit aufgewendet hätten für Schulaufgaben oder Lernen. Statt dessen hätten viele deutlich mehr vor dem Fernseher gesessen oder am Computer gespielt.

Schulministerium: Schulen sind „sichere Orte“

Statt wegen steigender Corona-Zahlen wieder Schulen zu schließen sollten „wenn möglich andere Maßnahmen wie Quarantäne von einzelnen Schulklassen bei auftretenden Infektionen (Info hier), verschärfte Hygiene- und Abstandsregeln in den Schulen oder Präsenzunterricht in kleineren und wechselnden Gruppen vorgezogen werden“, meint Nico Pestel. Die Erkenntnisse zeigten, wie wichtig es sei, dazu in Kauf zu nehmen, wenn der Aufwand für Hygiene-Maßnahmen (externer Link) mit Blick auf den Winter womöglich noch zu steigern sei, meint Pestel.

Ob die zum Teil hohen Corona-Inzidenzzahlen in manchen Städten und Gemeinden lokale oder regionale Schul-Lockdowns zur Folge haben könnten, mag man im NRW-Schulministerium derzeit nicht beantworten: „Weitere Maßnahmen werden kontinuierlich auf Wirksamkeit und Notwendigkeit geprüft“, sagt ein Sprecher. Die Schulen seien nach wie vor „sichere Orte“, erklärt er: „Über 98 Prozent aller Schülerinnen und Schüler waren bis zum Beginn der Herbstferien im Unterricht. Es gab zwar vereinzelt Fälle von Infektionen in Schule; diese werden jedoch fast ausschließlich von außen in die Schulen hineingetragen.“

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