Monrovia. Zwischen 2014 und 2016 wütete in dem afrikanischen Land eine Seuche, gegen die Corona wie ein Schnupfen wirkt. Die Überlebenden leiden bis heute.

Am Roberts-Flughafen von Monrovia erwarten Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in weißen Kitteln die Reisenden, scannen ihre Temperatur, weisen sie an, sich die Hände zu desinfizieren. Wer aus China oder einem Land angereist ist, in dem es mehrere Corona-Fälle gegeben hat, muss sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen. Vierzehn Tage Quarantäne, so sieht es das Notfall-Programm der Regierung des Landes vor, das wie kaum ein anderes sensibilisiert ist für die Gefahren einer Epidemie. Zwischen Dezember 2013 und Ende 2015 tötete das Ebola-Virus hier 4400 Menschen, und die Folgen des Ausbruchs beschäftigen das westafrikanische Land mit seinen fünf Millionen Einwohnern noch heute.

„Ich glaube nicht, dass es irgendein Land auf der Welt gibt, das besser auf einen Krankheits-Ausbruch wie Corona vorbereitet ist, als Liberia“, sagt Dr. Francis Kateh. Es ist Sonntag, deswegen empfängt der stellvertretende Gesundheitsminister des Landes in seinem Privathaus, leger gekleidet, Shorts und Hemd.

Jeder zweite Ebola-Erkrankte starb

Kateh war damals an der Front, als in Liberia das Virus grassierte, gegen das sich Corona wie ein schwerer Schnupfen ausmacht. Fast jeder zweite Ebola-Erkrankte starb. Kateh wählt drastische Worte, wenn er über die Seuche spricht: „Ebola ist eine biologische Massenvernichtungswaffe“.

Auch interessant

Als sie ausbrach, traf sie ein Land, das durch den langen Bürgerkrieg zwischen 1989 und 2003 bereits schwer verwundet war, und eines, in dem die lokalen Bräuche die Ausbreitung einer Infektionskrankheit begünstigen. Familienmitglieder kümmern sich intensiv um erkrankte Angehörige. Manche Trauernde übergießen sich mit dem Wasser, mit dem Tote gewaschen werden. Tote werde beerdigt, nicht verbrannt.

Im Frühjahr 2014, als die Epidemie im Bezirk Lofa ausbrach, war Kateh Direktor eines Krankenhauses. In den Jahren zuvor war er in den USA gewesen, hat sich dort unter anderem vom Ministerium für Innere Sicherheit ausbilden lassen. Er wusste, was zu tun war. „Ich habe sofort angefangen, Verteidigungsmaßnahmen aufzubauen.“

Bis heute hat Ebola Spuren hinterlassen

Er erzählte den Leuten in seiner Gemeinde, wie sie sich verhalten sollen – „berührt euch nicht, dann geschieht nichts“ –, isolierte Kranke, teilte den Gesundheitsbehörden mit, dass die Lage gefährlich sei. Als der einzige liberianische Facharzt für Infektionskrankheiten, ein enger Freund Katehs, starb, nahmen die Behörden die Seuche endlich ernst.

Kateh wurde zu einem Hauptverantwortlichen im Kampf gegen die Epidemie, die mit Hilfe ausländischer Experten nach zwei Jahren eingedämmt werden konnte. Sie hat bis heute Spuren hinterlassen. „Viele Menschen leiden noch heute unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom.“ Die Überlebenden. Die Angehörigen, die nicht Abschied von ihren verstorbenen Verwandten nehmen konnten. Die Männer, die die Toten bergen und verbrennen mussten.

Die kaputte Infrastruktur ist ein Problem

Liberia, sagt Kateh, hat gelernt. Zum Beispiel, wie wichtig eine funktionierende Infrastruktur bei der Bekämpfung einer Seuche ist. Wie viel Nachholbedarf es noch gibt, zeigt eine Reise in den Südosten.

Über die Buckel und durch die metertiefen, ausgewaschenen Spurrinnen quälen sich steinalte und völlig überladene Renault-, Macks- und DAF-Laster, sie stoßen dicke, schwarze Abgaswolken aus und wirbeln hinter sich gewaltige Staubwolken auf, die die Blätter der Palmen, Bananenstauden, Kautschukbäume und Sträucher am Straßenrand rostrot verfärben. Weiter abseits der Straße türmt sich das Grün des Regenwaldes in zahllosen Abstufungen, gekrönt von mächtigen Kabokbäumen, deren Wipfel weit über dem Dickicht thronen.

Es braucht mehr Investitionen

Der beklagenswerte Zustand der Straßen ist ein gewaltiges Problem. Straßen sind die Lebensadern der Wirtschaft. Wenn sie marode sind, leidet auch die Gesundheitsversorgung. Während der Ebola-Krise konnten manche entlegene Dörfer nur mit dem Hubschrauber erreicht werden.

„Liberia braucht dringend mehr Investitionen in die Infrastruktur“, sagt Johan van der Kamp, Landesdirektor der Welthungerhilfe. Viele humanitäre Helfer haben das Land verlassen, nachdem die Ebola-Krise bewältigt war, die deutsche Hilfsorganisation ist geblieben. Im vernachlässigten, bitterarmen Südosten des Landes befestigt sie Straßen, baut ein großes Hospital und unterstützt Menschen in den entlegenen Gemeinden, die durch die Ebola-Krise wirtschaftlich getroffen wurden.

Poday im Bezirk Sinoe ist eine dieser Siedlungen, die sich Stadt nennen, aber aus kaum mehr als ein paar Dutzend Lehmhütten bestehen, die mit verdorrten Palmblättern oder rostigem Wellblech gedeckt sind. Zäune oder Mauern gibt es nicht. Das Ebola-Virus konnte sich auch deswegen so schnell in Liberia ausbreiten, weil das Leben der Menschen hier miteinander verwoben ist. Der Geruch des Rauchs der offenen Feuer in den Kochstellen hängt an diesem schwül-heißen Tag über Poday. Wäsche liegt zum Trocknen vor den Hütten.

Als der Tod nach Poday kam

Sanpon Dibleh, graumelierter Bart, graues Haar, ist der Clan-Chief in der Siedlung. Er sitzt an dem abgenutzten Tisch im Vorraum seiner Hütte, in den sich etliche Menschen drängen. Fremde sind immer noch eine Sensation in Poday. Dibleh kann sich gut an den Tag erinnern, als der Tod in seine Gemeinde kam. Randsey hieß der Junge, fünf Jahre, er brachte das Ebola-Virus im November 2014 mit aus Grand Kru, dem benachbarten Bezirk, wo er zu einem Verwandtenbesuch gewesen war. Natürlich kümmerte sich die Familie um den Kleinen, wusch ihn, umsorgte ihn. Viele Familienmitglieder steckten sich an.

Chief Sanpon Dibleh
Chief Sanpon Dibleh © NRZ | Jan Jessen

Es war ein Glück für Poday, dass der Chief so schnell reagierte. „Als er krank geworden ist, habe ich sofort die Regierung benachrichtigt“, erzählt Dibleh. Die Regierung kam und mit ihr die Leute in den weißen Schutzanzügen. Sie isolierten die drei Häuser der Familie des Jungen, transportierten ihn und seine infizierten Verwandten in ein Behandlungszentrum in Greenville. Randsey, zwei seiner Schwestern, seine Stiefmutter und seine Oma starben.

Für die restliche Bevölkerung von Poday begannen quälende Monate. „Sie haben die ganze Stadt abgeriegelt, drei Monate durften wir nirgendwo hingehen.“ Die rund 800 Bewohner von Poday konnten ihre Felder nicht mehr bestellen, die Geschäfte brachen ein. „Wir hatten plötzlich nichts mehr, wurden von außen versorgt.“

Ob er etwas über das Corona-Virus wisse, das die Welt derzeit in Atem hält? Der Chief nickt. „Ich habe Gerüchte darüber gehört. Wir beten hier zu Gott, dass es nicht zu uns kommt.“

Corona? Wir beten zu Gott, dass es nicht kommt

Die Welthungerhilfe half den ärmsten Mitgliedern der Dorfgemeinschaft wirtschaftlich wieder auf die Beine, unterstützte sie beim Anbau von Gemüse und Obst. Das ist mehr Hilfe, als viele andere bekommen haben. Viele der Überlebenden leiden noch immer, nicht nur, weil sie körperlich an den Folgen der Krankheit leiden, nicht richtig sehen, laufen oder sprechen können oder impotent sind.

250 Kilometer nordöstlich in Banjor im Bezirk Montserrado. In der Kleinstadt lebten einmal 7000 Menschen, jetzt sind es vielleicht noch 3000. Ebola wütete hier besonders heftig, Dutzende Einwohner starben, viele flohen. Unter einem Baum am Rand der Siedlung sitzt eine schlanke, hochgewachsene Frau mit einem Kopftuch auf einer Bank. Bendu Lansana ist eine Überlebende.

Bei der toten Schwester angesteckt

In Banjor fing es in dem Camp an, in dem Flüchtlinge leben, die es in den Wirren des Bürgerkriegs hierher verschlagen hatte. Die Hütten dort sind eng aneinander gebaut. Auch Lansanas Schwester lebte in diesem Camp. Sie wurde krank, starb, und Lansana hätte es eigentlich besser wissen müssen, weil sie damals eine Ausbildung zur Krankenschwester brachte. Aber sie sah, wie die Toten eingesammelt wurden, um verbrannt zu werden. Würdelos.

„Ich habe den Körper meiner Schwester zu meiner Mutter in unserem Nachbarbezirk transportiert. Als ich zurückkam, bekam ich Fieber. Und ich bekam Angst.“ Also ging sie Fuß zur nächsten Ebola-Behandlungseinheit, mit dem Rettungswagen wollte sie nicht fahren, die Sirene sei so fürchterlich. Dutzende Patienten lagen bereits in der Krankenstation. „Ich habe einen Jungen gesehen, der aus den Augen blutete. Da bin ich zusammengebrochen und wollte wieder weg, aber sie ließen mich nicht.“

Die Pfleger und Mediziner in den Schutzanzügen hielten Abstand, nur ein Arzt aus Uganda sprach mit den Patienten. Drei Wochen blieb Lansana in der Station, die Erinnerungen quälen sie noch heute. „Ich weiß, dass ich nicht in der Vergangenheit leben darf, aber die Bilder tauchen immer wieder auf.“

Auch wenn sie überlebt hat, hat die 44-Jährige noch nicht in ihr Leben zurückgefunden. Die Bevölkerung von Banjor akzeptiere sie zwar, auch, weil alle die Katastrophe vergessen wollen. „Aber wir Überlebenden sind immer noch stigmatisiert“, klagt sie. Sie findet keine Arbeit, ihr Partner hat sie verlassen. Wie ihr geht es auch den anderen rund 50 Überlebenden in Banjor. Von der Regierung fühlen sie sich im Stich gelassen, versprochene Hilfe ist nie angekommen. Wovon sie lebt? Lansana verschränkt die Arme, senkt den Blick, beißt sich auf die Lippen und schweigt. Wovon soll eine alleinstehende Frau schon leben? „Bitte vergesst uns nicht“, sagt Lansana zum Abschied.

Bis heute von Corona verschont geblieben

Am Flughafen von Monrovia, in der Lounge, flimmert auf einem großen Bildschirm der chinesische Auslandssender CNC. Durchgehend wird über den Corona-Ausbruch berichtet. Mediziner in weißen Schutzanzügen, menschenleere Straßen. Über 50 Reisende haben die liberianischen Behörden bereits in Quarantäne gesteckt. Bis heute ist das Land von Corona verschont geblieben.