Düsseldorf. . NRW lässt trotz des Zuckergehalts noch Schulkakao subventionieren. Verbraucherschützer kritisieren das Netzwerk von Milchwirtschaft und Politik.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch prangert in einem Bericht zur Schulmilch eine „dubiose“ und aus ihrer Sicht für die Kindergesundheit riskante Verflechtung zwischen der NRW-Landesregierung und der Milchwirtschaft an. Während fast alle Bundesländer inzwischen auf eine Abgabe von zuckerhaltigen und damit wohl auch Übergewicht, Karies und Diabetes fördernden Milchprodukten wie Kakao verzichteten, verschaffe das einwohnerstärkste Land der Milchwirtschaft weiter den direkten Zugang zu Schulen, heißt es im Report „Der Kakao-Sumpf“, den Foodwatch heute vorstellt. Neben NRW lassen nur Berlin und Brandenburg Zuckerzusätze in der Schulmilch zu.
Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker und seine Mitstreiter kündigen an, mit ihrem Bericht zur Schulmilch ein „enges Netzwerk aus Milchwirtschaft, dubiosen Wissenschaftlern und Politik“ aufzudecken, das es in NRW schon seit Jahrzehnten gebe und das bisher von allen dort regierenden Parteien mitgetragen worden sei.
„Lobbyisten haben an den Schulen nichts verloren. Unterricht und Ernährungsbildung müssen unabhängig von wirtschaftlichen Interessen organisiert werden. Es ist auf die befremdlichste Weise inakzeptabel, dass die wechselnden Landesregierungen die Milchwirtschaft über Jahre hinweg in die Schulen schicken, um bei kleinen Kindern Absatzförderung für ihre eigenen Produkte zu betreiben und sie dafür auch noch mit Steuergeldern ausstatten“, sagte Rücker dieser Redaktion. Er forderte NRW-Verbraucherschutzministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) auf, einen Erlass aus dem Jahr 1994 zurückzuziehen, durch den NRW die Milchwirtschaft beauftrage, Werbung für Milch und damit auch gezuckerten Kakao in Schulen zu machen.
Sieben Stücke Würfelzucker im Viertelliter
Mit ihrem Schul-Ernährungsprogramm fördert die EU laut Foodwatch nur noch die Abgabe ungezuckerter Milch. Sie ermögliche aber Ausnahmen, und davon machten NRW, Berlin und Brandenburg Gebrauch. Die Abgabe besonders zuckerhaltiger Erdbeer- und Vanillemilch an Schüler wird zwar durch NRW nicht mehr unterstützt, wohl aber die Abgabe von Kakao.
Sieben Stücke Würfelzucker stecken in einem Viertelliter Schokoladentrunk, Experten raten vom regelmäßigen Genuss ab. „Die Verteilung gezuckerter Schulmilch ist schädlich für die Gesundheit der Kinder“, sagt zum Beispiel Prof. Matthias Blüher, Chef der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Blüher appelliert zusammen mit Ärzten, Forschern, Elternvertretern und Lehrergewerkschaftern an die NRW-Regierung, gezuckerten Kakao aus dem Schulmilchprogramm zu streichen. Die Milchwirtschaft spreche zwar gerne über die „gesunde Milch“, die Kinder in der Schule bekämen.
Tatsächlich aber bevorzugten die meisten Schüler den gezuckerten Kakao, so Foodwatch. Der Verein kritisiert außerdem, dass dubiose Forscher im Auftrag der Milchlobby die Mär vom gesunden Kakao verbreiten dürften, und das sogar auf den Internetseiten und in Broschüren von Behörden.
NRW befragt Eltern zur Schulmilch
Ministerin Heinen-Esser hat eine baldige „Evaluierung“ des Schulmilchprogramms angekündigt. Zu einem gesunden Frühstück gehöre ihrer Meinung nach auch Calcium, das zum Beispiel in Milch und Kakao stecke. „Priorität hat dabei für mich die Trinkmilch“, sagte sie. Die Ministerin verwies auf einen ersten Austausch zu diesem Thema. „Für uns ist es wichtig, Fakten zu sammeln und diese ergebnisoffen zu erörtern. In die Evaluierung werden selbstverständlich alle gewonnenen Erkenntnisse und Stellungnahmen, wie auch die Ergebnisse der Elternbefragung, einfließen.“
Um die Schulverpflegung insgesamt zu verbessern, müssten alle an einem Strang ziehen, sagte Heinen-Esser. Sie sieht auch die Eltern in der Pflicht: „Viele Kinder kommen ohne gefrühstückt zu haben und ohne Pausen-Mahlzeit in die Schule. Was aufs Pausenbrot kommt, dabei sollten die Kinder durchaus mitentscheiden. Dies ist dann auch ein guter Anlass, um über Ernährung zu reden.“
NRW stellt im laufenden Schuljahr für das Milchprogramm 2,6 Millionen Euro aus EU- und 370.000 Euro aus Landesmitteln bereit. Das Programm erreicht etwa 200.000 Kinder in Kitas und Schulen.