Washington. Die USA zahlen kein Geld mehr an die WHO. Trump gibt ihr die Schuld an der Corona-Krise. UN-Generalsekretär Guterres protestiert.

Twitter vergisst nichts. Darum weiß man so gut Bescheid über die Erinnerungslücken, die Donald Trump im Laufe seiner über dreijährigen Präsidentschaft an den Tag gelegt hat – meist dann, wenn es politisch auskömmlich erschien oder dringend ein Sündenbock gesucht wurde.

In der Coronavirus-Krise war am Dienstag besonderer Bedarf. Mit 2228 Toten meldeten die Vereinigten Staaten laut Johns Hopkins-Universität einen im Weltmaßstab traurigen Tagesrekord. Die Zahl der Opfer in den USA stieg damit auf rund 26.000. Mehr als 600.000, auch das eine von keinem anderen Land erreichte Marke, sind mit dem Virus infiziert. Tendenz: rasant steigend.

Weil nahezu täglich durch Medienberichte neue Versäumnisse der Regierung Trump in der Frühphase der Krise (Januar) bekannt werden und Trumps Krisenmanagement in einigen Umfragen stark in Zweifel gezogen wird, entschloss sich der Präsident nach ersten Andeutungen vor einer Woche nun zu einem massiven Entlastungsangriff auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Corona-Krise: Trump stellt alle Zahlungen an die WHO ein

Trump macht die Genf ansässige WHO, ein Anhängsel der Vereinten Nationen, direkt für den massenhaften Tod von Corona-Opfern weltweit verantwortlich. „Unsere Länder erleben jetzt ungeheuren Tod und wirtschaftliche Verwüstung, weil diejenigen, die damit beauftragt waren, uns zu beschützen, indem sie ehrlich und transparent sind, dies nicht getan haben. Es wäre so einfach gewesen, ehrlich zu sein. Und so viel Tod wurde durch ihre Fehler verursacht”, sagte Trump und zog Konsequenzen:

Bis auf weiteres stellen die USA als größter Geldgeber (allein 2019 waren es knapp 400 Millionen Dollar) ihre Zahlungen an der WHO ein. Binnen der nächsten Monate sollen Pflichtverletzungen, die Trump der Organisation vor allem im Umgang mit dem Coronavirus-Ursprungsland China vorwirft, intensiv untersucht werden.

Corona-Epidemie in den USA: Trump gibt WHO die Schuld an dramatischen Folgen

Trump nahm das Urteil bereits vorweg: Es sei die WHO gewesen, die Chinas „Desinformation” und „Vertuschung“ über das bereits Ende 2019 intern bekannte Gefahrenpotenzial des Virus, gedeckt und unterstützt habe. Vorwiegend auf das Missmanagement der WHO gehe die Tatsache zurück, dass sich die Epidemie so dramatisch verschlimmert habe.

Die WHO habe es unterlassen, Angaben der Regierung in Peking schnell und kritisch zu überprüfen. Ein schnelles Eingreifen der WHO hätte Tausende Menschenleben retten und den Ausbruch der Seuche auf den Ursprungsort Wuhan eingrenzen können, sagte Trump, ohne dafür Beweise vorzulegen.

Trump weicht Journalisten-Fragen genervt aus

Nachfragende Journalisten machten Trump auf einen eklatanten Widerspruch aufmerksam. Am 24. Januar hatte der US-Präsident via Twitter ganz anders geklungen: „China hat sehr hart dafür gearbeitet, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Die Vereinigten Staaten sind für die Bemühungen und die Transparenz sehr dankbar. Es wird wird sich alles zum Guten wenden. Im Namen der amerikanischen Volkes möchte ich besonders Präsident Xi danken!”

Wie diese Äußerungen mit der aktuellen Breitseite gegen China zu vereinbaren sind? Trump wich der Frage gereizt aus.

Dass die WHO, die gerade für viele arme Länder in Afrika und Asien eine Art Nabelschnur zu gesundheitlicher Aufklärung und Versorgung darstellt, in den Jahren 2020 und 2021 auf rund 240 Millionen Dollar aus Washington verzichten soll, trifft in den USA auf Kritik.

Ärzte kritisieren Trump scharf

Neben Demokraten im Kongress, die Trump „Ablenkungsmanöver” vorwerfen, meldet sich die renommierte Ärzte-Organisation „American Medical Association” zu Wort. „Während der schlimmsten Krise des Gesundheitswesens ist es ein gefährlicher Schritt in die falsche Richtung, der den Kampf gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 nicht einfacher macht”, erklärte Präsidentin Patrice Harris. Lesen Sie hier: Wie Trump die Corona-Katastrophe in den USA verschlimmert

Bei dem für Donnerstag geplanten Video-Konferenztreffen der G7-Staats- und Regierungschefs dürfte Trump ähnliche Sätze zu hören bekommen. Zuletzt hatten sich die EU-Kommission in Brüssel und Bundesaußenminister Heiko Maas hinter die WHO gestellt und sie als „unverzichtbar” bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie bezeichnet.

Coronavirus-Pandemie: Guterres appelliert an internationale Gemeinschaft

In dieser Tonlage äußerte sich am Dienstagabend auch UN-Generalsekretär António Guterres. Der Portugiese sagte, es sei der falsche Zeitpunkt, „Ressourcen für die Anstrengungen der WHO oder irgendeiner anderen humanitären Organisation im Kampf gegen das Corona-Virus zu reduzieren”.

Stattdessen sei „Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft in Solidarität” notwendig, um die globale Bedrohung in den Griff zu kriegen. Nach der Eindämmung der Pandemie könne man Manöverkritik vornehmen und alle Beteiligten auf den Prüfstand stellen, sagte Guterres.

Trump beansprucht für sich die „totale Macht“

Eine andere Motivation für Trumps WHO-Schelte ergibt sich aus verfassungsrechtlich unhaltbaren Äußerungen, mit den sich der US-Präsident am Ostermontag in die Schusslinie gebracht hatte. Trump hatte im Stil eines Möchtegern-Diktators geltend gemacht, dass allein er darüber entscheide, wann Amerika die vielen Restriktionen zurücknimmt, die zur Eindämmung der Epidemie landesweit in Kraft gesetzt wurden. Botschaft: Die Gouverneure der 50 Bundesstaaten haben zu gehorchen, denn der Präsident habe die „totale Macht”.

Eine Amtsanmaßung, die Trump schon am Dienstagmorgen um die Ohren flog. Mehrere Gouverneure machten auf Artikel 10 der US-Verfassung aufmerksam, der Trumps Allmachtsphantasien als solche enttarnt. Entsprechend kleinlaut tönte der Präsident, als er am Nachmittag zur üblichen Corona-Pressekonferenz schritt.

Keinesfalls werde er den Gouverneuren diktieren, wann sie wie zu agieren hätten, sagte Trump im Rosengarten des Weißen Hauses. Er setze auf ein gemeinsames Vorgehen auf der Basis von individuellen Anregungen der staatlichen Behörden für Seuchen- und Katastrophenschutz und etlicher Funktionsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft.

Trump will schon Ende der Woche Corona-Beschränkungen teilweise lockern

Laut Trump seien rund 20 der 50 Bundesstaaten so gut wie startklar, da sie kaum Infizierte aufwiesen. Ohne ins Detail zu gehen, sagte Trump, dass diese Regionen, bei denen es sich dem Vernehmen nach unter anderem um relativ menschenleere Bundesstaaten wie Wyoming oder Montana handelt, bereits vor dem 1. Mai schrittweise Normalität einüben könnten.

Entsprechende Empfehlungen seiner Regierung würden bis Ende dieser Woche kommen, sagte Trump. Er betonte, dass die letzte Entscheidung bei den Gouverneuren liege, denen er jede Unterstützung zukommen lasse.

Was von Amerikas Ministerpräsidentinnen teilweise in Abrede gestellt wird. Hauptzankapfel: weiterhin fehlende Tests, um die Durchseuchung bzw. die Immunisierung der Bevölkerung möglichst umfassend beurteilen zu können. Nach Angaben vieler Epidemiologen auch im Umfeld Trumps testen die USA, anders als Trump fortgesetzt behauptet, bei weitem nicht genug. Es mangelt unverändert an Material, Kapazität und Logistik. Die Verantwortung dafür will Trump nicht übernehmen. „Für die Tests sind die Gouverneure zuständig. Wir helfen, wenn wir können.”