Hagen. Führt Corona das Schulsystem in die Katastrophe? Nein, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft VBE. Die Probleme seien viel älter.

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender der Lehrergewerkschaft VBE (Verband Bildung und Erziehung) hat Befürchtungen zurückgewiesen, Deutschland stehe wegen der Corona-Krise vor einer Bildungskatastrophe. „Lasst die Kirche im Dorf. Wegen einiger Wochen Unterrichtsausfall bricht das System nicht zusammen“, sagte Beckmann dieser Zeitung.

„Ich erinnere an die Umstellung des Schuljahrbeginns von Ostern auf das Ende der Sommerferien Mitte der sechziger Jahre. Dies bedeutete für Millionen von Schülern zwischen Einschulung und Abschlussprüfung den Verlust von mehr als einem halben Schuljahr. Bis heute hat niemand feststellen können, dass dies zu erheblichen Wissenseinbußen geführt hat. Von daher sollten wir aufhören so zu tun, als wären wir wegen einiger Wochen Schulschließung in einer Situation, die nicht lösbar wäre“, sagte der gebürtige Mendener. Der VBE hat 164.000 Mitglieder.

Eltern und Technik entscheiden mit

Beckmann warnte jedoch vor einem „noch schnelleren Auseinanderdriften der Einzelleistungen“. Nicht die bloße Abwesenheit von dem Ort Schule und auch nicht die von den Lehrern gewählten unterschiedlichen Kommunikationswege und Aufgabenmenge seien dafür entscheidend. „Relevant sind vor allem die unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten durch die Eltern, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein digitaler Endgeräte zu Hause und in der Schule sowie die Möglichkeit oder Nichtmöglichkeit, private Nachhilfe hinzukaufen zu können.“

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Das sei aber keine neue Entwicklung. Nur zeige sich die Auswirkung nun stärker als vorher, weil die individuelle Förderung durch die Lehrer nicht mehr wie im regulären Schulbetrieb gewährleistet werden könne. „Die Corona-Krise offenbart, in was für einer Misere wir bereits steckten, weil wir es in Deutschland nicht geschafft haben, den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen spürbar zu entschärfen, obwohl wir spätestens seit der ersten Pisa-Studie Belege für dieses Problems haben, und weil wir es versäumen, diesen Missstand durch den Anspruch auf individuelle Förderung auszugleichen“, kritisierte Beckmann.

„Heruntergekommene Schulgebäude“

Die Bundesländer würden es zulassen, dass die Kinder in heruntergekommenen Schulgebäuden unterrichtet würden. Zudem solle den Schülern zwar Medienkompetenz vermittelt werden, die Voraussetzungen dafür seien bis heute aber nur vereinzelt geschaffen worden. Beckmann: „Was sich jetzt also in aller Deutlichkeit zeigt und nicht mehr verschleiern lässt, sind die grundsätzlichen Defizite und Baustellen unseres Bildungssystems.“

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Die Diskussionen sollten sich daher nicht nur darauf fokussieren, wann die Schulen wieder öffnen könnten, sondern müssten endlich auch darauf abzielen, grundsätzliche Herausforderungen anzugehen, betonte der 68-jährige Pädagoge. „Wir brauchen vielmehr nachhaltige Maßnahmen, die darauf abzielen, leistungsschwache Schüler und die Kinder aus sozio-ökonomisch schlechter gestellten Familien besonders zu fördern“, forderte er. „Es ist der Auftrag der Politik, Schulen endlich so auszustatten, dass sie ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen können.“