Essen. . Essener Islamwissenschaftlerin Kaddor: “Wer für deutsche Muslime sprechen will, kann nicht zugleich Sprachrohr der türkischen Regierung sein.“
Vor über 34 Jahren wurde der türkisch-islamische Verband Ditib gegründet, um die Integration der Türken in Deutschland zu befördern. Doch inzwischen steht der Moscheeverband in der Kritik, weil er eher dazu beitrage, die Spaltung zwischen den türkischstämmigen Muslimen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu vertiefen. Die Eröffnung der Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld durch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan habe dies erneut vor Augen geführt, sagte Lamya Kaddor (40), Islamwissenschaftlerin an der Uni Duisburg-Essen, im Gespräch mit Christopher Onkelbach.
Frau Kaddor, die Forderung nach einer Überwachung der Ditib wird lauter. Ist das sinnvoll?
Kaddor: Dafür spricht die türkisch-nationalistische Ausrichtung der Ditib-Zentrale, die immer offensichtlicher wird. Wenn nur Vertreter der türkischen Regierung an der Moschee-Eröffnung teilnehmen, ist das ein verheerendes Zeichen für das Zusammenleben. Auch der Verdacht der Bespitzelung von in Deutschland lebenden Oppositionellen spricht dafür.
Welche Argumente sprechen dagegen?
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Dagegen spricht die Struktur der Ditib, die in NRW rund 300 und bundesweit 900 Moscheen leitet. Die Frage ist, ob man es sich aus integrationspolitischer Sicht leisten kann, den Dialog gänzlich einzufrieren. Allerdings darf dieses Argument auch kein Freifahrtschein mehr sein, den Bund und Länder bereitwillig annehmen. Die Ditib muss es schaffen, sich von der türkischen Politik zu lösen. Sie ist schließlich ein nach dem deutschen Vereinsrecht gegründeter Dachverband mit dem Ziel einer religiösen, sozialen, kulturellen und sportlichen Betreuung der Muslime in Deutschland, wie es in der Vereinssatzung heißt.
Gibt es innerhalb der Ditib auch ander Stimmen?
Auf lokaler Ebene leisten viele Ditib-Gemeinden gute Arbeit, intern wird aber auch Kritik laut. Doch der Verband ist streng hierarchisch organisiert und die Führung greift durch. Der gesamte Ditib-Jugendvorstand ist 2017 zurückgetreten, weil er nicht einverstanden war mit dem Kurs des Verbands. Und der relativ liberale Vorstand der Moschee in Duisburg-Marxloh wurde durch einen konservativeren Nachfolger ersetzt. Das ergibt ein bedenkliches Gesamtbild.
Ist die Ditib denn tatsächlich Erdogans verlängerter Arm in Deutschland?
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Ja, natürlich. Ditib untersteht der Kontrolle und Leitung der staatlichen Religionsbehörde in Ankara, die wiederum dem Staatspräsidenten untersteht. Das zeigt sich personell und strukturell. So lange Erdogans Politik gemäßigt war, hatte die deutsche Politik dagegen wenig Einwände. Doch mit dem Kursschwenk in Ankara wurde das zum Problem. Kritiker haben schon immer darauf hingewiesen, dass die Ditib daran arbeitet, Gläubige an die Türkei zu binden, statt sie dabei zu unterstützen, muslimische Deutsche zu sein. Viele haben seit langem davor gewarnt, die Ditib als Hauptansprechpartner zu betrachten. Die deutsche Politik hätte viel früher reagieren müssen.
Ist die Forderung, die Ditib müsse sich von Ankara lösen, realistisch?
Das ist nicht so einfach. Aber das kann kein Grund sein. Die Konsequenz muss sein, die Kooperation auf Eis zu legen. Wir müssen von der Ditib verlangen, ein stärkeres Bekenntnis zu dem Land abzulegen, in dem sie lebt und arbeitet, und ihre Zugehörigkeit stärker zu zeigen. Hier sind auch einfache Mitglieder aufgerufen, ihre Kritik lauter zu äußern. Bei der Moschee-Eröffnung sah ich aber wieder nur vor allem türkische Fahnen.
Kann man auf die Ditib als Dialogpartner in Zukunft verzichten?
Wir müssen uns überlegen, ob wir es uns erlauben wollen, mit einem Verband nicht mehr zusammenzuarbeiten, der offiziell so viele Muslime vertritt. Aber wir könnten alternative Kooperationswege suchen. Mit einem Dialogangebot sollte die Landesregierung aber klare Forderungen verbinden. Wer für deutsche Muslime sprechen will, kann nicht zugleich Sprachrohr der türkischen Regierung sein.
Sehen Sie Anzeichen für ein Umdenken bei der Ditib?
Im Gegenteil. Eine Loslösung von der Türkei scheint mir derzeit bloß ein frommer Wunsch zu sein. Denn der Verband ändert im Moment gar nichts. Die Moschee-Eröffnung wäre eine Gelegenheit für versöhnliche Gesten gewesen. Dass dies wieder nicht geschehen ist, finde ich verstörend. Statt dessen sprach Erdogan vor „seinen Landsleuten“, wie er die Deutschtürken immer anspricht, von Rassismus und bringt sie in seinem Sinne auf Kurs. Das ist für unser Zusammenleben gefährlich.
>>>Tag der offenen Moschee
Der diesjährige „Tag der offenen Moschee“ am Mittwoch, 3. Oktober, wird überschattet von der Kritik an Ditib sowie der umstrittenen Moschee-Eröffnung durch den türkischen Staatspräsidenten. Der Tag findet in diesem Jahr zum 21. Mal statt und wurde ursprünglich bewusst auf den Tag der Deutschen Einheit gelegt als Zeichen für die Verbundenheit der türkischen Muslime mit Deutschland.