An Rhein und Ruhr. Am Samstag halten die Piraten ihren Parteitag in Herne ab. Sie dümpeln im Umfragetief. Trotzdem engagieren sich noch Menschen für sie. Warum nur?

Das war eine Party im Kulturzentrum Zakk in der Landeshauptstadt. Eine jubelnde, ausgelassene Menge mit Luftballons, der eine oder andere im Kostüm. Mittendrin: Frank Herrmann, seit gerade einmal drei Jahren ein Pirat und schon im Landtag. 7,8 Prozent. Ein Sensationserfolg. Im Mai 2012 war das. Bei der Landtagswahl 2017 dann der Komplettabsturz. Heute taucht die Piratenpartei nur noch unter den Sonstigen auf. Herrmann will sich beim Parteitag am Samstag in Herne als Landesvorsitzender bestätigen lassen. Warum nur?

Die Elisabethstraße in Düsseldorf, eine schicke Lounge im vierten Stock eines Bürogebäudes. Herrmann hat seine graue Jacke mit dem orangenen Piraten-Button auf dem Revers ausgezogen und sitzt entspannt an die Kissen gelehnt auf einer Bank. Schwarzer Pulli, schwarze Hose, grauer Fünf-Tage-Bart. Er erzählt von 2009, als er sich entschloss, in die Piratenpartei einzutreten. „Ich hatte mich damals gegen die Vorratsdatenspeicherung engagiert.“

Partei traf den Nerv der Generation Internet

Freiheit sei für ihn immer wichtig gewesen. Die totale Kontrolle über Menschen, über ihre Kommunikation? Eine Horrorvorstellung für ihn, bis heute. Mit dem „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ war er damals immer wieder bei Parteien und erklärte die Vorbehalte der Aktivisten. „Die haben aber nur zugehört, nichts getan.“

Also die Piratenpartei, die einzige, die das Thema Digitalisierung zu ihrem zentralen machte. Die 2006 gegründete Partei traf den Nerv der Generation Internet, sie versprach eine Politik neuen Stils, jung, unverbraucht, rebellisch, transparent. Mit ihrer Kampagne gegen die von der damaligen Familienministern Ursula von der Leyen geplanten Internetsperren mobilisierte sie die jungen Leute und schien sogar das Potenzial zu haben, den Grünen den Rang ablaufen zu können.

Kometenhafter Aufstieg, brutaler Abstieg

Bei der Landtagswahl 2012 konnten die NRW-Piraten 20 Abgeordnete in den Landtag schicken. Wie es war? Herrmann atmet tief durch und lacht. „Es gab Höhen und Tiefen. Wir waren zwar alle Piraten, aber wir hatten keine gemeinsame Vergangenheit.“ Die Fraktion bestand rasch aus drei rivalisierenden Gruppen und fiel immer wieder negativ auf. Anstößige Tweets, problematische Einlassungen zu Israel, eine parlamentarische Geschäftsführerin, die nach eineinhalb Jahren entnervt das Handtuch warf.

Der Absturz war so brutal, wie der Aufstieg kometenhaft. Fünf Jahre später gerade einmal ein Prozent. Dafür sitzt jetzt die AfD im Landtag. „Hass verbreiten und schlecht über andere reden, ist viel einfacher, als unsere Themen zu kommunizieren“, sagt Herrmann. Dabei, betont er, ist das Thema Digitalisierung wichtiger denn je. Die unkontrollierbare Macht und Datensammelwut der Tech-Konzerne, die „unfähigen Regierungen“, die keine Grenzen ziehen. „Die Gewinne und Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, kommen nur wenigen zugute. Digitale Gewinne müssen vergesellschaftet werden“, fordert der 58-Jährige.

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Mut macht ihm, sagt er, dass die Arbeit im Landtag Früchte getragen hat. Die FDP habe kürzlich ein ganzes Paket an Anträgen zur Digitalisierung im Bundestag eingebracht. „Ich habe gedacht, das kennst du doch. Das war unsere Arbeit aus den Landtagen.“ Und zwei Piraten säßen jetzt in NRW-Ministerien und berieten zu Wirtschaft und Bildung. „Ideen sind manchmal wichtiger als politische Erfolge.“ Für ihn persönlich hat die Arbeit in der Partei berufliche Weichen gestellt. Vor den Piraten hatte Herrmann eine Filmproduktionsfirma, heute berät er Firmen zum Datenschutz.

Personelle Engpässe, Kreisverband Wesel aufgelöst

Ob die Partei irgendwann wieder richtig durchstarten kann? Wird nicht leicht, räumt der Landesvorsitzende ein. Die Vorreiter der Digital-Politik haben offenbar nicht mal mehr hinreichend Personal, um ihre Homepage zu pflegen. Ruft man die Nummer ihres Pressesprechers an, landet man beim früheren politischen Geschäftsführer, der etwas verwundert ist. Im März löste sich der Kreisverband Wesel mangels Masse auf.

„Wir sind in einer schwierigen Phase“, sinniert Herrmann. Ein Problem sei die Motivation. Von den ehemals 20 Landtagsabgeordneten seien nur noch drei oder vier in der Partei aktiv. „Ich habe Verständnis dafür, jeder muss sehen, wie er mit dem Leben klar kommt. Aber uns fehlt jetzt auf Landesebene die Professionalität.“ Er wird aber weitermachen. „Ich habe den Anspruch, hier mehr zu machen.“ Deswegen will er am Samstag in Herne beim Parteitag kandidieren. Und deswegen, weil sich Menschen für die politischen Inhalte der Partei interessierten, wenn er sich als Pirat oute.

Seit dem Höhepunkt im Dezember 2012, damals gab es 6325 eingeschriebene Piraten in NRW, sanken die Mitgliederzahlen kontinuierlich. Der Tiefpunkt: 2656 Mitglieder im Dezember 2018. Seit einigen Monaten nimmt die Zahl aber wieder leicht zu, im August verzeichnete die Partei immerhin 2795 Mitglieder. Vermutlich, glaubt Herrmann, wegen der Debatte um das Urheberrecht. „Wir sind noch nicht am Ende. Wir haben eine Perspektive.“