Washington. Für Donald Trump ist klar, dass China die Verantwortung für die Pandemie trägt – auch, weil er hofft, dass ihm das im Wahlkampf hilft.

Ganz gleich, wie viele Infizierte und Todesopfer die Coronavirus-Epidemie den USA noch bescheren wird - wer hauptsächlich in Haftung genommen werden soll für den in die Billionen gehenden volkswirtschaftlichen Schaden, steht für Donald Trump seit einigen Tagen fest: China. Der US-Präsident weist dem geopolitischen Gegenspieler Nr. 1 die Verantwortung für die Ausbreitung des Virus zu.

Fachleute aus Ministerien und anderen Regierungsbereichen in Washington konzipieren finanzpolitische Strafmaßnahmen, mit denen Peking in Regress genommen werden soll. Dazu zählen dem Vernehmen nach höhere Steuern auf Exportgüter und Sanktionen auf das Prestigeprojekt einer neuen chinesischen „Seidenstraße” als Transportroute bis nach Europa.

Trump will das Riesenreich zudem politisch mit Entschädigungsforderungen unter Druck setzen und so seine Wiederwahlchancen am 3. November verbessern. Das ist der Hintergrund für qualitativ neue Äußerungen Trumps zum Ursprung der globalen Seuche, die seit Donnerstagabend Schlagzeilen schreiben.

Donald Trump behauptet, Beweise zu haben – nennt aber keine Details

Auf die Frage eines Korrespondenten von Fox News, ob er Beweise gesehen habe, die ihm ein „hohes Maß an Vertrauen” gäben, dass das Coronavirus aus dem staatlichen Institut für Virologie in Wuhan/China stamme, erklärte der Präsident im Weißen Haus überraschend: „Ja, das habe ich.“ Details zu nennen, sei ihm allerdings nicht gestattet, ergänzte Trump.

Mit seinen Aussagen ist die seit Tagen in den USA zirkulierende und von China heftig dementierte Theorie, dass der Erreger womöglich durch Schlamperei oder einen Unfall aus dem Labor entwichen ist und sich so über die ganze Welt verbreitet hat, endgültig in der realen Politik angekommen. Bisher hatte Trump nur bestätigt, von den Spekulationen zu wissen.

Geheimdienste untersuchen den Ursprung des Coronavirus

Er, wie auch Außenminister Mike Pompeo, verwies stets darauf, dass die US-Geheimdienste die Genesis der Corona-Epidemie erst vollständig rekonstruieren müssten, bevor man zu klaren Urteilen kommen könne.

Dass diese Arbeit noch nicht abgeschlossen sein kann, ist einer Stellungnahme des kommissarischen Geheimdienstkoordinators Richard Grenell zu entnehmen, der in Personalunion auch US-Botschafter in Deutschland ist. Danach schließen sich die US-Dienste der internationalen Wissenschaftsgemeinde an und stellen fest, dass das Covid-19-Virus „weder von Menschen erschaffen noch genetisch modifiziert wurde”.

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Man untersuche aber „rigoros”, ob der Ausbruch „durch den Kontakt mit infizierten Tieren begann oder aus einem Unfall in einem Labor in Wuhan” resultiere.

Hintergrund: In der chinesischen Stadt gibt es zum einen ein Hochsicherheitslabor, in dem mit gefährlichen Viren und Erregern wissenschaftlich gearbeitet wird. Zudem ist dort eine geringeren Sicherheitsstandards unterliegende Behörde für Seuchenbekämpfung ansässig, in der unter anderem Fledermausviren untersucht werden. Beide Institute liegen nur wenige hundert Meter entfernt von jenem Wildtiermarkt, auf dem das Coronavirus zuerst bei Menschen auftrat.

Donald Trump will China zur Verantwortung ziehen

Weil China sich einer internationalen Untersuchungskommission verweigert, jedes Fehlverhalten abstreitet und die Unfall-Theorie als „böswillig” abtut, glaubt Trump die Regierung in Peking vor sich hertreiben zu können.

Sein Tenor: China hat die Seuche fahrlässig in die Welt gesetzt und erst mit einer Woche Verzögerung international die Alarmglocken geläutet, anstatt die Lage frühzeitig zu kontrollieren und einzudämmen.

„Sie waren dazu entweder nicht in der Lage oder sie haben entschieden, es nicht zu tun, und die Welt hat schwer gelitten”, sagte Trump. Dafür müsse die Regierung von Präsident Xi Jinping zur Verantwortung gezogen werden.

Auch darum versucht die Regierung zurzeit, US-Staatsbürgern juristisch den Boden zu bestellen, um China individuell auf Schadensersatz verklagen zu können. Experten im Umfeld des Justizministeriums halten die Erfolgschancen dafür ungeachtet einer bisher fehlenden wasserdichten Beweislage für „mehr als gering”.

US-Demokraten warnen vor Gegenmaßnahmen Chinas

Ein Detail unter vielen: Zuständig für ein Verfahren wäre nach heutigem Stand der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, den China bisher nicht offiziell anerkannt hat. China-Experten der Demokraten im Kongress warnen vor Gegenmaßnahmen Pekings, falls Trump vergleichbar mit dem seit zwei Jahren laufenden Handelsstreit die Strafkeule auspacken sollte.

Sie schließen aber auch einen Bluff nicht aus. Trump benötige eine Schuldigen, um von den eigenen Fehlern bei der Bewältigung der Coronakrise in den USA abzulenken, sagen sie und erinnern daran, dass es Trump war, der Ende Januar noch ganz anders geklungen hatte.

Am 24. Januar hatte der Präsident auf Twitter erklärt: „China hat sehr hart dafür gearbeitet, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Die Vereinigten Staaten sind für die Bemühungen und die Transparenz sehr dankbar. Es wird wird sich alles zum Guten wenden. Im Namen der amerikanischen Volkes möchte ich besonders Präsident Xi danken!”. Drei Monate später ist von dieser Dankbarkeit nichts mehr zu spüren.