Berlin. Mehrfach fiel der Musiker mit rechten Parolen auf. Der Verfassungsschutz kennt 19.000 „Reichsbürger“, ein Teil der Szene sind Neonazis.

Vor einigen Jahren steht der Popmusiker Xavier Naidoo auf einer Bühne, direkt vor dem Reichstag in Berlin, hält ein Mikrofon in der Hand. Es ist keine Konzertbühne, vor ihm stehen nicht wie sonst Tausende Fans, sondern nur einige Dutzend Menschen mit Fahnen und Protestschildern.

Es ist der 3. Oktober 2014, Tag der deutschen Einheit, und der Rapper Naidoo betritt die Bühne der selbsternannten Reichsbürger-Bewegung. Der Verfassungsschutz beobachtet die „Reichsbürger“-Szene heute, ein Teil gilt als rechtsextrem.

Naidoo, der Millionen Platten verkauft hat und bis vor kurzem Mitglied der DSDS-Jury des Fernsehsenders RTL war, hat an seiner Brust das orange-schwarze Sankt-Georgs-Band, ein Zeichen der ukrainischen Separatisten, genauso aber auch das Symbol eines Teils der deutschen Reichsbürger-Szene.

Xavier Naidoo: Verschwörungstheorien vor dem Bundestag

Naidoo spricht von der „amerikanischen Besatzung“, die er in seiner Jugend in Deutschland erlebt habe. Er ist Anfang der 1970er-Jahre geboren. Der Musiker verbreitet von der Bühne Verschwörungstheorien über die Anschläge in New York 2001. Dass Terroristen das World Trade Center angegriffen hätten, bestreitet er. „Wer das als Wahrheit hingenommen hat, was darüber erzählt hat, der hat einen Schleier vor den Augen“, sagt Naidoo. Die Reichsbürger applaudieren. Videos im Internet halten die Rede fest.

Seit einigen Tagen ist Xavier Naidoo nicht mehr Jury bei der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“. Der Fernsehsender schmiss ihn raus, nachdem ein selbstgedrehtes Video von Naidoo die Runde machte. Der Musiker wettert darin gegen Geflüchtete.

In einem weiteren Video nennt Naidoo Professoren, die vor dem Klimawandel warnen, „Lügner“, spricht von einer „Klimahysterie“. Greta Thunberg assoziiert Naidoo mit dem Teufel. Zwei Videos, zwei Feindbilder, die auch von der Reichsbürger-Szene forciert werden: Migranten und Klimaaktivisten und -aktivistinnen.

19.000 Reichsbürger, davon fast 1000 bekannte Rechtsextremisten

2016 präsentiert die Polizei in Wuppertal sichergestellte Waffen von
2016 präsentiert die Polizei in Wuppertal sichergestellte Waffen von "Reichsbürgern" © dpa | Roland Weihrauch

Unter Reichsbürgern gibt es etliche Strömungen: Separatisten, die ihr eigenes „Reich“ gründen wollen. Sogenannte „Selbstverwalter“, die sich abkapseln wollen vom Rechtsstaat. Antisemiten und Verfechter des „Deutschen Reiches“ in seinen alten Grenzen. Für manche ist die Bundesrepublik eine fremdgesteuerte „GmbH“, interessiert nur am Profit. Nicht am „Volk“. Ihre Organisationen nennen die Radikalen „Exilregierung Deutsches Reich“ oder „Republik Freies Deutschland“.

Eine der Gruppierungen, die am Tag der deutschen Einheit mit Naidoo vor dem Reichstag demonstrieren, ist „staatenlos.info“. Der Verfassungsschutz zählt die Gruppe „eindeutig“ zu den Reichsbürgern.

Auf Nachfrage unserer Redaktion schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass 19.000 Menschen zur Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ gehören, Stand Ende 2019. Davon sind 950 Rechtsextremisten.

Es ist die gleiche Anzahl an Reichsbürgern und Rechtsextremisten wie Ende 2018. Nach Informationen unserer Redaktion sind einzelne Gruppierungen und Personen aus der Szene und damit aus der Beobachtung des Verfassungsschutzes raus, andere sind dazugekommen. Deshalb bleibt die Zahl konstant. 2017 standen nur 12.600 Reichsbürger im Visier des Inlandsgeheimdienstes.

Nur „Spinner“ und „Geschäftemacher“? Wie gefährlich sind Reichsbürger?

So wird deutlich: Noch vor einigen Jahren standen die selbsternannten Reichsbürger nicht so stark im Fokus der Sicherheitsbehörden. Viele, sowohl in den Behörden als auch in der jungen Neonazi-Szene, taten die Anhänger der Reichsbürger-Szene als „Spinner“ oder „Geschäftsmacher“ ab.

Doch das änderte sich schnell. Vor allem als die Affinität der rechten Reichsbürger zu Waffen debattiert wurde – und die Gewaltbereitschaft eines Teils der Szene. 2016 erschoss ein Anhänger der rechten Bewegung einen Polizisten bei einer Hausdurchsuchung in Bayern. Im selben Jahr ein ähnlich gravierender Vorfall in Sachsen. 2016 startete der Verfassungsschutz die Beobachtung der Szene.

Ende Dezember waren laut Verfassungsschutz rund 530 „Reichsbürger und Selbstverwalter“ als Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse bekannt. Im Sommer waren es noch 490. „Der geringfügige Anstieg im Vergleich zur vorherigen Erhebung ergibt sich aus der weiter anhaltenden Aufklärung der Szene“, schreibt der Verfassungsschutz. Damit würden auch mehr Reichsbürger mit Waffenscheinen bekannt.

Seit 2016 haben die Behörden laut Verfassungsschutz mindestens 790 Reichsbürger entwaffnet. Einige Verfahren zum Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis laufen noch. Am Donnerstag verbot Innenminister Horst Seehofer zudem erstmals einen Verein der Reichsbürger-Szene.

Reichsbürger sind Teil einer rechtsextremen Widerstandsbewegung

Für Experten sind die „Reichsbürger“ Teil einer modernen rechtsextremen Widerstandsbewegung. Als Naidoo auf der Bühne vor dem Bundestag steht und über die „amerikanische Besatzung“ in Deutschland schwadroniert, gibt er sich naiv. „Ich habe keine Ahnung, wer hier steht. Ich repräsentiere nur die Liebe.“

Xavier Naidoo (r.) mit der Jury von
Xavier Naidoo (r.) mit der Jury von "Deutschland sucht den Superstar“ in Köln: Dieter Bohlen (l.), Pietro Lombardi, Oana Nechiti. © Getty Images | Andreas Rentz

Zu dem umstrittenen Video und dem Rassismus-Vorwurf nahm Naidoo auf Druck der Öffentlichkeit Stellung. „Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit sind ihm völlig fremd“, auch wenn er sich zuweilen emotional künstlerisch äußere, heißt es auf Naidoos Instagram-Profil. Zudem bekräftigt Naidoo, dass „Menschen, die vor Kriegen flüchten, unserer Hilfe und uneingeschränkter Solidarität bedürfen“. Die Demokratie müsse „wehrhaft“ bleiben, „tragische Gewalttaten wie etwa in Chemnitz, Halle, Hanau und andernorts“ gelte es zu verhindern.

Doch wie ernst ist seine Aussage zu nehmen? Der Vorfall am Reichstag ist nicht das erste Mal, dass der Musiker mit rechten oder rassistischen Parolen Schlagzeilen macht. In einem Fernsehinterview 2011 in der ARD nennt er Deutschland ein „besetztes Land“, da es nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag gegeben habe. Internationale Abkommen ignoriert er allerdings. Auch das ein Mantra der Reichsbürger-Szene.

Die extrem rechte Szene stilisiert Naidoo zum „Opfer“

2009 macht er in dem Lied „Raus aus dem Reichstag“ deutlich antisemitische Feindbilder auf. Auf demselben Album vermutet er hinter der Terrorgruppe al-Qaida den amerikanischen Geheimdienst CIA. 2017 wettert Naidoo in „Marionetten“ gegen die Politiker. Und droht: „Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid“.

Das aktuelle Video von Xavier Naidoo kommt nicht überraschend. Seine politische Gesinnung war längst bekannt, seine Nähe zur radikalen Reichsbürger-Szene auch. Trotzdem holte RTL ihn in die Musiksendung DSDS als Juror. Die extreme Rechte konnte ihn nach dem Rauswurf für ihre Ideologie instrumentalisieren: Xavier Naidoo sei „Opfer eines stalinistischen Meinungsdiktats“.

Weitere Informationen zu dem Thema:

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