Essen. . Angsträume, Attentäter, Einbrecher: Das erste „WAZ-Wahlforum“ packt ein brisantes Thema an. Auf dem Podium saß auch Innenminister Ralf Jäger.

Trotz des Termindrucks im aufziehenden Landtagswahlkampf nimmt sich Ralf Jäger an diesem Abend viel Zeit für die WAZ. Mehr als zwei Stunden lang beantwortet der NRW-Innenminister beim ersten von drei „Wahlforen“ unserer Zeitung als Podiumsgast im Essener Grillo-Theater zum Thema „Wie sicher ist NRW?“ Fragen. Terrorangst, No-Go-Areas, Einbrüche – WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock diskutiert mit Jäger, CDU-Innenexperte Peter Biesenbach und dem Landeschef der Polizei-Gewerkschaft GdP, Arnold Plickert, heikle Themen der aktuellen Sicherheitsdebatte. Auch nach dem offiziellen Teil bleibt Jäger länger und steht den Lesern Rede und Antwort. „Tja, wenn die WAZ ruft...“, sagt der Duisburger lächelnd.

Sicherheitsgefühl

„Die meisten Menschen fühlen sich nur sicher, wenn sie Polizei sehen“, so Jäger. Dass die Statistik in NRW rückläufige Zahlen bei Mord und Totschlag, Sexualdelikten oder Jugendkriminalität zeige, könne ein diffuses Gefühl der Unsicherheit nicht beseitigen. Das Problem des Landes: Viele Kriminalitätsfelder benötigen heute Ermittlungsspezialisten, die man auf der Straße nicht sieht. Deshalb habe man die Einstellungszahlen bei der Polizei auf 2000 pro Jahr heraufgesetzt und wolle nach der Landtagswahl auf 2300 Neueinstellungen jährlich gehen.

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CDU-Mann Biesenbach hält das für Augenwischerei. Die Menschen in NRW seien verunsichert, weil Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht, die Ungereimtheiten um den Berliner Attentäter Anis Amri und die Zunahme von Salafisten, Rockern oder ausländischen Familienclans jeden Anlass dafür böten. „Sie verharmlosen die Lage“, wirft er Jäger vor. Biesenbach bezweifelt die Einstellungsrekorde bei der Polizei. Abzüglich der pensionierten Beamten habe es in den vergangenen Jahren eine Netto-Einstellung von 34 Polizisten gegeben. Die Bewerberzahlen reichten künftig gar nicht aus. „Warum stellt die Polizei nicht wieder Realschüler ein, warum muss man Abiturient sein, um Polizist zu werden“, fragte Biesenbach.

No-Go-Areas

Gewerkschaftsboss Arnold Plickert hatte vor zwei Jahren für Aufsehen gesorgt, als er Teile von Duisburg-Marxloh, der Dortmunder Nordstadt, der Gelsenkirchener Innenstadt oder von Altenessen als „No-Go-Areas“ bezeichnet hatte. Darf ein Polizist das? Plickert macht deutlich, dass er nichts davon zurückzunehmen hat. Es gebe Viertel, in die fahre die Polizei nur noch mit zwei, drei, vier oder fünf Streifenwagen. Ohne konsequentes Einschreiten und die Verstärkung durch Hundertschaftbeamte, die intern „die Unentspannten“ genannt würden, sei die Lage nicht im Griff zu behalten. „Wenn sich Menschen bei Dunkelheit nicht mehr in bestimmte Straßen trauen, ist und bleibt das für mich eine No-Go-Area“, sagt Plickert unter großem Applaus.

Innenminister Jäger macht deutlich, dass er „von dieser Begrifflichkeit“ gar nichts halte. Es werde der falsche Eindruck erweckt, die Polizei gehe nicht mehr in bestimmte Viertel. Problemstadtteile müssten stabilisiert und nicht stigmatisiert werden, so Jäger. Strafverfolgung müsse von Sozialarbeit und Prävention begleitet werden. Biesenbach wirft dem Land dagegen vor, die Polizei nicht so auszustatten, dass sie gegen Familienclans und Parallelstrukturen wirksam vorgehen kann. „Polizisten müssen sich sagen lassen: Du kannst mir gar nichts.“

Wohnungseinbrüche

Die hohe Zahl an Wohnungseinbrüchen hält die NRW-Polizei in Atem. Innenminister Jäger sieht nach einem Rückgang der Fälle im vergangenen Jahr Anlass zur Hoffnung, dass die Konzepte gegen reisende Serieneinbrecher allmählich greifen. NRW sei leider wegen seiner zentralen Lage in Europa, der guten Autobahnanbindung und der hohen Bevölkerungsdichte im Visier internationaler Banden. „Die Kehrseite des EU-Binnenmarktes ist die Reisefreiheit für Leute, die wenig Gutes im Schilde führen“, sagt Jäger. Ist ein Täter ermittelt, komme schnell der nächste nach. „Das hört nicht einfach mal auf.“ CDU-Mann Biesenbach sieht dagegen längst nicht alle Möglichkeiten bei der internationalen Zusammenarbeit, regionalen Einsatzkommissionen und Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften ausgeschöpft.

Die Sorgen der Leser

Nimmt man die Reaktionen der WAZ-Leser an diesem Abend zum Maßstab, scheint das Sicherheitsempfinden vieler Bürger empfindlich gestört zu sein – und auch das Vertrauen in die Politik. Reinhard Birck aus Hattingen und Peter Potyka aus Gladbeck wollen eine weit verbreitete Untätigkeit der politisch Verantwortlichen in Sicherheitsfragen wahrgenommen haben. Viele Probleme seien seit Langem bekannt. Waltraud Bernd hat kein Verständnis dafür, dass Straftäter nach Feststellung ihrer Personalien oft wieder auf freien Fuß kommen. „Diese Menschen laufen frei herum und können wieder kriminell werden“, beklagt die Mülheimerin und fragt: „Warum gibt es keine Schnellrichter? Minister Jäger reagiert mit Verweis auf den Rechtsstaat, in dem nicht jeder sofort einfach weggesperrt werden könne.

Jäger: „Immer schärfere Gesetze führen nicht zwangsläufig zu mehr Sicherheit.“ Viel Applaus erhält GdP-Chef Plickert. Er fordert mehr Respekt vor Polizeibeamten und anderen Amtspersonen. Plickert: „Der Rechtsstaat darf sich nicht lächerlich machen.“

WAZ-Wahlforum: Leser fragen Politiker

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