Washington. In den USA wächst die Sorge: Bleibt Präsident Trump im Fall einer knappen Niederlage bei der Wahl im November einfach im Weißen Haus?

Die schlechte Nachricht aus Sicht der Demokraten in Amerika zuerst: Joe Biden, der Mann, der im November Donald Trump ablösen will, hat seine größte Sorge vor dem 3.11. so beschrieben: „Dieser Präsident wird versuchen, die Wahl zu stehlen” und sich im Falle einer Niederlage einer Machtübergabe möglicherweise verweigern.

Die gute Nachricht (ebenfalls aus Sicht der Demokraten): Sollte es so kommen, wird das Militär den White House-Besetzer „hinaus eskortieren”. Davon, so Biden, „bin ich absolut überzeugt”.

Die Zitate mögen wahlweise nach Wahlkampf oder Bananenrepublik schmecken. Aber sie sind echt und nicht allein auf Bidens Mist gewachsen. In den USA wächst fünf Monate vor dem Tag der Entscheidung die Befürchtung, dass Donald Trump tatsächlich versucht sein könnte, die demokratischen Spielregeln auszuhebeln.

Biden siegt, Trump bleibt trotzdem im Amt – mögliches Szenario?

Für Lawrence Douglas sieht der politische Albtraum in Amerika in fünf Monaten ziemlich genau so aus: Der Demokrat Joe Biden wird am 3. November von allen führenden TV-Networks im Laufe des Abends mit knappem Vorsprung zum Sieger der Präsidentschaftswahlen ausgerufen. Bis auf Fox News. Der Haus- und Hofsender des Amtsinhabers, quotenstärkstes News-Medium in Amerika, hält sich bedeckt.

Weil der Wahltag mitten in einer zweiten Coronavirus-Welle stattfindet, ist die Wahlbeteiligung historisch gering. Aber Millionen, viel mehr als sonst, haben vorher per Briefwahl abgestimmt. Bis die von Bundesstaat zu Bundesstaat ausgezählt ist, dauert es Tage. Wenn nicht Wochen.

Donald Trump macht sich die Hängepartie zunutze, raunt was von finsteren Mächten und „korrupten Demokraten”. Mehr noch: Er weigert sich, seine Niederlage einzugestehen und spricht mit Emphase an seine Anhänger gerichtet von „gigantischem Wahlbetrug“.

Mit diesem Einstieg beginnt Lawrence Douglas sein just erschienenes Denkspiel. Übersetzt heißt das spannend zu lesende Buch: „Wird er gehen? Trump und die sich anbahnende Kernschmelze bei der Wahl 2020”. Womit klar ist, dass es sich nicht um Polit-Science-Fiction für den kleinen Grusel zwischendurch handelt.

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    Könnte Donald Trump trotz Niederlage im Weißen Haus bleiben?

    Douglas, der renommierte Politik- und Rechtsgelehrte des Amherst-College in Massachusetts, meint es bitter ernst. Er hält sein Szenario für „absolut möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich”. Und trifft damit heute, wo Trump in Möchtegern-Diktator-Pose Demonstranten nach dem Polizei-Gewaltakt gegen George Floyd in Minneapolis

    wütend mit dem Militär droht

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      und Widersacher wie den TV-Moderator Jon Scarborough mit haltlosen Mordvorwürfen überzieht, einen Nerv.

      Was, wenn sich Donald Trump im Falle einer Niederlage tatsächlich seiner Ablösung zu entziehen versucht, die laut amerikanischer Verfassung am 20. Januar nächsten Jahres die nahtlose Übergabe der Macht vorsieht? Was, wenn sich der Rechtspopulist mit Hilfe von steigbügelhaltenden Propaganda-Medien und einem leicht entflammbaren Milizen-Mob in der Hinterhand ins Recht setzt und einfach im Weißen Haus bleibt?

      Diese Fragen werden in den USA immer breiter diskutiert. Und das nicht in Verschwörungstheoretiker-Kreisen. Oder beim HBO-Polit-Talker Bill Maher, der die Prognose eines demokratischen GAU`s bereits im vergangenen Jahr abgab. Der renommierte neokonservative Historiker Robert Kagan, der einst Präsident George W. Bush die Irak-Invasion intellektuell schmackhaft gemacht hat, sah erst in dieser Woche Anlass zu einer „Frühwarnung“.

      Trumps aufsehenerregendste Aussagen zum Coronavirus

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        Donald Trump inszeniert sich symbolträchtig vor der St. John's Kirche mit einer Bibel in der Hand.
        Donald Trump inszeniert sich symbolträchtig vor der St. John's Kirche mit einer Bibel in der Hand. © AFP | BRENDAN SMIALOWSKI

        Seine These: Nur Kabinett, Kongress, Gerichte und das Militär könnten einen Präsidenten wirksam daran hindern, die amerikanische Demokratie zu untergraben. Im Kreis seiner Minister habe Trump aber wenig bis gar nichts zu befürchten.

        Justizminister William Barr habe sich bisher als rücksichtsloser Privat-Anwalt Trumps geriert statt als Sachwalter der Verfassung im Interesse des amerikanischen Volkes. Im Parlament halte die republikanische Senatsmehrheit unter Mitch McConnell stramm zu Trump, wenn der nach dem gescheiterten Amtsenthebungsverfahren wegen der Ukraine-Affäre noch massiver versucht, die Bundespolizei FBI wahlweise abzustrafen oder für seine politischen Rachefeldzüge einzuspannen.

        Dass der Oberste Gerichtshof, an den Trump früh zwei erzkonservative Richter (Gorsuch und Kavanaugh) bugsierte und damit die Mehrheitsverhältnisse tendenziell zu seinen Gunsten gekippt hat, sich dem Chef der Exekutive entgegenstellt, sei ebenfalls eher unwahrscheinlich.

        Bliebe noch die Armee. Kagan ist, alarmierend genug, nicht hundertprozentig sicher, dass sich die Streitkräfte einem Einsatzbefehl ihres Commander-in-Chief im Inneren tatsächlich widersetzen würden, wenn die Wahl knapp ausgeht, der Präsident Betrug und Einflussnahme durch ausländische und inländische Akteure geltend macht, sich darum auf den Straßen heiße Proteste entwickeln und Trump (wie bereits in diesen Tagen wegen Minneapolis geschehen) zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung gegen „Aufruhr” und „Inlandsterrorismus” Soldaten in Marsch setzt. „Wird das Schicksal unseres demokratischen Experiment davon abhängen, ob sich das Militär weigert zu gehorchen?“ fragt Kagan.

        Tod von George Floyd – Fotos der Unruhen

        Es sind erschreckende Bilder aus den USA, die derzeit um die Welt gehen: ausgebrannte Autowracks, Tränengas, zerstörte Gebäude. Das ganze Land ist in Aufruhr, seit der unbewaffnete Schwarze George Floyd von einem weißen Polizisten in Minneapolis minutenlang zu Boden gedrückt wurde und starb.
        Es sind erschreckende Bilder aus den USA, die derzeit um die Welt gehen: ausgebrannte Autowracks, Tränengas, zerstörte Gebäude. Das ganze Land ist in Aufruhr, seit der unbewaffnete Schwarze George Floyd von einem weißen Polizisten in Minneapolis minutenlang zu Boden gedrückt wurde und starb. © AFP | Stephen Maturen
        Der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd starb am 25. Mai nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis. Der 44-jährige Polizist Derek Chauvin drückt Floyd minutenlang sein Knie in den Nacken und ignoriert dabei Bitten von Floyd, ihn atmen zu lassen. Die vier beteiligten Beamten wurden mittlerweile entlassen. Polizist Chauvin wurde wegen Mordes angeklagt.
        Der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd starb am 25. Mai nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis. Der 44-jährige Polizist Derek Chauvin drückt Floyd minutenlang sein Knie in den Nacken und ignoriert dabei Bitten von Floyd, ihn atmen zu lassen. Die vier beteiligten Beamten wurden mittlerweile entlassen. Polizist Chauvin wurde wegen Mordes angeklagt. © AFP | DARNELLA FRAZIER
        Nach dem Tod von George Floyd legten Menschen in Minneapolis Blumen nieder. In den darauffolgenden Tagen kam es zu immer größeren Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt.
        Nach dem Tod von George Floyd legten Menschen in Minneapolis Blumen nieder. In den darauffolgenden Tagen kam es zu immer größeren Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. © AFP | KEREM YUCEL
        Am 26. Mai protestierten Demonstranten auf der Hiawatha Avenue in Minneapolis. Die Proteste eskalierten zunehmend.
        Am 26. Mai protestierten Demonstranten auf der Hiawatha Avenue in Minneapolis. Die Proteste eskalierten zunehmend. © AFP | Stephen Maturen
        Am 27. Mai versammelten sich Demonstranten zu einer zweiten Nacht der Proteste in der US-Stadt Minneapolis. Am Abend bildet die Polizei eine menschliche Barrikade um den Dritten Bezirk. Dort hatten die Beamten gearbeitet, die beschuldigt werden, George Floyd getötet zu haben.
        Am 27. Mai versammelten sich Demonstranten zu einer zweiten Nacht der Proteste in der US-Stadt Minneapolis. Am Abend bildet die Polizei eine menschliche Barrikade um den Dritten Bezirk. Dort hatten die Beamten gearbeitet, die beschuldigt werden, George Floyd getötet zu haben. © AFP | KEREM YUCEL
        Die Proteste in Minneapolis schlugen in Gewalt um. Autos und Mülltonnen brannten, Geschäfte wurden geplündert, Häuser beschädigt.
        Die Proteste in Minneapolis schlugen in Gewalt um. Autos und Mülltonnen brannten, Geschäfte wurden geplündert, Häuser beschädigt. © AFP | Jose Luis Magana
        Auch in anderen US-Städten wie hier in Los Angeles protestierten Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt.
        Auch in anderen US-Städten wie hier in Los Angeles protestierten Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt. © AFP | AGUSTIN PAULLIER
        In Las Vegas gingen die Menschen in den vergangenen Tagen auch auf die Straße. Truppen der Nationalgarde patrouillierten nach mehreren Nächten voller Proteste, in denen es auch zu Brandstiftung und Plünderungen kam. In Las Vegas schwebte ein Beamter in Lebensgefahr, nachdem ein Angreifer ihm in den Kopf geschossen hatte.
        In Las Vegas gingen die Menschen in den vergangenen Tagen auch auf die Straße. Truppen der Nationalgarde patrouillierten nach mehreren Nächten voller Proteste, in denen es auch zu Brandstiftung und Plünderungen kam. In Las Vegas schwebte ein Beamter in Lebensgefahr, nachdem ein Angreifer ihm in den Kopf geschossen hatte. © AFP | BRIDGET BENNETT
        Wasser und Milch half Demonstranten, die während eines Protestes am 1. Juni in der Innenstadt von Washington DC, Pfefferspray in die Augen bekommen hatten.
        Wasser und Milch half Demonstranten, die während eines Protestes am 1. Juni in der Innenstadt von Washington DC, Pfefferspray in die Augen bekommen hatten. © AFP | Drew Angerer
        Auch Anfang Juni gingen die Proteste weiter – während es mancherorts zu weiteren Ausschreitungen kam, blieben viele Demonstrationen friedlich. So auch direkt vor dem Amtssitz des US-Präsidenten Donald Trump. Doch dies hinderte Trump nicht daran, bei einem öffentlichen Auftritt Tränengas gegen die Demonstranten einsetzen zu lassen.
        Auch Anfang Juni gingen die Proteste weiter – während es mancherorts zu weiteren Ausschreitungen kam, blieben viele Demonstrationen friedlich. So auch direkt vor dem Amtssitz des US-Präsidenten Donald Trump. Doch dies hinderte Trump nicht daran, bei einem öffentlichen Auftritt Tränengas gegen die Demonstranten einsetzen zu lassen. © AFP | ROBERTO SCHMIDT
        Auf dem Weg zu einem Fototermin setzten vor ihm gehende Sicherheitskräfte Tränengas gegen friedlich Demonstrierende ein – um ihm dem Weg zum Fototermin freizuräumen.
        Auf dem Weg zu einem Fototermin setzten vor ihm gehende Sicherheitskräfte Tränengas gegen friedlich Demonstrierende ein – um ihm dem Weg zum Fototermin freizuräumen. © AFP | BRENDAN SMIALOWSKI
        Danach ließ sich Trump medienwirksam – mit einer Bibel in der Hand – vor einer von Protestierenden mit Graffiti beschmierten Kapelle ablichten.
        Danach ließ sich Trump medienwirksam – mit einer Bibel in der Hand – vor einer von Protestierenden mit Graffiti beschmierten Kapelle ablichten. © dpa | Patrick Semansky
        Auch außerhalb der USA wurde mittlerweile protestiert. Vor der US-Botschaft in Paris zeigen Demonstranten Plakate mit der Aufschrift „Wir sind alle George Floyd“.
        Auch außerhalb der USA wurde mittlerweile protestiert. Vor der US-Botschaft in Paris zeigen Demonstranten Plakate mit der Aufschrift „Wir sind alle George Floyd“. © AFP | BERTRAND GUAY
        Undauch junge Mitglieder der griechischen Kommunistischen Partei protestierten in Athen vor der US-Botschaft nach dem Tod von George Floyd.
        Undauch junge Mitglieder der griechischen Kommunistischen Partei protestierten in Athen vor der US-Botschaft nach dem Tod von George Floyd. © AFP | ARIS MESSINIS
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        Trump will Ausweitung der Briefwahl-Option verhindern

        Dreh- und Angelpunkt der Besorgten ist die frische Breitband-Attacke des Präsidenten auf die von vielen Bundesstaaten wegen des Coronavirus bereits verabschiedete oder noch geplante Ausdehnung der Briefwahlmöglichkeiten vor dem 3. November.

        Ohne jeden Beleg und gegen jede offizielle Statistik behauptet Trump, dass „mail-in ballots” in der „am meisten gezinkten Wahl in der Geschichte Amerikas” enden würden. Bundesstaaten, die sich daran beteiligten, würden mit Entzug von Finanzmitteln bestraft, drohte Trump kürzlich und kassierte dafür massive Kritik auch aus republikanischen regierten Regionen.

        Mit seinem Einschüchterungsversuch und der These Briefwahl = Betrug verfolgt Trump nach Ansicht von Richard L. Hasen das Ziel, „bei seinen Anhängern das Vertrauen in die Fairness und Integrität der Wahlen zu unterlaufen”. Der Professor für Politik an der Universität von Kalifornien/Irvine ist überzeugt, dass Trump das Klima für eine politische Krise und sogar Unruhen schaffen werde, „sollte er verlieren”.

        Schon bei der letzten Wahl sprach Trump ohne jedes Indiz von „Wahlbetrug“

        Hasen und andere erinnern daran, dass Trump bereits 2016 vor der Wahl erklärte, er werde keine Niederlage eingestehen. Nach seinem Sieg, den Ausschlag gaben knapp 70.000 Stimmen in den Bundesstaaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, behauptete er ohne jedes Indiz, dass seine Konkurrentin Hillary Clinton Nutznießerin eines millionenfachen Wahlbetrugs geworden sei.

        Seit Trump, der wegen Corona und seiner nicht vorhandenen Anti-Rassismuspolitik nach Minneapolis in den Umfragen teils weit hinter Biden zurückgefallen ist und aus allen Rohren gegen die Briefwahl agitiert, werden manche seiner Sätze neu gelesen und sorgen für Schluckbeschwerden: dass die Verfassung ihm erlaube zu tun, „was immer ich will”, dass „nur ein toter Demokrat ein guter Demokrat ist”, wie er jüngst per Twitter-Retweet bekunden ließ.

        Trump, der Normenbrecher: Wird er sich an die Verfassung halten?

        Joe Biden möchte für die Demokraten ins Weiße Haus ziehen.
        Joe Biden möchte für die Demokraten ins Weiße Haus ziehen. © AFP | JIM WATSON

        Lawrence Douglas` will erkannt haben, dass es in der US-Verfassung keine wirksamen „Leitplanken” gibt, falls Trumps es wirklich darauf anlegen sollte, sich über den Wählerwillen hinwegzusetzen. Die Verfassungsväter seien davon ausgegangen, dass Entscheidungsträger Normen leben und befolgen. Trump wiederum sei von Haus aus Normenbrecher und werde darin vom republikanischen Establishment bestärkt und von Medien wie Fox News belohnt. Lesen Sie hier: Darum droht den USA bei einer Abwahl von Donald Trump ein Bürgerkrieg.

        Die einzige Möglichkeit, dem Chaos zu entkommen, zu dem Trump im November fähig und willens sei, sollte ihm die Wiederwahl entgleiten, sei seine Deklassierung an der Wahlurne. Je größer der Vorsprung von Joe Biden, sagt Douglas, desto kleiner Trumps Chancen Zwietracht und Zweifel zu säen.

        An dieser Stelle kommt kurz einer der hartleibigsten konservativen Kritiker Trumps ins Spiel. George Will, der wortgewaltige Kommentator der Washington Post, schrieb neulich, dass er „ziemlich zuversichtlich” sei, dass Trump die Wahl am 3. November verliert. Und dass „sich schon am nächsten Morgen” viele Republikaner brutal abwenden würden. Tenor: „Trump? Den Namen kenne ich nicht.”

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