Erfurt. Die Regierungskrise in Thüringen ist noch nicht vorbei. Doch der Schachzug von Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow könnte alles ändern.
Das derzeit dauergenutzte Wort passt: Es ist ein Coup. Der Vorschlag des linken Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, seine CDU-Vorgängerin Christine Lieberknecht bis zu raschen Neuwahlen zur Übergangsregentin zu wählen, wirkt überraschend, ziemlich clever – und kühl, ja skrupellos kalkuliert.
Erst einmal könnte das Manöver tatsächlich die seltsame Situation auflösen, dass Thüringen derzeit keine ordentliche Regierung besitzt. Gleichzeitig würde die Brücke von Rot-Rot-Grün zur CDU gebaut, über die vor allem die Union wegen ihrer Abgrenzungsbeschlüsse bisher nicht gehen wollte.
Ramelows Schachzug könnte die CDU pulverisieren
Gleichzeitig ist es aber auch eine Falle für die Partei, die Thüringen von 1990 bis 2014 regierte und sich seit Monaten selbstzerfleischt. Nimmt die CDU – so wie es offensichtlich ihre frühere Landesvorsitzende Lieberknecht zu tun gedenkt – das Angebot an, wählt sie quasi Ramelow schon mal mit ins Amt.
Denn zumindest aus jetziger Sicht kann neben der AfD nur eine Partei bei schnellen Neuwahlen gewinnen: Und das ist die Linke. Sie steht in Umfragen bei bis zu 40 Prozent. Eine stabile rot-rot-grüne Mehrheit ist in Sicht – oder eben eine rot-rote, falls es, sorry, die Grünen nicht wieder in den Landtag schaffen.
Die Rochade dürfte, falls sie funktioniert, die Popularität von Ramelow nochmals erhöhen. Lieberknecht wäre nur das Mittel zum Zweck, zurück an die Macht zu gelangen. Ihre CDU, die teilweise auf 12 Prozent abgerutscht ist, könnte es pulverisieren. Schließlich würde Lieberknecht nicht als Unionsfrau, sondern als Regentin von Ramelows Gnaden wahrgenommen.
Thüringen: Der Ex-Ministerpräsident geht in die Offensive
Erst das Land, dann die Partei, dann die Person: Ramelow zitierte am Montagabend wieder einmal die Worte des CDU-Granden Bernhard Vogel, der einst, lange ist es her, Thüringen mit absoluter Mehrheit regierte. Doch wie oft, wenn der Satz mit einigem Pathos aufgesagt wird, wächst der Verdacht, dass die Reihenfolge genau umgekehrt ist.
Das alles ändert nichts daran, dass es Ramelow geschafft hat, das Land aus der Defensive zu holen – und sich selbst gleich mit. Dass er sich seit der Wahl als Opfer einer faschistischen Verschwörung zelebrierte, hatte ihm zu schaden begonnen. Auch dies ist vorerst repariert.
Der Rest bleibt, das muss im Thüringen dieser Tage stets dazu gesagt werden: völlig offen.
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