Washington. Donald Trump will die US-Wirtschaft mit einem Drei-Stufen-Plan wieder hochfahren. Die Verantwortung allerdings schiebt er anderen zu.
So schnell wie Donald Trump in der Coronavirus-Krise hat wohl noch nie ein Staatsmann den Sprung von nahezu absolutistischen Allüren zu kleinlautem Verantwortungabschieben auf die Entscheidungsebene darunter vollzogen.
Zu Beginn der Woche machte Amerikas Präsident noch „totale Machtbefugnis” für sich geltend. Und (in Verkennung der US-Verfassung) beanspruchte er damit für sich das alleinige Recht darüber zu entscheiden, wann und wie in den USA nach weltweit beispiellosen 33.000 Virus-Toten und über 22 Millionen Arbeitslosen die strengen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zurückgenommen werden – notfalls gegen die im Range von Ministerpräsidenten agierenden Gouverneure der 50 Bundesstaaten.
Corona-Krise: Donald Trump schwenkt von Allmachtsphantasie zu Schmusekurs
Bereits am Donnerstagabend war die Halbwertzeit dieser Allmachtsphantasie abgelaufen und Trump auf Schmusekurs eingeschwenkt. Mehr als einmal betonte Trump bei der Vorstellung eines aus der Nähe betrachtet zeitlich und inhaltlich vage gehalten Drei-Stufen-Plans, mit dem der nahezu stillgelegte Wirtschaftsmotor des Landes behutsam wieder hochgefahren werden soll, dass allein die Gouverneure die Kompetenz besäßen, über die Dauer von Ausgehverboten und anderen Einschränkungen zu befinden, die zur Eindämmung der Pandemie vor circa vier Wochen verhängt wurden.
„Jeder macht basierend auf den von Region zu Region unterschiedlichen Umständen seine Ansagen”, erklärte Trump den Regierungschefs zwischen Kalifornien und New York am Telefon. Er skizzierte die Rolle der Zentralregierung auf einmal als die eines Begleiters, der den Gebietskörperschaften vor allem mit gut gemeintem Rat zur Seite steht.
USA: Fast 4600 Corona-Tote binnen 24 Stunden
Trumps 180-Grad-Rückzieher ereignete sich an einem Tag, der in die Geschichtsbücher eingeht. Binnen 24 Stunden sind in Amerika fast 4600 Menschen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben. „So was macht stumm“, sagte ein Diplomat des Außenministeriums dieser Zeitung. Zum Vergleich: Deutschland verzeichnete bisher insgesamt rund 4000 Corona-Tote.
Wie Regierungskreise in Washington inoffiziell bestätigen, ist der für Trump ungewöhnliche Schritt mit Blick auf den 3. November vor allem wahltaktisch motiviert. „Wenn es in einem Bundesstaat schiefgehen sollte, weil nach der wirtschaftlichen Öffnung die Virus-Verbreitung doch wieder zunimmt und die Krankenhäuser überlastet sind, liegt die Verantwortung dafür beim jeweiligen Gouverneur und nicht im Weißen Haus.”
Dreh- und Angelpunkt bei der Entscheidung, wann Betriebe, Restaurants, Sportstudios, Schulen Freizeitstätten und andere Einrichtungen wieder öffnen können, muss nach Überzeugung von Epidemiologen neben zurückgehenden Infektions- und Sterbezahlen vor allem das durch Tests belegbare Gefühl sein, dass die Durchseuchung wirklich gestoppt ist.
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Donald Trump schiebt Verantwortung an Bundesstaaten ab
Anstatt eine nationale Test-Strategie aufzulegen mit verbindlichen Standards und Grenzwerten, schiebt Trump auch hier die Verantwortung im Kern auf die Bundesstaaten ab. Sie seien es, die für die Materialbeschaffung und Durchführung der Tests zuständig seien, Washington können lediglich Zugänge zu Laboren und Herstellern legen, sagte er sinngemäß.
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Im Einzelfall führt das zu Problemen wie diesen: Im nahezu menschenleeren Montana, mit knapp 400 Infektionen und sieben Toten nach Trumps Lesart geradezu prädestiniert, umgehend wieder auf Normalzustand zu schalten, hat der demokratische Gouverneur Steve Bullock nach eigenen Angaben zwar moderne Testgeräte der Firma Abbott erhalten – nicht aber die dazu gehörenden Testkits. Reaktion aus Washington: Die Bundesstaaten haben bei den Tests das Heft in der Hand.
Johns-Hopkins-Universität: Mehrere Millionen Tests pro Tag nötig
Bullock ist kein Einzelfall. Auch republikanische Gouverneure, die Trump politisch näher stehen, verdrehen regelmäßig die Augen, wenn der Präsident im Tagestakt behauptet, kein Land der Erde teste so viel, so gut und so schnell wie Amerika. Was ausweislich offizieller Zahlen unzutreffend ist.
Zwar wurden bisher rund 3,5 Millionen Amerikaner auf Corona untersucht; in der vergangenen Woche circa 150.000 am Tag. Um ein Land mit 330 Millionen Einwohnern guten Gewissens wieder in die Normalität zu entlassen, sagen Fachleute der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, seien mehrere Millionen Tests am Tag notwendig.
Schon heute aber fehlen elementare Bestandteile, etwa Reagenzien, um die Tests überhaupt durchzuführen, bestätigte in dieser Woche Larry Hogan (Maryland), der zurzeit der Vereinigung der Gouverneure vorsteht. Konsequenz: Viele Bundesstaaten konkurrieren, wie schon bei der Anschaffung von Atemschutzmasken und Schutzhandschuhen fürs Krankenhaus-Personal, notgedrungen miteinander.
Ab Anfang Mai schrittweise Corona-Lockerungen
Trump hätte die programmierte Mangelerscheinung vermeiden können, sagt die demokratische Opposition im Kongress, wenn er per Gesetz die entsprechenden Unternehmen wie in einem Kriegsfall frühzeitig zur Produktion aller notwendigen Bestandteile verpflichtet hätte.
Zurzeit, erklärten Wissenschaftler im US-Fernsehen, besitze kein einziger der 50 Bundesstaaten genügend Test-Kapazitäten, um wie von Trump unverbindlich anvisiert ab 1. Mai schrittweise das öffentliche Leben wieder freizugeben.
Dazu könnte es laut Trump in rund 30 Bundesstaaten kommen, die der Präsident – ohne konkret zu werden – als wenig oder kaum von Coronavirus-Infektionen betroffen bezeichnete. Legt man allein das willkürliche Kriterium von Unter-2000-Infektionen an (zum Vergleich: New York State und New Jersey kommen zusammen auf über 300.000 Infizierte) könnten in Wyoming, West Virginia, Vermont, North Dakota, Süd-Dakota, New Mexiko, New Hampshire, Nebraska, Montana, Maine, Kansas, Idaho, Hawaii, Arkansas und Alaska Restriktionen zurückgenommen werden. Ob dies geschieht? Völlig offen.
In diesen Staaten ist eine baldige Lockerung ausgeschlossen
Ausgeschlossen ist eine baldige Normalisierung dagegen im Großraum Maryland, Virginia und Distrikt of Columbia um die Hauptstadt Washington DC. Dort hat sich die Zahl der Infizierten binnen einer Woche auf über 20.000 verdoppelt.
Trumps Drei-Stufen-Plan, der im Kern von den für Seuchen- und Katastrophenschutz zuständigen Behörden CDC und Fema sowie den Chef-Epidemiologen Anthony Fauci und Deborah Birx geschrieben ist, setzt voraus, dass vor jeder Lockerungs-Stufe erst ein 14-tägiger Rückgang bei Infektionen und Toten nachgewiesen werden muss.
Auch in New York, wo am Tag immer noch rund 2000 Infektionen dazu kommen, und in sechs weiteren Staaten im Nordosten wird das Datum 1. Mai keine Rolle spielen. Gouverneur Andrew Cuomo hat das strenge „Bleibt-zuhause”-Regime vorläufig bis 15. Mai verlängert.
Ron Klain, unter Präsident Obama Koordionator in der Ebola-Krise, kritisierte den Trump-Plan scharf. Es handele sich „gerade mal um eine Powerpoint-Präsentation“. Was fehle, sei eine Verpflichtung, die Testkapazitäten schnell und massiv aufzustocken. Das Kriterium „Rückgang“ bei Infektionen markiere lediglich eine Richtung aber keinen Schwellenwert. Außerdem werde nirgends dezidiert auf Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer und Kunden eingegangen.
Das sind die „Opening Up America Again”-Empfehlungen der Regierung
Den „Opening Up America Again”-Empfehlungen (Amerika wieder öffnen) der Regierung zufolge sollen zunächst große Einrichtungen wie Restaurants und Kinos öffnen, die ausreichend Abstand zwischen den Kunden garantieren können. Welcher Abstand, ist nicht festgelegt worden. Bars hingegen sollen weiter geschlossen bleiben.
Wenn die Abstandsregeln von rund zwei Meter nicht eingehalten werden können, sind auch weiterhin Ansammlungen von mehr als zehn Menschen auf der Tabuliste. Krankenhäuser dürfen dagegen Operationen, die für die Einnahmen wichtig sind, wieder durchführen und Fitnessstudios mit begrenzter Besucherzahl wieder öffnen.
In der zweiten Phase können auch Schulen wieder den Lehrbetrieb aufnehmen. Auch Lust-Reisen (Urlaub) sind dann wieder gestattet. Wenn der Abstand eingehalten wird, dürfen bis zu 50 Personen zusammenkommen. In der dritten Phase sollen sich auch besonders gefährdete Menschen (ältere, Menschen mit Vorerkrankungen) wieder in der Öffentlichkeit bewegen dürfen.
In der Arbeitswelt soll es dann keine substanziellen Einschränkungen mehr geben. Der Stufenplan soll laut Trump ausschließlich von den jeweiligen Bundesstaaten nach eigenen Zeitkriterien eingeleitet werden. Unter einer empfohlenen Voraussetzung: dass die Zahl der Infektionen/Toten vor jeweils jeder neuen Stufe zwei Wochen lang konstant rückläufig war.
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