Washington. Der US-Präsident befürchtet Nachteile, wenn viele Wähler auf die Post setzen – und setzt einen daher neuen Chef der Behörde ein.
Präsidentschaftswahlen gegen Ansteckungsrisiken resistent zu machen, sprich: die Briefwahl zu erleichtern, um den Gang ins Wahllokal überflüssig zu machen, klingt in Zeiten der tödlichen Coronavirus-Epidemie wie ein „no-brainer“. Das Wort benutzen Amerikaner gerne, wenn sie sagen wollen: Dazu braucht man kein Gehirn. Das versteht sich doch von selbst.
Irrtum. Nichts versteht sich im Jahr 2020 von selbst. Präsident Donald Trump, der laut Umfragen am 3. November um seine Wiederwahl fürchten muss, hintertreibt die Ausweitung der „mail-in voting“-Methode – und zwar nach Kräften. 80 Mal hat er seit März eine durch nichts belegte Behauptung wiederholt: Die Briefwahl sei extrem betrugsanfällig, und Amerika drohe die „am meisten gezinkte Wahl in der Geschichte“. Alle Entwicklungen zur US-Wahl 2020 im Newsblog.
US-Präsident Trump will Ausdehnung der Briefwahl sabotieren
Experten und Praktiker in den zuständigen Bundesstaaten, von denen einige wie Oregon, Washington, Colorado, Utah und Arizona seit Langem fast nur noch per Briefwahl abstimmen lassen, halten das für „abwegige Desinformation“. Sie erinnern daran, dass Trump selbst mehrfach per Brief gewählt hat.
Da traditionell großstädtische, demokratische Wähler eher von der Briefwahl Gebrauch machten als Republikaner auf dem Land, untergrabe der Präsident das Vertrauen in die Fairness und Integrität der Wahlen und versuche so die Wahlbeteiligung zu drosseln, kommentieren US-Medien.
Trump ficht die bis in die Kreise republikanischer Gouverneure reichende Ablehnung seines Vorstoßes nicht an. Je näher der Wahltermin rückt, desto drastischer werden seine Störmanöver.
- Hintergrund: Warum Donald Trump die Angst vor Briefwählern schürt
In einem Fernsehinterview mit Fox News hat Trump jetzt de facto offen eingestanden, dass er mit Hilfe der Republikaner im Kongress die Ausdehnung der Briefwahl sabotieren will. Dabei geht es um viel Geld und die staatliche Post (USPS).
Brisant: Neuer Postchef unterstützt Trump-Wahlkampf mit Millionen
Derzeit ist die Behörde, mit mehr als 600.000 Angestellten einer der größten Arbeitgeber in den USA und auf ein coronabedingt massenhaftes Briefwahlaufkommen nicht vorbereitet, sagen die Gewerkschaften. In diesem Jahr werden nach Schätzungen 180 Millionen Wähler erwartet, davon 80 Millionen Briefwähler. 2016 wählten 40 Millionen per Post.
Schon bei den Vorwahlen beider großen Parteien wurden in mehreren Bundesstaaten Briefwahlunterlagen zu spät versendet. Oder ausgefüllte Wahlscheine zu spät zur Auszählung in die Wahlbezirke gebracht. Oder gar nicht mitgezählt. In New York dauerte es sechs Wochen, bis in zwei Kongressbezirken die Sieger feststanden. Die Zahl der Briefwähler war zehn Mal höher als gewöhnlich.
Damit sich das auf nationaler Bühne nicht wiederholt – bei knappem Ausgang kann der Verlust einiger Zehntausend Briefwahlumschläge den Ausschlag über den Sieg von Trump oder Biden geben –, haben die Demokraten im Kongress für die Postbehörde 25 Milliarden Dollar Extrahilfe beantragt. So soll sichergestellt werden, dass genug Technik, Material und Personal für die Abwicklung der Briefwahl zur Verfügung steht.
Trump und die Republikaner blockieren das Vorhaben. „Wenn wir keinen Deal hinkriegen, kriegen sie kein Geld und können keine flächendeckende Briefwahl machen“, sagte der Präsident. Verfassungsrechtler und Kommentatoren sehen darin einen Anlass zur Amtsenthebung. Dabei spielt ein Detail eine wichtige Rolle: Trump hat im Mai mit Louis DeJoy einen neuen Post-Chef eingesetzt. Der milliardenschwere Ex-Unternehmer hat den Wahlkampf des Präsidenten und anderer Republikaner mit Spenden von über zwei Millionen Dollar unterstützt.
Demokraten: Trump spart staatliche Post bewusst kaputt
DeJoy spielt nach Überzeugung der Demokraten mit Trump über Bande. In Briefverteilzentren wurden demnach , Schichten eingestellt und laut Medienberichten Sortiermaschinen abgebaut. Mit der Folge, dass schon heute die Klagen über verspätet eintreffende Post landesweit immer lauter werden.
Die Demokraten werfen Trump vor, die für die reibungslose Erledigung der Briefwahl wichtige Behörde kurz vor der Wahl kaputtsparen zu wollen. DeJoy bestreitet das. Am 17. September muss er sich dazu im Kongress einer Anhörung stellen.
Dort wird zur Sprache kommen, dass die Post Bundesstaaten wie Pennsylvania just davor gewarnt hat, dass es bei der Bearbeitung der erwarteten Briefwahlflut zu Verzögerungen kommen kann. Was die zeitnahe Bekanntgabe eines Endergebnisses nach dem 3. November erschweren würde. Genau darauf bezieht sich Trump, wenn er von der „manipulierten Wahl“ spricht.
In den 50 US-Bundesstaaten können nach einer Untersuchung der „New York Times“ rund 210 Millionen Amerikaner in diesem Jahr potenziell postalisch abstimmen – meist nach vorheriger Registrierung, manchmal nach Angabe eines Grundes. In einigen Staaten wird der Wahlschein unaufgefordert zugeschickt, in anderen muss die Zusendung des Stimmzettels beantragt werden.
Trotz dieses Flickenteppichs, so der Wahlexperte Richard Hasen, Professor an der Universität von Kalifornien, gab es bei den Wahlen zwischen 2000 und 2012 weniger als 500 Fälle von Verurteilungen wegen Wahlbetrugs – in ganz Amerika.
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