Düsseldorf. . Keine Zeit für ein Glas Wasser oder den Biss ins Butterbrot: Esther Hasenbeck aus Essen berichtet von den Folgen des Personalmangels in Kliniken.
Eine Pressekonferenz zur „Personalsituation in Krankenhäusern“ war am Montag im Landtag angekündigt. Sylvia Bühler aus der Verdi-Spitze sagte, was alle längst wissen: dass in Deutschland Zigtausende und in NRW Tausende Pfleger fehlen. Dass das Klinik-Personal zu oft am Limit arbeitet. Dann aber sprach die Essener Krankenpflegerin Esther Hasenbeck Sätze ins Mikro, die den Klinikalltag als Mangelwirtschaft sondergleichen entlarven sollten. Sätze wie diesen: „Man will morgens manchmal schon weinend nach Hause gehen, weil es heißt, Kollege X ist krank.“
Esther Hasenbeck ist es nicht gewohnt, vor Kameras zu stehen, und die vielen Interviewwünsche nach der Pressekonferenz machten die 32-Jährige sichtlich nervös. Kurz zuvor, auf dem Podium, hat die Krankenpflegerin einfach mal drauflos geredet und das Wort „Personalmangel“ so gut sie konnte in Alltagssprache übersetzt: „Wir kommen jeden Tag an unsere Grenzen. Wir arbeiten nicht mehr unter menschlichen Bedingungen, und die Patienten werden nicht unter menschenwürdigen Bedingungen versorgt. Ich habe bestimmt schon hundert Dienste gemacht ohne einen Schluck Wasser zu trinken“, sagt sie. Dienste, ohne auf die Toilette zu gehen; Dienste, ohne zwischendurch in ein Butterbrot zu beißen – das sei Alltag in den Krankenhäusern.
2008 hat Esther Hasenbeck ihr Pflegeexamen bestanden, seit 2009 arbeitet sie in einem großen Klinikum im Revier. Ihre Mutter war auch Pflegerin, ist schon in Frührente: Rücken kaputt. Das Leiden jener, die Leiden lindern. Spätestens nach zwei Jahren im Beruf sei der Grundgedanke, Menschen helfen zu wollen, bei vielen ihrer Kollegen schon „vernichtet“. Die ersten flüchteten schon während oder kurz nach der Ausbildung.
Sylvia Bühler, die Verdi-Frau, erzählt von Nachtschichten, in denen eine Pflegerin 30 bis 40 Patienten betreuen soll, weil eine Fachkraft krankheitsbedingt ausfällt. Esther Hasenbeck sagt, die normale Nachtschicht – zwei Pfleger, 36 Patienten – sei schon hart genug. Verantwortlich zu sein für 18 Menschen, die ihre persönliche Tablettendosis brauchen, Infusionen bekommen, Schmerzen haben oder schlecht träumen. „Wir tun alles, aber da passieren Fehler. Wir müssen Prioritäten setzen. Wir gehen jeden Tag Risiko“, berichtet die Pflegerin. „Ich würde gerne mehr mit den Patienten reden, ihnen ein Ohr schenken, aber das habe ich nicht für sie.“ Das Menschliche bleibe auf der Strecke, bis zum regulären Renteneintritt halte kaum einer diesen Knochenjob durch.
Bundesweit fehlen laut Verdi rund 80 000 Fachkräfte
Würdevoll sollte die Versorgung der Patienten sein, findet Hasenbeck. Und ihre Kollegen verdienten mehr Wertschätzung. „Warum“, fragt sie, „werden Milliarden-Rettungsschirme über Banken gespannt? Warum fließt so wenig Geld in die Betreuung von Menschen?“ Schließlich werde jeder mal alt und krank, fügt sie hinzu. Auch Kanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn benötigten eines Tages einen Pfleger.
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Um einen Eindruck vom Personalmangel zu bekommen, der in den deutschen Kliniken herrscht, hat Verdi eine Erhebung in 166 Krankenhäusern durchgeführt und die Stellen-Lücke auf dieser Basis hochgerechnet. Im wissenschaftlichen Sinne sei diese Studie nicht repräsentativ, räumte Sylvia Bühler ein. Aber sie bilde die Lage dennoch recht gut ab. Rund 80 000 Krankenpfleger fehlen demnach bundesweit, in NRW etwa 18 000. Bei der Personalausstattung seien die deutschen Kliniken europaweit Schlusslicht, und viele Dienstpläne seien von vorherein unrealistisch. Jeder Krankheitsfall beim Personal werde „zum Notfall im Dienstplan“.
Manchmal, wenn ihre Schicht wieder zum Notfall wird, kommen Esther Hasenbeck fast die Tränen. „Es ist eine Grenze erreicht“, sagt sie. „Es funktioniert nicht mehr.“
>> DER ALTENPFLEGE FEHLEN 63.000 KRÄFTE
- Ähnlich haarsträubend wie in den Kliniken seien die Zustände laut Verdi in der Altenpflege. Hier fehlten bundesweit rund 63 000 Fachkräfte. Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigten 13 000 zusätzlichen Stellen für die stationäre Altenpflege seien nur ein „Tropfen auf dem heißen Stein“.