Wuppertal/Essen. Die Stadt Wuppertal mahnte die Eigentümer des evakuierten Hochhauses seit Jahren. Fachleute fordern einen besseren Brandschutz.

Unsicherheit – das ist das vorherrschende Gefühl bei den Bewohnern am Tag nach der Evakuierung des Hochhauses in Wuppertal. Unsicherheit darüber, wo sie in der nächsten Nacht, der nächsten Woche oder vielleicht sogar die nächsten Monate schlafen werden. Darüber, was mit ihrem Hab und Gut, etwa den Möbeln, geschehen soll. Und Unsicherheit darüber, wann und ob sie überhaupt in ihre Wohnungen zurückkehren können.

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Am Dienstagnachmittag war plötzlich alles ganz schnell gegangen; Polizei, Feuerwehr und städtische Mitarbeiter klingelten ohne Vorwarnung nach und nach bei den 72 Bewohnern des Hauses an der Heinrich-Böll-Straße. Binnen 15 Minuten sollten sie ihre Wohnungen verlassen. Selbst Jochen Braun, der zuständige Ressortleiter der Stadt Wuppertal, spricht bei diesem Tempo von einer „Hauruck-Aktion“. Aber nachdem das Haus als unbewohnbar eingestuft worden war, hätte man nicht länger abwarten können. Im Falle eines Brandes wäre es „eine tödliche Falle“, so Braun.

Denn hinter den schon sichtlich verwitterten Kunststoffplatten der Fassade befindet sich ein Hohlraum, der nach Angaben der Stadt mit einer Art Holzwolle gedämmt ist. Hinzu kommt, dass das Treppenhaus als einziger Fluchtweg nur über kleine Balkone erreicht werden kann, die aber bei einem Fassadenbrand nicht mehr nutzbar wären. Auch fehlt eine Brandmeldeanlage.

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Bereits seit 2010 fordert die Stadt Wuppertal, dass der Eigentümer die Fassade abnehmen lässt. Mehrere Besitzerwechsel hätten den Prozess aber verschleppt, wie eine Stadtsprecherin berichtet. Seit 2013 gehört das elfstöckige Gebäude der Berliner Immobilien- und Investment-Firma Intown. Bislang hatte das Unternehmen nicht auf Hinweise seitens der Stadt reagiert. Nach der Räumung lässt Intown nun in einer schriftlichen Erklärung verlauten, man sei bereits dabei, die nötigen Schritte in die Wege zu leiten. Sobald die Fassade entfernt sei, ist das Haus aus Sicht der Stadt wieder bewohnbar. Ob die Bewohner dann allerdings in ein ungedämmtes Haus zurückkehren wollen, steht auf einem anderen Blatt. Schon gestern steht für einige von ihnen fest, dass sie nicht wiederkommen wollen.

Anderen fällt das sichtlich schwerer, viele Rentner leben in dem Gebäude, über 15, 20 oder sogar 50 Jahre war das mittlerweile verwahrloste Haus ihr Zuhause. „Hier kennen sich alle“, sagt die 72-jährige Anna Kucminski. Wie viele andere ist sie zunächst in eine von der Stadt bereit gestellte Flüchtlingsunterkunft gezogen. Zunächst nur mit dem absolut nötigsten. Bis Freitag haben die Bewohner nun noch Zeit, ihre Habseligkeiten aus dem Gebäude zu holen. Wie der WDR berichtet, waren viele der Mieter Flüchtlinge, für die die Stadt die Miete gezahlt hat. Ihre Zahlungen an den Eigentümer habe sie mittlerweile eingestellt.

Brandschutz war bis zur Räumung für die Bewohner an der Heinrich-Böll-Straße kein Thema. Schon eher der seit Jahren kaputte Aufzug oder die fehlenden Klingeln, die irgendjemand aus der Wand gerissen hat. „Ich versuche jetzt das abzuhaken und irgendwie zurecht zu kommen“, sagt Bewohner Hans-Josef Cesarz. Der 42-Jährige war bei der Evakuierung nicht zu Hause und stand bei seiner Rückkehr gegen 20 Uhr plötzlich vor verschlossenen Türen.

Anwohner aus dem Nebengebäude wundern sich, dass ihr Haus nicht auch geräumt wurde. „Das ist doch die gleiche Fassade“, sagt ein 85-Jähriger. Eine Räumung sei nicht geplant, sagt Jochen Braun: denn das Nachbargebäude ist per Definition kein Hochhaus.

Feuerwehrfachleute fordern seit langem einen besseren Brandschutz, explizit auch für Gebäude unterhalb der Hochhausmarke von 22 Metern. „Auch in den unteren Etagen muss in jedem Fall nicht brennbares Dämm-Material verwendet werden, die aktuelle Situation sehen wir sehr kritisch“, sagte Hartmut Ziebs, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands, dieser Zeitung. Zustimmung kommt vom Eigentümerverband Haus & Grund. Bei vielen niedrigeren Häusern sei brennbare Dämmung verbaut worden. „Die energetische Modernisierung war politisch gewollt“, sagte Geschäftsführer Erik Uwe Amaya. Die Baufirmen hätten dabei Materialien verwendet, die brennbar aber rechtlich zulässig seien. Für eine erneute Sanierung betroffener Häuser müsse die Politik finanzielle Lösungen anbieten.

„Solche Fassadenkonstruktionen wie in Wuppertal hatten wir bislang gar nicht im Blick“, erklärte Ziebs. Denn nach der Landesbauordnung dürfte es diese Bauweise gar nicht mehr geben. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) macht unterdessen Druck auf die Bundesländer. Sie sollen zügig brandgefährdete Gebäude ausfindig machen. Geplant sei auch, die sechsjährige Überprüfungsfrist zu verkürzen.

Düsseldorf und Duisburg: Wie Dämmmaterial zur Todesfalle wurde

Die Debatte um den Brandschutz an Hochhäusern ruft Erinnerungen an die Brandtragödie am Düsseldorfer Flughafen vor 21 Jahren wach. Schweißarbeiten in der Ankunftshalle hatten am 11. April 1996 ein Feuer ausgelöst, das zu spät entdeckt wurde. Es gab zu wenig Rauchmelder und Fluchttüren. Die Entrauchungsanlage funktionierte nicht ordnungsgemäß. Eine Sprinkleranlage fehlte ganz. Eine Expertenkommission urteilte später, dass im Flughafengebäude offenbar aus Kostengründen vorschriftswidrig leicht brennbare Dämmplatten verbaut waren.

17 Menschen starben bei dieser bis heute folgenschwersten Feuerkatastrophe an einem deutschen Flughafen, 88 wurden schwer verletzt. Als Konsequenz aus dem Unglück wurden die Brandschutzvorschriften verschärft.

Die Dämmfassade wurde den Opfern (drei Tote, 28 Verletzte) eines Brandes in einem Duisburger Mehrfamilienhaus vor einem Jahr zum Verhängnis. Das Feuer fraß sich über die Polystyrolplatten bis ins Dach. Das Material gilt ei­gentlich als schwer entflammbar.