Brüssel. Das Europäische Parlament stimmt dem Brexit zu – dann kommt es beim Abschied von den britischen Abgeordneten zu bewegenden Szenen.

  • Im Europäischen Parlament wird der Brexit-Austrittsvertrag mit nur 49 Gegenstimmen besiegelt
  • Es kommt zu herzzerreißenden Szenen, besonders angefasst sind die britischen Abgeordneten
  • Nur einer freut sich und benimmt sich wie gewohnt: Der Brexit-Antreiber Nigel Farage

Als die Abstimmung vorbei ist und der Brexit-Vertrag die letzte große Hürde genommen hat, kommt es zu bewegenden Szenen im EU-Parlament: Die Mehrheit der knapp 700 Abgeordneten erhebt sich, beginnt zu singen, stimmt das englische Abschiedslied „Auld Lang Syne“ an.

„Sollte alte Vertrautheit vergessen sein?“, heißt es in dem Liedtext, „lass uns zueinander recht freundlich sein, der alten Zeiten wegen.“ Manchen Parlamentariern stehen Tränen in den Augen, auch als ein Dudelsackspieler die schottischen Abgeordneten hinausbegleitet.

Plötzlich wird spürbar, was bisher nur Gegenstand ewiger Debatten war: Der mehrmals verschobene Austritt Großbritanniens aus der EU wird tatsächlich Realität. Einen der letzten Vorbereitungsschritte haben die Abgeordneten zuvor selbst getroffen, nur 54 Stunden vor dem Brexit in der Nacht zu Samstag.

Brexit-Deal bei nur 49 Gegenstimmen abgesegnet

Mit überwältigender Mehrheit bei nur 49 Gegenstimmen segneten sie den 600-seitigen Brexit-Vertrag ab – überwiegend in zerknirschter Stimmung, die Austritts-Befürworter dagegen mit Jubel-Demonstrationen.

Einer freut sich richtig am Tag als der Brexit-Vertrag in Brüssel unterschrieben wird: Nigel Farage von der britischen Brexit-Partei.
Einer freut sich richtig am Tag als der Brexit-Vertrag in Brüssel unterschrieben wird: Nigel Farage von der britischen Brexit-Partei. © dpa | Michael Kappeler

„Wir lieben Europa – aber wir hassen die EU“, tönt der Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, während seine Kollegen als Zeichen ihrer Siegesstimmung kleine britische Flaggen schwenken, was im Parlament eigentlich verboten ist.

Der Brexit-Koordinator des Parlaments, Guy Verhofstadt von den Liberalen, betont, die Mehrheit bedauere den Austritt und stimme dem Vertrag nur zu, um einen ungeregelten, chaotischen Brexit zu verhindern.

„Wir werden euch vermissen“, ruft er den britischen Abgeordneten zu. EVP-Fraktionschef Manfred Weber und seine Kollegin von den Grünen, Ska Keller, sprechen von einem „traurigen Tag für Europa und für Großbritannien“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt, Großbritannien werde „immer Teil unserer Familie sein“.

Brexit: Viele Redner loben den Pragmatismus der Briten

Abschiedsschmerz: Mitarbeiter britischer Abgeordneter.
Abschiedsschmerz: Mitarbeiter britischer Abgeordneter. © dpa | Michael Kappeler

Am stärksten sind die Emotionen natürlich bei den 73 Abgeordneten aus Großbritannien, die das Parlament verlassen müssen. Farage etwa, der seit vielen Jahren für den Austritt getrommelt hatte, grinst noch etwas mehr als sonst. Der Brexit müsse der Anfang vom Ende der EU sein, ruft er. Wird er Brüssel nicht vermissen, ist Farage vor der Sitzung gefragt worden. Er schüttelte energisch den Kopf.

Doch selbst Parteifreunde, die den Brexit vorantrieben, sehen das anders: „Ich habe hier so viele, viele Leute kennengelernt und so viele Erfahrungen gemacht, die ich normalerweise nie gehabt hätte – das werde ich natürlich vermissen“, sagt etwa der walisische Abgeordnete Nathan Gill.

Aufgewühlter sind die britischen Politiker, die für einen Verbleib in der EU eingetreten sind. Herzzerreißend seien die letzten Tage, berichten sie außerhalb des Plenarsaals und erzählen von den Tränen bei Abschiedsfeiern, aber auch von den vielen Solidaritätsbekundungen und Freundschaftszeichen.

Viele Kollegen seien zu ihm gekommen, um ihn zum Abschied zu umarmen, das sei sehr emotional gewesen, erzählt Richard Corbett, der Chef der Labour-Gruppe. Er hatte bis zuletzt noch auf ein Wunder gehofft, das den Brexit abwenden würde, und deshalb das Kistenpacken immer wieder verschoben.

Britische Liberale: „Wir werden in die EU zurückkehren“

Nicht nur Corbett ist traurig und zornig. Viele machen sich aber auch Mut, so wie die Schottin Heather Anderson: „Das werden nicht meine letzten Tage im EU-Parlament sein.“ Schottland werde in die EU zurückkehren, sobald es die Unabhängigkeit erlangt habe. Auch Irina von Wiese von den britischen Liberalen versichert: „We’ll be back – wir werden in die EU zurückkehren.“

Auf lange Sicht sei es das Ziel, wieder in die Union einzutreten, dafür müsse jetzt der Boden bereitet werden. „Aber das wird dauern“, sagt die Liberale. Unterstützung im Parlament ist ihr weiter sicher.

Die nordrhein-westfälische Grüne Terry Reintke hat schon die Gründung einer „EU-UK-Freundschaftsgruppe“ initiiert. Die Gruppe soll die Interessen der Briten im Parlament einbringen, bis das Land wieder zurückkommt in die Union.

Brexit besiegelt: Wirtschaftsminister Peter Altmaier sieht große Chance

In der letzten Debatte sprechen Redner immer wieder von einem traurigen Moment, andere loben den Pragmatismus der Briten, auch ihre Skepsis gegen große Visionen. Bei den Spitzen ist die Stimmung bei aller Wehmut geschäftsmäßiger. Viele ahnen, dass die nächsten Monate, in denen neue Verträge etwa zum Handel vereinbart werden müssen, eine schwere Belastung für das Verhältnis zu den Briten sein werden.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat die Europäische Union indes dazu aufgerufen, den Brexit auch als Chance zu begreifen. „Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist eine harte Zäsur“, sagte der CDU-Politiker dieser Redaktion. „Es ist zugleich aber auch eine große Chance, die Europäische Union zu stärken und zu reformieren.“ Es komme jetzt darauf an, „zügig gute und enge Beziehungen zwischen EU und Großbritannien zu gestalten.“

In einem Interview mit unserer Redaktion hat der EU-Parlamentspräsident David Sassoli den Briten mit Blick auf die kommenden Monate eine klare Ansage gemacht. Was der Brexit für die Bürger Deutschlands bedeutet, lesen Sie hier.

(mbr)