Berlin. Der Bericht über die Reichsbürger zeigt: Schnitzer in der Corona-Politik bestärken radikale Kräfte, sagt Kommentator Miguel Sanches.

In der Corona-Krise sind die Reichsbürger und Selbstverwalter wie aufgedreht. Eine „erhöhte Dynamik und Aktivität“ machen die Sicherheitsbehörden aus. Warum überrascht uns das nicht?

Weil auch die Politik bisweilen skurril anmutet, immer erklärungsbedürftiger wird. So wie aktuell die viel kritisierten Beherbergungsverbote, von denen noch die Rede sein wird.

Reichsbürger in der Allianz mit Corona-Leugnern

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent, warnt vor den psychologischen Folgen der Corona-Politik.
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent, warnt vor den psychologischen Folgen der Corona-Politik. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Jeder Schnitzer der Regierenden bestärkt Randkräfte: Reichsbürger, Selbstverwalter, Impfgegner, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker. Allianzen ist ein großes Wort für ein sektiererisches Milieu. Aber: Dass Reichsbürger eine große Affinität zu Verschwörungstheorien haben, ist ein Befund, den man sofort glaubt. Gleich und gleich gesellt sich gern.

Seltsame Zeiten. Als das Virus im März Deutschland erreichte, wurde ironisch gefragt, wer die größeren Spinner sind. Die Prepper, die planmäßig, gut organisiert Lebensmittel horten, um einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung überleben zu können, oder die vielen Leute, die Klopapier in rauen Mengen gekauft haben? Verkehrte Welten.

Lesen Sie auch: Erste Reichsbürger-Gruppe bundesweit verboten

Krudes Weltbild und scheeler Blick auf die Politik

Es ist nicht nur sachlich, politisch, juristisch geboten, bei jeder Corona-Auflage darauf zu achten, dass sie verhältnismäßig, verlässlich und demokratisch koscher ist, sondern auch psychologisch wichtig. Die Radikalen sollen nicht in ihrem kruden Weltbild und scheelen Blick auf die Politik bestätigt werden.

Nehmen wir die Beherbergungsverbote. Virologen sagen, dass der innerdeutsche Reiseverkehr kein wichtiger Faktor für den Anstieg der Corona-Zahlen ist. Es stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Mediziner wünschen sich keine Testzentren voller gesunder Menschen, die sich nur für einen Verwandtenbesuch „freitesten“ wollen.

Beherbergungsverbot ist nicht durchdacht

Zur Unverhältnismäßigkeit kommt also die Frage der Prioritäten und des richtigen Umgangs mit Ressourcen hinzu. Obendrein werden die Maßstäbe für das Verbot nicht mal einheitlich angewandt. Reisen von Berlin nach Brandenburg verbieten sich, umgekehrt nicht. Die Praxis ist nicht durchdacht. Auf wen, auf wen nur geht das Beherbergungsverbot zurück?

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Nicht auf die Bundesregierung, so viel ist klar. Sie beherzigte an diesem Montag ein eigenes Abstandsgebot. Sie verwies darauf, dass die Beherbergungsverbote in der Kompetenz der Länder lägen. Das soll wohl heißen, dass der Bund der falsche Adressat für Kritik ist und man bitte warten soll, bis sich die Ministerpräsidenten am Mittwoch mit der Kanzlerin treffen.

Merkel befolgt die älteste aller Hygieneregeln

Politisch wäscht Angela Merkel (CDU) ihre Hände in Unschuld, die älteste aller Hygieneregeln. Wer sich auf der Suche nach dem Urheber macht, kommt am bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nicht vorbei, der den Rest des Landes mit Verboten, Strafandrohungen übertreffen will.

Bei näherem Hinsehen gehen viele Auflagen auf Verabredungen der Kanzlerin mit den Länderchefs oder gar direkt mit Bürgermeistern zurück. Die Exekutive handelt – die Parlamente werden nur behandelt? Nicht der Bundestag ruft eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ aus, sondern der Gesundheitsminister.

Autoritäres Gewohnheitsrecht

In Deutschland wird seit einem halben Jahr durchregiert. Daran dürfte sich bis auf Weiteres nichts ändern. Man muss sich aber fragen, was dieses autoritäre Gewohnheitsrecht mit Leuten macht, die der Meinung sind, dass die Regierung die Krise missbraucht und ihren Bürgern die Wahrheit vorenthält.

Wer nicht will, dass die Reichsbürger zu „tickenden Zeitbomben“ werden, wie die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke mahnt, muss seine Politik nimmermüde erklären, mit ruhiger Hand über längere Zeiträume umsetzen, vor allem parlamentarisch erden. Die beste Maßnahme gegen Radikalität ist gelebte Demokratie.