Washington. US-Präsident Donald Trump hat ein Problem mit starken Frauen. Seine aktuelle Zielscheibe: Joe Bidens Vize-Kandidatin Kamala Harris.
Bei starken Frauen, die Widerworte geben oder Ehrerbietung verweigern, greift Donald Trump notorisch auf beleidigende Etiketten zurück. „Bösartig”, „garstig” und „respektlos” sind seine Favoriten.
Für Kamala Harris, designierte Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten an der Seite von Joe Biden, hat Trump aufgerüstet. Das „niederträchtigste, schrecklichste und respektloseste” Mitglied im 100-köpfigen Senat von Washington, nannte er sie am Mittwoch. Tags draufs legte er im Fernsehen noch einen drauf. Harris sei „eine Art Wahnsinnige”, erklärte Trump bei Fox News.
Er warf der 55-Jährigen, die seit ihrer Nominierung in weiten Teilen der USA die Hoffnungen auf einen Amtswechsel im Weißen Haus im November beflügelt, vor, sie vertrete insgeheim eine linksradikale Wirtschafts- und Umweltpolitik. Gemeint war der „Green New Deal”, den die demokratische Linke als Ideengebäude vorantreibt. Nicht Harris. Und nicht Biden. Laut Trump würde das ehrgeizige Langfrist-Projekt zum Abriss des „Empire State Building” in New York und, Achtung!, der Abschaffung aller Tiere führen. Moderatorin Maria Bartiromo, sonst Trump treu zu Diensten, musste bei der Absurdität dieser Behauptungen kurz stutzen. Lesen Sie auch: Joe Biden nominiert Kamala Harris als Vize-Kandidatin
Trump vermutet, dass Harris insgeheim eine linksradikale Politik anstrebt
Noch vor Wochen hatte Trump die streitbare Senatorin aus San Francisco perspektivisch „eine feine Wahl” für den „Veep”-Posten seines Herausforderers Biden genannt. Was nachvollziehbar erschien. Als Harris 2011 und 2013 als Justizministerin in Kalifornien kandidierte, unterstützte er ihren Wahlkampf mit 6000 Dollar. Perdu. Knapp 80 Tage vor der Wahl, in die Trump mit miserablen Umfragewerten, derzeit fast 170 000 Coronavirus-Toten und einer am Stock gehenden Wirtschaft mit über 20 Millionen Arbeitslosen geht, hat sich der Amtsinhaber für Diffamierung pur entschieden; rassistische Untertöne inklusive.
Beispiel: Die Demokraten um Biden und Harris wollten Amerikas Vorstädte mit sozialem Wohnungsbau belästigen, in dem mehrheitlich ethnische, einkommensschwache Minderheiten wie Schwarze und Latinos leben. Trump: „Ich werde das nicht zulassen.” Darum würden die auf Sicherheit und Ruhe Wert legenden „Vorstadt-Hausfrauen“ („suburban housewives“) ihn am 3. November wählen. Auch interessant: Donald Trump wechselt plötzlich Corona-Kurs - alles nur Taktik?
Republikanischen Strategen wird bei dieser ultrakonfrontativen Gangart mulmig. Trump könne sich nicht erlauben, Wählergruppen zu verprellen, sagen sie unter Verweis auf eine Marist-Poll-Umfrage aus Juni. Lange vor der Nominierung von Kamala Harris, die bis in konservative Kreise Sympathien genießt, waren 66 % der mehrheitlich weißen Vorstadt-Frauen mit Trumps Arbeit sehr unzufrieden. Hauptvorwurf: Mit seiner führungsschwachen, planlosen Politik in der Corona-Krise habe Trump das Leben für viele Familien schwerer und gefährlicher gemacht. „Harris persönlich zu verunglimpfen, kann zum Bumerang für den Präsidenten werden”, sagte ein republikanischer Analyst dieser Zeitung und bestätigt, was in US-Medien seit Tagen kursiert: “Trumps Wahlkampagne weiß nicht, wie sie Harris wirklich packen soll, um Biden zu schaden.”
Joe Biden und Kamala Harris haben eine Beziehung auf Augenhöhe
Unterdessen erntete das demokratische Duo bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt in einer Schulturnhalle in der Nähe von Bidens Wohnort Wilmington im Bundesstaat Delaware am Mittwochabend Lob und Anerkennung für eine Präsentation, die davon geprägt war, dass hier zwei Menschen auf Augenhöhe in die Schlacht ziehen. Dass der 77-Jährige eine Ko-Existenz anpeilt und seine 22 Jahre jüngere Stellvertreterin nicht als Anhängsel fürs Repräsentative sieht, wie es die Verfassung eigentlich vorgibt, wurde an Sätzen mit eingebautem Vertrauensvorschuss deutlich: “Ich habe sie gebeten, die letzte Stimme im Raum zu sein, bevor wichtige Entscheidungen getroffen werden”, sagte Biden über Harris. Lesen Sie auch: Wird Trump Wahlniederlage akzeptieren? Präsident sät Zweifel
Genau so habe es Präsident Barack Obama mit ihm gehalten, als er von 2008 bis 2016 dessen Stellvertreter war. Dass die sich der afro-amerikanischen Identität und „black community” zugehörig fühlende Harris das Kind indisch-jamaikanischer Eltern ist und mit ihrer Nominierung Geschichte schreibt, kleidete Biden in weihevolle Worte: „An diesem Morgen wachten kleine Mädchen in der ganzen Nation auf – vor allem kleine schwarze und braune Mädchen, die so oft übersehen und in ihren Gemeinden unterschätzt werden. Aber heute sehen sie sich selbst vielleicht zum ersten Mal auf eine neue Weise.”
Biden: Ein „Neuaufbau“ der USA ist unumgänglich
Biden sprach von einer „lebensverändernden Wahl”, die Amerika am 3. November bevorstehe und nannte die vielen Krisen (Corona, Ökonomie, Rassismus etc.) als Grund, warum die „Seele der Nation” bedroht sei. „Was für ein Land sind wir? Wofür stehen wir? Was wollen wir sein?”. Antworten auf diese Fragen seien unter Trump verschüttet worden. Ein „Neuaufbau” sei unumgänglich. Er hat „keinen Zweifel“, mit Kamala Harris die Person an seiner Seite zu haben, mit der das Schiff am besten zu steuern ist. „Sie ist bereit, vom ersten Tag an diesen Job zu machen.” Auch interessant: Donald Trump: US-Präsident blamiert sich im Interview mit Test für Demenzkranke
Harris setzte in ihrer Rede selbstbewusst eigene Akzente. Das Land schreie nach Führung, nachdem Trump restlos alle guten Startvoraussetzungen aus der Obama-Ära ruiniert habe. Dass nach den jüngsten Fällen von tödlicher Polizeibrutalität eine “Koalition des Gewissens” auf den Straßen Amerikas „Wandel” einfordere und „systemische Ungerechtigkeiten” nicht länger toleriere, gehe auf Trumps Konto.
„Wir haben einen Präsidenten, der sich mehr um sich selbst kümmert, als um die Menschen, die ihn gewählt haben – einen Präsidenten, der jede Herausforderung, der wir gegenüberstehen, noch schwieriger zu lösen macht.” Der frische Stil, in dem Harris mit strahlendem Lächeln den Amtsinhaber angriff, ohne jemals persönlich beleidigend, demütigend oder vulgär zu werden, markiert den ersten scharfen Kontrast zwischen. Lesen Sie auch: Donald Trumps verzweifelter Wahlkampf: Er oder die Apokalypse