Gelsenkirchen/Essen. Das Gericht hat entschieden, dass in Essen, Gelsenkirchen und auf Teilen der A40 ein Dieselfahrverbot eingeführt werden muss. Reaktionen:
Nach dem Gerichtsurteil zu Diesel-Fahrverboten in Essen, Gelsenkirchen und auf Teilen der A40 schlagen die Reaktionen hohe Wellen. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) reagierte verärgert auf den Richterspruch und machte die Landesregierung mitverantwortlich. „Die Untätigkeit der Landesregierung beim Diesel-Thema hat die heutige Entscheidung geradezu provoziert. Noch im März hatte Ministerpräsident Armin Laschet Fahrverboten eine deutliche Absage erteilt. Offensichtlich hat das, was die Landesregierung an Aktivitäten entfaltet hat, um Fahrverbote zu verhindern, dem Gericht nicht gereicht“, erklärt Frank Baranowski.
Auch die Bundesregierung habe eklatante Fehler gemacht, so Frank Baranowski weiter. „Ohne die entsprechenden Hardware-Nachrüstungen werden Autobesitzer, die sich kein neues Auto leisten können, vor vollendete Tatsachen gestellt. Es kann nicht sein, dass das finanzielle, technische und juristische Risiko bei den Menschen hängen bleibt und nicht bei den Autoherstellern als Verursacher. Im Gegenteil: Die Hersteller nutzen das Dilemma noch zur Absatzsteigerung. Die Bundeskanzlerin muss jetzt endlich einmal durchgreifen.“
Während die Deutsche Umwelthilfe (DUH) als Klägerin die Urteile als «bisher stärkstes Urteil für den Gesundheitsschutz lobte», reagierten die Städte mit Unverständnis. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zeigte sich überrascht von den Entscheidungen und kündigte an, das Land werde in Berufung gehen, wenn von Fahrverboten «eine Stadt und eine Autobahn im Zentrum eines Ballungsgebietes wie dem Ruhrgebiet betroffen» seien. Zwar müsse der Ausstoß von Stickoxiden reduziert werden, um die Luftqualität zu verbessern. Zugleich müsse aber die Mobilität der Menschen sichergestellt werden, erklärte Heinen-Esser in Düsseldorf.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte zuvor eine Fahrverbotszone für Essen angekündigt, in die es ausdrücklich auch die Verkehrsschlagader A40 auf dem Stadtgebiet einbezogen hat. «Wir sind von der Härte des Urteils sehr überrascht», sagte Heinen-Esser. Da eine «Lebensader des Ruhrgebiets» mit Hunderttausenden Pendlern betroffen sei, müsse die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung überprüft werden. Die Richterin habe sich offenbar auch keine Gedanken gemacht, wie das Fahrverbot auf einer Autobahn zu kontrollieren sei. Zudem bestünden Zweifel an der europarechtlichen Rechtmäßigkeit.
Das Urteil zum Diesel-Fahrverbot in Gelsenkirchen werde noch überprüft. Heinen-Esser äußerte aber auch Verständnis für die Richter, denn die Grenzwerte bestünden schon seit 2010 und müssten eingehalten werden. Es sei keine Option, sie gesetzlich hochzuschrauben.
Essens OB: „Wir streben Revision des Diesel-Urteils an“
Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) kündigte indes an, in Revision gehen zu wollen. „Die heutige Verurteilung des Landes trifft uns in Essen hart“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kufen nach der Urteilsverkündung zum Diesel-Fahrverbot. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen jetzt ausbaden, was auf Bundes- und Landesebene seit Jahren versäumt wurde.“
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„Das Gerichtsverfahren zeigt die Begrenztheit des kommunalen Einflusses auf die Luftreinhaltung. Für die betroffenen Städte muss jetzt eine schnelle Lösung vom Bund kommen, um die heute angeordneten Fahrverbote überhaupt noch verhindern zu können. Es muss eine schnelle Soft- und Hardwarenachrüstung kommen, die nicht zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger ausfallen darf, so Kufen weiter.“
Regierungspräsidentin Dorothee Feller sagt: „Wir waren schon überzeugt, dass die vorgesehenen und zum Teil schon umgesetzten Maßnahmen ausreichen, den vorgegebenen Grenzwert einzuhalten. Wir warten jetzt die schriftliche Urteilsbegründung ab und werden uns damit intensiv auseinandersetzen.“
Chef des Duisburger Hafens
Erich Staake, Chef des Duisburger Hafens, reagierte entsetzt auf das Diesel-Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen: „Das ist eine Katastrophe. Wenn die Erreichbarkeit nicht mehr gewährleistet ist, hat das riesige Folgen für die Wirtschaft.“ Der Duisburger Hafen, der täglich von 2000 LKW angefahren wird, ist die wichtigste Logistik-Drehscheibe des Ruhrgebiets.
Deutscher Städtetag
Der Deutsche Städtetag fordert eine Hardware-Nachrüstung und Umtauschprämien für Euro 4- und Euro 5-Diesel weit über die 15 Städte hinaus, die von der Bundesregierung in ihren Verhandlungen mit der Automobilindustrie zugrunde gelegt worden sind. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte der unserer Redaktion nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts:
„Wenn das heutige Urteil rechtskräftig wird, sind gravierende Folgen für Essen und das Ruhrgebiet zu erwarten. Nach dem Richterspruch drängt sich auf: Es gibt inzwischen so viel Pendler- und Durchgangsverkehr in unseren Städten, dass nur flächendeckende Maßnahmen der Autoindustrie gegen die zu hohen Stickoxidwerte wirklich helfen. Das gilt erst recht in Nordrhein-Westfalen mit seiner hohen Städtedichte. Wir brauchen deshalb Hardware-Nachrüstung und Umtauschprämien bundesweit und damit auch in ganz NRW. Das ist wichtig für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Außerdem wissen sonst viele Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer bald nicht mehr, wo sie noch fahren können. Bundesregierung und Landesregierung müssen den Druck auf die Automobilindustrie erhöhen. Und die Hersteller müssen Hardware-Nachrüstungen sehr rasch umsetzen und voll bezahlen. Nur so lassen sich weitere Fahrverbote vermeiden.“
Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef:
"Das ist eine Katastrophe für die betroffenen Menschen. Sie sind stinkesauer auf die Autohersteller und die Landesregierung. Laschet legt das Land lahm. Wenn die Landesregierung Berufung ankündigt und auf die Verhältnismäßigkeit hinweist, ist das eine stümperhafte Rechtsauffassung. Was verhältnismäßig ist, entscheidet ein Gericht. Ich erwarte nun erstens, dass sich der Ministerpräsident endlich für eine Hardware-Nachrüstung auf Kosten der Hersteller stark macht. Zweitens erwarte ich einen Notfallplan, um Fahrverbote abzuwenden. Dazu gehören ein besserer Nahverkehr, ein 356Tage-/365 Euro-Ticket und Notlösungen für Handwerk und Industrie.“
Arndt Klocke, Grünen-Fraktionschef:
„Das Gelsenkirchener Urteil kommt nicht überraschend – es verdeutlicht den Handlungsdruck allerdings auf dramatische Art und Weise. Mit einem Fahrverbot auf der A40 wäre eine zentrale Verkehrsader im Ruhrgebiet gekappt. Sowohl die Landesregierung, als auch die Automobilkonzerne müssen jetzt alles erdenklich Mögliche tun, um diesen drohenden Verkehrsinfarkt abzuwenden. Das Zögern und Zaudern muss ab sofort ein Ende haben.“
FDP-Verkehrspolitiker: Umwelthilfe schadet Wirtschaftsstandort
Nach dem Gerichtsurteil zu Diesel-Fahrverboten auch auf der viel befahrenen A40 im Essener Stadtgebiet hat die FDP die klagende Deutsche Umwelthilfe massiv kritisiert. Die Umwelthilfe schade inzwischen «massiv dem Wirtschaftsstandort Deutschland», sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete und Verkehrspolitiker Bernd Reuther am Donnerstag in Berlin. «Währenddessen schaut die Bundesregierung tatenlos zu.» Mit der Verhängung von Fahrverboten auf der A40 werde das Ruhrgebiet «lahmgelegt».
Josef Hovenjürgen, Generalsekretär NRW-CDU: „Eine blaue Umweltzone auf einer Autobahn? Die Verhältnismäßigkeit ist hier wirklich sehr fraglich. Erstmals ist nicht mehr nur ein Stadtgebiet betroffen, sondern auch noch eine wichtige Fernverkehrsstraße, die zu den Hauptverkehrsadern im Ruhrgebiet zählt. Dieser Entscheid bedroht den gesamten Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet. Und das alles wegen eines Messwertes, der um zehn Mikrogramm überschritten wurde. Die rot-grüne Vorgängerregierung hat sieben Jahre lang geschlafen und das Problem vor sich hergeschoben.“ (mk/ sat mit dpa)