Berlin/Bristol/Antwerpen. Die Anti-Rassismus-Proteste befeuern in Europa den Streit um dem Umgang mit der Kolonialzeit. In England und Belgien stürzen Denkmäler.

Die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd ändern auch die Betrachtung der oftmals glorifizierten Vergangenheit europäischer Länder. Im englischen Bristol haben Demonstranten bei Anti-Rassismus-Protesten die Statue des britischen Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen.

Dabei blieb es nicht: Die Statue des in weiten Teilen der britischen Gesellschaft verehrten Kriegspremiers Winston Churchill in London wurde mit dem Schriftzug „was a racist“ („war ein Rassist“) besprüht. In der Universitätsstadt Oxford war für Dienstag ein Protest an der Statue von Cecil Rhodes (1853–1902) geplant. Der Bergbau-Unternehmer spielte eine große Rolle in der kolonialen Unterwerfung des südlichen Afrikas durch Großbritannien. Seit Jahren wird gefordert, dass seine Statue entfernt wird.

In Belgien „stürzt“ König Leopold II. vom Sockel

Auch in Belgien stürzt ein einstmals verehrter „Säulenheiliger“. Als Reaktion auf die Proteste tausender Belgier gegen Rassismus haben die Behörden in Antwerpen eine Statue des früheren Königs Leopold II. entfernt. Wegen der brutalen belgischen Kolonialherrschaft im Kongo im 19. und 20. Jahrhundert ist das Andenken an den damaligen Monarchen umstritten.

In Bristol hatten Demonstranten die gut fünf Meter hohe Bronzestatue des Sklavenhändlers Colston am Sonntag unter Beifallsbekundungen in den Fluss Avon geworfen. Seit Tagen gibt es in Großbritannien Demonstrationen gegen Rassismus als Reaktion auf Floyds Tod bei einem brutalen Polizeieinsatz in der US-Stadt Minneapolis. Dabei kam es auch zu Gewalt, 35 Polizisten wurden verletzt.

Auf die Statue des Kriegspremiers Winston Churchill am Parliament Square in London haben Demonstranten die Worte „was a racist“ („war ein Rassist“) gesprüht.
Auf die Statue des Kriegspremiers Winston Churchill am Parliament Square in London haben Demonstranten die Worte „was a racist“ („war ein Rassist“) gesprüht. © Getty Images | Dan Kitwood

London will alle Straßennamen und Statuen überprüfen lassen

Premierminister Boris Johnson ließ die Gewalt am Montag als „inakzeptabel“ verurteilen und erklären, der Denkmalssturz sei eine Straftat, die verfolgt werden müsse. „Wir verstehen die starken Überzeugungen vollkommen, aber in diesem Land regeln wir unsere Streitigkeiten auf demokratische Weise“, betonte ein Sprecher.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan dagegen reagierte im Sinne der Demonstranten und will eine neu eingerichtete Kommission prüfen lassen, wie in der Hauptstadt mit entsprechenden Straßennamen und Statuen umgegangen werden soll. „Wir sollten nicht Menschen, die Sklavenhändler waren, gedenken oder ihnen ein Denkmal setzen“, sagte Khan dem Sender Sky News.

Colston finanzierte seine Wohltaten für Bristol mit dem Sklavenhandel

Edward Colston war im 17. Jahrhundert ein hochrangiger Vertreter der Royal African Company, die hunderttausende Männer, Frauen und Kinder aus Westafrika in die Sklaverei nach Nordamerika und in die Karibik schickte. Gleichzeitig unterstützte er Schulen, Krankenhäuser und Armenhäuser in Bristol mit hohen Geldsummen und machte sich damit einen Namen als Wohltäter, was ihm gut zwei Jahrhunderte später ein Denkmal einbrachte.

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    Die Denkmalbehörde Historic England erklärte, die Bewohner müssten nun entscheiden, was mit der gestürzten Statue geschehen solle. „Wir glauben nicht, dass sie wieder aufgestellt werden sollte“. Das Denkmal sei ein „Symbol der Ungerechtigkeit und eine Quelle großen Schmerzes für viele Menschen“ gewesen.

    Bristols Konzerthalle Colston Hall sucht einen neuen Namen

    Bristols Bürgermeister Marvin Rees sagte, seiner Meinung nach gehöre die Statue mit Plakaten der sonntäglichen Black-Lives-Matter-Demonstration in ein Museum. Er könne die Zerstörung des Denkmals „nicht gutheißen“, doch handele es sich um einen „Moment mit Kultcharakter“, sagte Rees, der jamaikanische Vorfahren hat, der BBC. Dass diese Statue im Zentrum von Bristol gestanden habe, habe er stets als „persönliche Beleidigung“ empfunden.

    Die Bristoler Konzerthalle Colston Hall erklärte, die Proteste bestärkten Pläne für eine Namensänderung: „Der gegenwärtige Name spiegelt unsere Werte als fortschrittliche und offene Kunstorganisation nicht wider“. Es solle ein neuer Name gefunden werden, der „Hoffnung, Vielfalt und Inklusion“ repräsentiert. Lesen Sie dazu: „Black Lives Matter“: Die Welt steht auf gegen Rassismus

    Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton: „Stürzt alle Denkmäler dieser Art“

    Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton will alle Statuen für Sklavenhändler fallen sehen.
    Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton will alle Statuen für Sklavenhändler fallen sehen. © dpa | Britta Pedersen

    Der britische Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton (35) bezeichnete Colston als „Monster“ und forderte, sämtliche derartigen Denkmäler zu schleifen. Der dunkelhäutige Brite postete bei Instagram ein Foto der Anti-Rassismus-Demonstration in Bristol, bei der die Colston-Statue umgestoßen wurde.

    Hamilton kommentierte das Bild mit den Worten: „Unser Land hat einen Mann geehrt, der afrikanische Sklaven verkauft hat! Alle Statuen von rassistischen Männern, die Geld mit dem Verkauf eines Menschen verdient haben, sollten abgerissen werden. Welche ist die nächste?“

    Hamiltons Großeltern väterlicherseits stammen von der Karibikinsel Grenada. Sie waren in den 1950er-Jahren nach Großbritannien ausgewandert.

    Ein „Henker, der zehn Millionen Kongolesen getötet hat“

    Auch in Belgien wird darüber diskutiert, wie mit der öffentlichen Verherrlichung der Kolonialzeit umgegangen werden soll. Wie die Nachrichtenagentur AFP aus vertraulichen Quellen erfuhr, soll die in Antwerpen entfernte Statue Leopolds II. künftig im Depot eines örtlichen Museums aufbewahrt werden. Seit Beginn der Proteste wurden mehrere Statuen und Büsten des Königs beschmiert.

    Die Gruppe „Réparons L’Histoire“ (Die Geschichte reparieren), die sich für die Aufarbeitung der belgischen Kolonialverbrechen einsetzt, forderte die Entfernung aller Denkmäler für Leopold II., der Belgien von 1865 bis 1909 regierte. Sie bezeichnete den König, „der für einige ein Held“ sei, als „Henker, der zehn Millionen Kongolesen getötet hat“.

    Belgiens Kolonialregime gilt Historikern als besonders gewalttätig

    Im Namen der „Zivilisationsmission“ Belgiens im Kongo errichtete Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts ein Kolonialregime, das von Historikern als eines der gewalttätigsten der Geschichte bezeichnet wird. Rohstoffe wie Kautschuk plünderten die belgischen Kolonialherren durch Sklaverei und Gewalt systematisch aus. (max/dpa/afp)