Frankfurt/Main. Vor Gericht hat Neonazi Stephan E. gestanden, den CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet zu haben. Die Tat nennt E. „unentschuldbar“.
- Im Lübcke-Mordprozess hat der Hauptangeklagte Stephan E. ein Geständnis abgelegt
- Über seinen Anwalt ließ er mitteilten, dass er den tödlichen Schuss auf den CDU-Politiker Walter Lübcke abgegeben hat
- Stephan E. hatte zunächst die Tat zugegeben und dann sein Geständnis widerrufen
Walter Lübcke ist kein Mann, der sich leicht einschüchtern lässt. „Verschwinden Sie“, herrscht er, im Gartenstuhl sitzend, die Eindringlinge auf seiner Terrasse an. „Beweg dich nicht“, hatte Stephan E. gesagt. „Du sollst dich nicht bewegen“, ruft er erneut, als Lübcke doch aufstehen will. Dann drückt er ab, ein Pistolenschuss aus nächster Entfernung.
„Ich glaube, ich habe ihn am Kopf erwischt“, sagt er auf der Flucht zu seinem Freund Markus H. So schildert E. am Mittwoch vor dem Frankfurter Oberlandesgericht die Mordnacht vom 1. auf den 2. Juni 2019. Das Geständnis trägt er nicht selbst vor, sondern sein Verteidiger Mustafa Kaplan. Die Aussage hatte E.s Ex-Verteidiger, dem die Pflichtverteidigung in der vergangenen Woche entzogen worden war, zuvor angekündigt (Az.: 5-2 StE 1/20, 5a - 3/20).
Etwa 20 Minuten lang liest er eine Erklärung mit 15 Punkten vor. E. ist zu aufgewühlt, Fragen will er zunächst erst in der nächsten Sitzung am Freitag beantworten. E. entschuldigt sich bei der Witwe und den zwei Söhnen des früheren CDU-Politikers und Kasseler Regierungspräsidenten.
Stephan E. gesteht Schuss auf Lübcke – und entschuldigt sich
Was er getan habe, tue ihm sehr leid – drei Mal wiederholt Kaplan die Beteuerung. Es sei und bleibe „unentschuldbar“. Der Mord sei „falsch, feige und grausam“ gewesen. Niemand müsse sterben, nur weil er eine andere Meinung habe.
Er habe sich von „falschen Gedanken und falschen Personen“ leiten lassen. Er übernehme für den Mord „die Verantwortung“. Gemeint sind zunächst die rechtsextreme Szene, zu der er jahrelang gehörte, auf jeden Fall auch der gewalttätige und fremdenfeindliche Vater und vor allem der mitangeklagte Markus H.
Der habe ihn radikalisiert, habe das Opfer ausgesucht, Ort und Zeitpunkt der Tat diktiert und die Waffen besorgt. H. ist auch der erste, der Lübcke kurz vor Mitternacht auf der Terrasse seines Hauses in Wolfshagen-Istha überrascht – mit den Worten „Zeit zum Auswandern“.
Es ist eine zynische Anspielung auf einem Auftritt Lübckes Jahre zuvor auf einer Bürgerversammlung, auf der er Angela Merkels Flüchtlingspolitik und das Grundgesetz verteidigte und sinngemäß ausführte, wer diese Werte nicht teile, der könne das Land verlassen. Und dafür soll er jetzt büßen, die beiden Neonazis wollen ihn zur Rede stellen und zunächst „nur“ schlagen, aber der Waffeneinsatz ist immer eine Option. „Wenn der blöd kommt, dann schießt Du“, befiehlt H. seinem Freund.
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Empörung über ein Video von der Polizeivernehmung
Begonnen hatte der Verhandlungstag mit einem Befangenheitsantrag. H.s Verteidiger halten den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel für voreingenommen. Sie werfen ihn vor, er sei nicht eingeschritten, nachdem in der vergangenen Woche das Video einer früheren Vernehmung von E. durch die Polizei in Medien aufgetaucht war.
Der Prozess geht indes erst mal weiter. Das Geständnis war schon die dritte Aussage von E. Nach seiner Festnahme Mitte Juni 2019 hatte er schon mal gestanden, dann jedoch im Januar 2020 widerrufen und damals auch erstmals Markus H. belastet. Nun also das erste Geständnis vor Gericht.
Steckt ein rechtsextremes Netzwerk hinter dem Lübcke-Mord?
Er tut es freiwillig, mit Ansage, er wurde nicht in die Enge getrieben, war nicht in der Drucksituation eines polizeilichen Verhörs, sondern blickte mit dem zeitlichen Abstand von mehr als einem Jahr zurück. Und: Die Version vom Mittwoch passt zu den polizeilichen Ermittlungen.
In den nächsten Wochen wird das Gericht zu klären haben, ob es die Aussage für glaubhaft hält. Es wird die Rolle von H. beleuchten und auch der Frage nachgehen, ob E. wirklich ein Einzeltäter war oder ob hinter ihm ein rechtsextremes Netzwerk steht.
Ende Juli hatte der Sohn von Walter Lübcke, Jan-Hendrik Lübcke, eine bewegende Aussage im Prozess gemacht. Er hatte seinen Vater erschossen aufgefunden. Von einem normalen Alltag sei die Familie weit entfernt, hatte der Unternehmer erklärt. „Es wird nie wieder so sein.“