Essen. Sieben Grad wärmer soll es werden, die Meere um sieben Meter ansteigen - wenn die Vorhersagen der Klimaforschung ins Extreme kippen und das politische Spiel mit der Angst beginnt, muss der nächste Klimagipfel nah sein. Dabei ist die Wissenschaftlerzunft weit pluraler als allgemein bekannt.
Wer in der Klimafrage auf Fakten verweist, die nicht ganz ins Schema passen, hat bei den Wortführern der Debatte rasch seinen Ruf weg: Klima-Skeptiker. Für Hardliner wie etwa den Physiker Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sind Klima-Skeptiker Verschwörungstheoretiker, die kurz vor dem Irrsinn stehen, Störer beim entsagungsvollen Versuch, die Welt zu retten.
In diese Schublade lässt sich ein Metereologe und Klimaforscher wie Mojib Latif allerdings beim besten Willen nicht stecken. Der Leiter des Instituts für Meereswissenschaften der Uni Kiel gilt als einer der ältesten Warner vor den Folgen der Erderwärmung. Dennoch hat Latif im September auf der Genfer Weltklimakonferenz ausgesprochen, was mancher am liebsten gar nicht diskutiert haben will: Auf der Erde ist es in den letzten zehn Jahren nicht wärmer geworden, sondern im Schnitt sogar kühler. Und auch in den nächsten Jahrzehnten könnte das so bleiben. Schuld daran ist vielleicht die Aktivität der Sonne, deren genauer Einfluss auf das Erdklima im Zusammenspiel mit anderen Faktoren immer noch weitgehend unklar ist und jedenfalls Überraschungen bereithält.
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Hat einer der renommiertesten Klimaforscher damit die ganze „Klimakatastrophe” abgesagt? Durchaus nicht. Dass klimatische Veränderungen ablaufen, die auf Teilen des Erdballs das menschliche Leben erheblich erschweren können, ist unbestritten und letztlich sogar ziemlich banal. Lange bevor der Mensch und die von ihm geschaffene Industriegesellschaft nennenswert dazu beitragen konnten, hat es auf dieser Erde Klimawandel gegeben, und dieses Auf und Ab wird wohl bleiben bis in alle Ewigkeit, ob das den Menschen nun passt oder nicht.
Prognosen - und was aus ihnen wurde
Latif ist sicher, dass die menschengemachten CO2-Emissionen auf den Klimahaushalt Einfluss nehmen - das ist plausibel und leuchtet auch jedem Laien ein. Nur: Wie genau dieser Einfluss aussieht, was CO2 am Ende bewirkt, darum ist der Streit noch lange nicht beendet. Der Kieler Metereologe hat jedenfalls jenen Experten einen Dämpfer verpasst, die die Welt glauben machen, mit ihren Computer-Programmen wirklich exakte klimatische Voraussagen treffen zu können. Demnach hätte die Erderwärmung nämlich auch in der letzten Dekade weiter gehen müssen. Dass es anders gekommen ist, stört naturgemäß den Kampf um die öffentliche Meinung und um die Hirne der Entscheider. Eine Debatte um Prognosen und was davon letztlich eintraf, muss die politische Lufthoheit eines Teils der Klimaforschung bedrohen und ist somit unerwünscht – erst recht kurz vor oder während des Kopenhagener Gipfels.
Zum Ausgleich haben Klimaforscher des Potsdam Instituts, verstärkt durch gleichdenkende Kollegen aus dem UN-Weltklimarat, vor einigen Wochen bei den Horror-Szenarien noch einmal draufgesattelt. Sieben statt bisher vier Grad wärmer soll es jetzt bis zum Ende des Jahrhunderts werden, ein um satte sieben Meter höherer Meeresspiegel ist ebenfalls prognostiziert. Beim politischen Marketing nähert sich ein Teil der Branche somit langsam den apokalyptischen Katastrophenfilmen des Regisseurs Roland Emmerich. Da könnte eventuell alsbald ein Glaubwürdigkeitsproblem drohen, denn auch Panikmache nützt sich ab.
Patentrezepte und Allmachtsphantasien
Zusammenfassend: Aus Computer-Simulationen werden Thesen, daraus Horror-Szenarien und aus diesen wiederum unrealistisch klingende Patentrezepte abgeleitet, die bisweilen an Allmachtsphantasien grenzen. Denn ist es möglicherweise reine Hybris, das Klima steuern zu wollen wie eine große Maschine? „Es gibt Leute, die glauben – und viele sitzen in sehr bedeutenden Forschungszentren –, dass man das Klima modellieren kann. Ich glaube das nicht”, meint dazu der Mathematiker und Chaos-Forscher Hans Otto Peitgen.
„Seriöse Wissenschaftler sollten sich hüten, in die Rolle des Nostradamus zu schlüpfen”, schreibt der Umwelthistoriker Wolfgang Behringer in seinem 2007 erschienenen Buch „Kulturgeschichte des Klimas” (Verlag C.H. Beck). Behringer weist zudem darauf hin, dass jeder Klimawandel zwar Verlierer, aber eben auch Gewinner kennt. Das so genannte Klimaoptimum, die Warmphase zwischen 1000 bis 1300 n. Chr., führte in Europa und dem Nahen Osten zu kultureller und wirtschaftlichen Blüte, in Norwegen gedieh der Wein, auf Grönland („Grünland”) war Ackerbau und Viehzucht möglich. In der dann folgenden „kleinen Eiszeit” durchlitt die damals bekannte Welt hingegen harte, auch klimabedingte Krisen. Klimawandel ist also erstens nichts Neues, zweitens sind Warmphasen dem menschlichen Leben allemal zuträglicher als das Gegenteil.
Ein religiöser Unterton schleicht sich ein
Wie auch immer: Die Wirklichkeit des Erdklimas ist jedenfalls so komplex und von so vielen Faktoren abhängig, dass es einer arroganten Kühnheit gleichkommt, wenn Klima-Päpste wie Al Gore mit gebieterischer Geste und im Bewusstsein ihrer Weltrettungsmission ein „Ende der Debatte” einfordern. Gerade bei dem US-Amerikaner Gore, mitunter aber auch bei einigen der deutschen Wortführer schleicht sich ein unangenehmer, aber eben bezeichnender religiöser Unterton ein. Die Berufsmahner scheinen nicht mehr zu merken: Wer immer den Besitz der einzig denkbaren „Wahrheit” einklagt, der macht sich auf Dauer suspekt. Wie um diese Anmaßung noch einmal zu belegen, sprach Schellnhuber vor einigen Wochen theatralisch vor den Berliner Hauptstadtmedien von einem „letzten Aufruf” an 192 Staatenlenker seinen Thesen zu folgen.
„Leider verstehen sich viele Wissenschafter zu sehr als Pastoren, die den Menschen Moralpredigten halten”, hat Hans von Storch, Leiter der Instituts für Küstenforschung in Geesthacht, einmal bemerkt. Auch er ist einer jener Wissenschaftler, die mehr Gelassenheit und weniger politisches Marketing mittels Panikmache anmahnen. Weil Furcht ein schlechter Ratgeber ist, plädiert er dafür, „den Menschen die Angst vor der Klimaveränderung zu nehmen”. Es sei ganz einfach dumm, „jeden ordentlichen Wintersturm” oder den Tsunami in Ostasien auf das Konto des Klimawandels zu verbuchen. Vielleicht muss man, wie Hans von Storch, auf der schon seit Menschengedenken umtosten Nordseeinsel Föhr aufwachsen, um vor Panik gefeit zu sein. Und vielleicht führt die Nähe zur Küste auch bei den Prognosen zu mehr Vorsicht. Am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven hält man jedenfalls nicht sieben Meter, sondern einen klimabedingten Pegelanstieg von 40 Zentimetern für realistisch - allemal eine beherrschbare Größenordnung, selbst wenn sie sich noch leicht nach oben bewegen würde.
Der apokalyptische Ton so vieler Umweltdebatten
Die hochnäsige Behauptung, bei den Skeptikern handele es sich um Laien, die gegen eine geschlossene Front der Wissenschaft anreden, ist jedenfalls nicht stichhaltig. Vielmehr ist die Forscher-Gemeinde viel gespaltener als die oft einseitig informierte Öffentlichkeit ahnt. Physiker wie Rahmstorf und der Kanzlerinnen-Berater Hans-Joachim Schellnhuber prägen die Debatte mit ihren Weltuntergangs-Szenarien, die auch deshalb so eingängig wirken, weil sie exakt dem apokalyptischen Tonfall so vieler Umweltdebatten der letzten Jahrzehnte entsprechen.
Ihnen stehen durchaus nicht wenige Meterologen, Geologen und Klimahistoriker gegenüber, die die Dinge anders sehen und die sich außer von Modellrechnungen auch von gemessener Realität beeindrucken lassen. Sie haben das, was man sich als Wissenschaftler immer bewahren sollte: Zweifel. „Wir wissen einfach zu wenig”, resümiert der Umweltjournalist Dirk Maxeiner seine langjährigen Recherchen zum Thema.
Lässt sich der Klimawandel wirklich "aufhalten"?
Kann es aber dann vernünftig sein, auf Simulationsbasis Ausgaben zu fordern, die sich im Billionen-Euro-Bereich bewegen? Lässt sich der Klimawandel wirklich „aufhalten” oder wäre es womöglich klüger, die vorhandenen Ressourcen in das Management des Klimawandels, in die Begrenzung seiner Folgen zu stecken? Ist es realistisch zu meinen, man könne den Tanker Erde mit seinen unendlich vielen divergierenden Interessen um 180 Grad drehen? Haben sich daran nicht schon viele andere verhoben, die sich zur umfassenden Weltenrettung berufen fühlten? Ganz unabhängig vom Klimawandel ist das Einsparen fossiler Brennstoffe in jedem Fall richtig - aber kann es sinnvoll sein, auf der Ebene der Forderungen jedes realistische Maß zu verlieren?
Gegen Fluten helfen schon seit Jahrhunderten Deiche, weniger missionarisch aufgeladene Verzichtsarien, Bußpredigten und sonstige große Worte. Trost hält auch hier Umwelthistoriker Wolfgang Behringer bereit: Uns heutigen Menschen stehen dank der Technik unendlich mehr Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung als unseren in dieser Hinsicht unglücklichen Vorfahren.
Halten wir noch einmal fest: Allein Deutschland soll im Endeffekt Milliarden und aber Milliarden Euro aufwenden für spekulative Thesen und Vorgehensweisen, deren Richtigkeit und deren Erfolg ungewiss ist. Wir sollen den Wissenschaftler glauben, dass das Klima beherrschbar und durch Menschen regelbar ist. Und wir sollen dafür unsere Wirtschaft und Lebensweise aufs Spiel setzen, denn die finanziellen Ressourcen sind nun einmal endlich. Das ist schlicht und einfach tollkühn und extrem riskant.