Berlin. Mit der Antirassismus-Bewegung stehen in vielen Länder Denkmäler in Frage. Auch hier wird debattiert: Wie viel Ehre für Kolonialisten?

Das Gesicht des Reichskanzler ist rot, der Kragen seines Uniformmantels ebenso. Auch an seinen Händen klebt die rote Farbe, die wie Blut aussieht. Wer die Statue Otto von Bismarcks in Hamburg am Wochenende eingefärbt hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber: Die Debatte um die Frage, ob der Platz auf dem Sockel zentralen Figuren des Kolonialismus und der Ausbeutung gebührt, ist in Deutschland angekommen.

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Vor dem Hintergrund der globalen Antirassismus-Bewegung stürzen derzeit in vielen Ländern die Denkmäler: Im englischen Bristol versenkten Teilnehmer einer „Black Lives Matter“-Demonstration die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Hafen, in Belgien konzentriert sich die Wut auf Abbilder König Leopolds II., der eine grausame Kolonialherrschaft im Kongo zu verantworten hat.

Die Demonstranten forcieren damit einen Auseinandersetzung mit einem dunklen Teil europäischer Geschichte, der bis heute nachwirkt. Auch in Deutschland werden jetzt die Stimmen lauter, die auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte drängen.

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Deutschland wird spät zur brutalen Kolonialmacht

Verglichen mit den europäischen Nachbarn wurde das Kaiserreich spät zur Kolonialmacht, baute dafür aber umso schneller seine Macht aus. Zwischen 1884, als auf dem Gebiet des heutigen Namibias „Deutsch-Südwestafrika“ deklariert wurde, und dem ersten Weltkrieg entstand das der Fläche nach viertgrößte Kolonialreich der Welt. Dazu gehörten das heutige Kamerun, Togo, Tansania, Burundi, Ruanda sowie Gebiete in China, Samoa und in Mikronesien.

Und die kolonialen Verflechtungen Deutschlands beschränken sich nicht auf diese Jahrzehnte, sagt der Historiker Jürgen Zimmerer, einer der führenden Forscher zum deutschen Kolonialismus. Deutsche profitierten vom Sklavenhandel, deutsche Firmen waren bis in die 1970er Jahre am Handel in Kolonialgebieten beteiligt.

Dass sie dabei vergleichsweise „gute“ Kolonialisten gewesen seien, sei ein Mythos, der sich bis heute hält, sagt Zimmerer. „Die deutsche Kolonialherrschaft war äußerst brutal, nicht nur in Namibia, sondern überall, das hat die Forschung in den letzten Jahren herausgearbeitet.“

Statue von Leopold II. erhitzt die Gemüter in Kinshasa

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    Deutschland führt Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama

    In Namibia aber herrschte Deutschland am brutalsten. Der Vernichtungskrieg gegen die Völker der Herero und Nama, bei dem rund 80.000 Menschen starben, gilt heute als erster Genozid des 20. Jahrhunderts.

    Die Bundesrepublik will sich für dieses Verbrechen entschuldigen. Mit der namibischen Regierung laufen deshalb Gespräche über eine Entschuldigung für den Genozid und die Möglichkeiten einer Wiedergutmachung – seit fünf Jahren schon.

    Dass es so lange dauern würde, hätte er nicht erwartet, sagt Ruprecht Polenz, Verhandlungsführer auf deutscher Seite und ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Geeinigt habe man sich bereits auf einen gemeinsamen Text, in dem die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 eindeutig als Völkermord bezeichnet werden.

    Die Bitte um Entschuldigung dafür werde „von hochrangiger deutscher Stelle und in der geeigneten Form“ in Namibia zum Ausdruck gebracht werden, so Polenz. Offen ist indes noch, welche materiellen Konsequenzen ergeben – die Bundesregierung wolle „längerfristige und substanzielle Beiträge leisten“, die verbliebenen Wunden und konkreten Benachteiligungen von Herero und Name zu lindern, zum Beispiel mit Berufsförderzentren.

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    Doch wie hoch diese Beiträge sein sollen und wie lange sie gezahlt werden sollen, darüber besteht noch Uneinigkeit. Mittlerweile sei ein erfolgreiches Ende der Gespräche absehbar, sagt Polenz dieser Redaktion: „Ich bin optimistisch, dass wir vor der nächsten Bundestagswahl eine Einigung haben werden.“ Vertreter der Herero und Nama beklagen allerdings seit langem, dass sie nicht an den Gesprächen teilnehmen - von der namibischen Regierung fühlen sie sich nicht repräsentiert.

    Denkmäler und Straßen nach Verbrechern benannt?

    Mit dem Ende der Verhandlungen soll dieses Kapitel aber nicht abgeschlossen sein, betont er. „Wir führen keine Schlussstrich-Verhandlungen.“ Die Einigung soll stattdessen eine Grundlage legen für einen Versöhnungsprozess zwischen den beiden Ländern. Und auch andere ehemalige Kolonien hätten ein Anrecht auf Aufarbeitung, so der CDU-Politiker: „Wir sollten das Gespräch mit denen Suchen, die in Togo, Namibia, Kamerun und anderen ehemaligen deutschen Kolonien mit den Nachwirkungen und Erinnerungen an diese Zeit leben.“

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    Auch Oppositionsparteien drängen auf eine ernsthafte Debatte über die Folgen deutscher Kolonialherrschaft: Er sehe die Bundesregierung in der Pflicht, konkrete Gespräche mit ehemaligen deutsch besetzten Staaten zu führen und deren Meinung einzuholen, erklärte Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag.

    Auch Kirsten Kappert-Gonther, Kulturpolitikerin der Grünen-Fraktion, fordert einen kritischen Umgang – mit den Denkmälern, aber auch mit Straßennamen oder Einrichtungen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind. Die Kulturpolitiker seien gefordert, jetzt einen bundesweiten Überblick über bestehende Kolonialdenkmäler zu schaffen. In jedem Fall müssten die Nachfahren der Kolonisierten eine entscheidende Stimme haben. „Mit der bloßen Beifügung von Infotafeln ist es sicher nicht getan“, sagte Kappert-Gonther.

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    Rassismus soll sichtbar gemacht werden

    Es möge Gründe geben, Denkmäler zu demontieren, sagte auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Sie kritisierte aber den Abbau von Statuen durch Demonstranten: Man solle sich davor hüten, „die schwierigen Spuren unserer Geschichte im öffentlichen Raum einfach zu tilgen“, sagte Grütters dieser Redaktion.

    Einem „Bildersturm“ müsse eine gesellschaftliche Debatte vorangehen. Mit „rabiaten Spontanaktionen“ würden sich Aktivisten sich dem Verdacht aussetzen, eine inhaltliche Auseinandersetzung verhindern zu wollen.

    Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmer plädiert dafür, die Denkmäler nicht abzubauen, aber zu verändern. „Ich bin Historiker, und Historiker haben ein Interesse das Quellen erhalten bleiben“, sagt er. „Aber man muss sie entheroisieren und den kolonialistischen Rassismus, der ihnen innewohnt, sichtbar machen.“

    Gehen könnte das zum Beispiel, in dem man die Skulpturen hinlegt, auf den Kopf stellt oder halb eingräbt. Um Sehgewohnheiten und Wirkung der Statuen zu brechen, wie Zimmerer sagt. Das habe den Mehrwert, dass man immer noch wüsste, wo sie standen und dass frühere Gesellschaften diese Leute ehren wollten – „das an sich ist ja auch interessant.“