Erfurt/Ramsla. Bodo Ramelow hat Christine Lieberknecht als Lösung für das Thüringer Politikchaos vorgeschlagen. Das muss man über die CDU-Frau wissen.

In den vergangenen Monaten meldeten sich die zwei Männer, die einst für die CDU lange Thüringen regierten, immer wieder. Bernhard Vogel, inzwischen 87, gab fast wöchentlich Interviews und nahm sogar an Parteisitzungen in Erfurt teil. Dieter Althaus versuchte derweil, eine sogenannte Projekteregierung mit der Linken zu bauen.

Nur Christine Lieberknecht schwieg. Die Frau, die von 2009 bis 2014 regiert hatte, um dann die Macht ihrer CDU an die Linke unter Bodo Ramelow zu verlieren, wollte nichts Zitierfähiges zur aktuellen Situation sagen – auch nicht am Montagnachmittag, als sie von unserer Redaktion angerufen wurde. Seit ein paar Stunden war sie, die frühere CDU-Ministerpräsidentin, die Kandidatin der Linken für den Vorsitz einer Übergangsregierung.

Christine Lieberknecht trat als junge Pfarrerin in die Blockpartei CDU ein

So ungewöhnlich diese Situation ist, so ungewöhnlich erscheint auch die Biografie der Frau. Als Tochter eines Pfarrers 1958 in Weimar geboren, studierte sie nach dem Abitur Theologie in Jena. Gleichzeitig arrangierte sie sich mit der DDR, amtierte an der Universität als FDJ-Sekretärin und trat 1981 als junge Pfarrerin in die Blockpartei CDU ein.

Wird Christine Lieberknecht noch einmal Ministerpräsidentin in Thüringen?
Wird Christine Lieberknecht noch einmal Ministerpräsidentin in Thüringen? © dpa | Martin Schutt

Im September 1989 jedoch, als Zehntausende in den Westen flohen und das System zu implodieren begann, unterzeichnete sie mit drei anderen CDU-Mitgliedern den „Brief auf Weimar“. Sie forderte vorsichtige Reformen innerhalb der Partei und eine Abnabelung von der SED.

Das Dokument war der Beginn einer bemerkenswerten politischen Karriere. Dank ihres neuen Rufs als Reformerin stieg Lieberknecht mit Anfang 30 Jahre in höchste Ämter auf: So wurde sie erste Kultusministerin des wiedergegründeten Thüringens und gelangte ins Bundespräsidium der CDU.

Christine Lieberknecht bekam den Ruf der „Köngismörderin“

Nur wenig später stand sie im Zentrum der ersten Regierungskrise des Landes. Während sich die Pfarrerin am Umbau des Schulsystems abmühte, geriet der erste Ministerpräsident Josef Duchac wegen seiner DDR-Vergangenheit in Schwierigkeiten. Lieberknecht war es schließlich, die mit einem von ihr organisierten Rücktritt des halben Kabinetts den Rücktritt des Regierungschefs erzwang – und sich damit den Ruf der „Königsmörderin“ erwarb.

Duchacs Nachfolger Vogel degradierte die einzige Frau im Kabinett zur Bundesratsministerin, sorgte für den Verlust ihrer Präsidiumspostens und gab ihr 1999 den eher repräsentativen Posten der Landtagspräsidentin, wo sie sich jedoch ihren dauerhaften Ruf als überparteilichen Moderatorin erwarb – und damit unbewusst die Basis für ihren finalen Aufstieg legte.

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Christine Lieberknecht wurde 2009 Thüringens Ministerpräsidentin

Unter Ministerpräsident Dieter Althaus leitete Christine Lieberknecht die Landtagsfraktion und das Sozialministerium. Schließlich, als der Regierungschef im Herbst 2009 nach seinem Skiunfall die CDU in eine krachende Wahlniederlage geführt hatte, emanzipierte sich Lieberknecht von den Männern, unter denen sie zwei Jahrzehnte gedient hatte – und griff gegen den Willen von Vogel und Althaus nach Parteivorsitz und Staatskanzlei. Dabei nutzte sie ihre hervorragenden Beziehungen zur SPD, die nach zehn Jahren CDU-Alleinherrschaft für eine Koalition benötigt wurde.

Ihr Konkurrent, Fraktionschef Mike Mohring, wurde dabei kühl ausmanövriert. Doch er tat danach, was er konnte, um die von Lieberknecht geführte schwarz-rote Regierung zu behindern. Unter anderem auch deshalb beging die Ministerpräsidentin Fehler und verstrickte sich am Ende in eine ganze Kette von Personalaffären. Dies führte bei der Landtagswahl 2014 mit zu einem mäßigen Ergebnis der CDU – und der Kür von Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten.

Christine Lieberknecht und Bodo Ramelow schienen sich einig zu sein

Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) machte am Montag in Erfurt den Vorschlag, die CDU-Politikerin Christine Lieberknecht zur Übergangsministerpräsidentin zu wählen.
Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) machte am Montag in Erfurt den Vorschlag, die CDU-Politikerin Christine Lieberknecht zur Übergangsministerpräsidentin zu wählen. © dpa | Michael Reichel

Christine Lieberknecht verbrachte danach noch fünf unauffällige Jahre als Oppositionsabgeordnete im Landtag. Sie konnte aber mit ihrem Karriereende auch deshalb leben, weil sie mit Ramelow seit Jahrzehnten fast schon etwas wie Freundschaft verband. Sie war Gast auf seiner zweiten Hochzeit, er kam zu ihrem 60. Geburtstag. Der pragmatische, protestantische Linke und die ideologiefrei auftretende, eher sozialdemokratisch gesinnte Pastorin schienen sich in den meisten Dingen einig zu sein.

Dies war offenbar auch an diesem Montag so, als der abgewählte Ministerpräsident Ramelow Lieberknecht kontaktierte und ihr anbot, bis zur möglichst raschen Neuwahl des Landtags eine Übergangsregierung mit linken, sozialdemokratischen und grünen Ministern zu bilden. Die Christdemokratin, heißt es, soll grundsätzlich zugesagt haben. Doch offiziell galt bis zu diesem Dienstagmittag: Sie schweigt.

Thüringen in der Krise – Mehr zum Thema:

Nachdem sich Thüringens FDP-Landeschef Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen, belagertern Demonstranten FDP-Büros. Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow beklagte im ARD-Talk ein „elendiges Spiel“ in Thüringen. Warum Ramelows Lieberknecht Coup clever ist – und eine eine Falle.

  • Der Autor dieses Artikels hat ein Buch über Christine Lieberknecht geschrieben: Martin Debes: Christine Lieberknecht: Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin. Eine politische Biografie. Klartext, Essen 2014.