Essen. . Neue Rechtslage erlaubt Beschränkungen vor Kitas und Heimen. Tempo-30-Zonen sollen auch Lärm verringern. NRW-Verkehrsministerium begrüßt Ausweitung.

Städte im Ruhrgebiet gehen zusehends dazu über, auch an Hauptverkehrsstraßen und vielbefahrenen Achsen abschnittsweise Tempo 30 vorzuschreiben: etwa in Bochum, Dortmund, Moers, Mülheim oder Oberhausen. Das war bisher nur an ausgewiesenen Unfallschwerpunkten möglich. Nun reicht als Begründung, wenn dort eine Kita steht oder eine Schule, ein Senioren- oder Pflegeheim oder ein Krankenhaus.

Eine vom Bund betriebene Änderung der Straßenverkehrsordnung ermöglicht das. Sie ist schon beschlossen, aber noch nicht in Kraft. Das wird für die nächsten Wochen erwartet.

In Berlin positive Ergebnisse

Das NRW-Verkehrsministerium begrüßt die Ausweitung der Tempo-30-Zonen. „Vor Kitas, Schulen oder Altenheimen müssen innerorts auch auf Bundes- und Landesstraßen Tretroller und Rollatoren Vorrang haben“, sagte Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) dieser Redaktion: „Der Verkehr muss sich den Menschen anpassen, nicht umgekehrt.“ Auch der Deutsche Städtetag begrüßt die neue Regelung.

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Mancherorts argumentieren Kommunen auch mit der Verringerung von Lärm und Schadstoffen. Ihre neuen Tempo-30-Zonen sind oft befristet und als Test ausgewiesen. Eine Untersuchung des Senats von Berlin, wo Tempo 30 an Hauptstraßen schon sehr verbreitet ist, kommt zu positiven Ergebnissen: Die Geschwindigkeit sinke tatsächlich, die Anwohner reagierten positiv. Und Fahrer hielten sich eher an Tempo 30, wenn ein zusätzliches Schild es begründet: beispielsweise „Kinder“ oder „Lärm“.

Kritik vom ADAC

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen sei „in der Regel nicht sinnvoll“, urteilt dagegen der ADAC. Vor Schulen, Kindertagesstätten oder Seniorenresidenzen könne es aber „durchaus angebracht sein“. Der ADAC befürchtet, dass mehr Durchgangsverkehr durch Wohngebiete rollt, wenn man auch auf den anderen Straße nicht mehr schneller fahren dürfe. Auch bei Nahverkehrsbetrieben gibt es Bedenken, weil sie dann langsamer würden.

Umwelt- und Fahrradverbände sprechen sich schon seit vielen Jahren dafür aus, Tempo 50 zur Ausnahme und Tempo 30 zur Regel zu machen, etwa der „Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club“. Das Europäische Parlament hatte sich schon 2011 dafür ausgesprochen aus Gründen der Verkehrssicherheit.

Ausweitung der Schleichzone 

Mal sind sie da, mal nicht, wer weiß das schon: Die grauen Kästchen sieht man eh kaum, die hoch über drei Straßen in Moers hängen; und wer sie sieht, würde eher an eine Art Lautsprecher denken. Tatsächlich aber sollen sie das Tempo von Fahrzeugen messen – und nicht das Fahrverhalten verfälschen. Weshalb ihr unscheinbares Dasein ausgesprochen hilfreich ist.

„Wir haben noch keine belastbare Auswertung“

Seit dem Sommer setzt Moers die Messgeräte zu wechselnden Zeiten an wechselnden Stellen ein, um zu überprüfen, ob die neuen Tempo-30-Abschnitte an drei Hauptverkehrsstraßen die Geschwindigkeit dort tatsächlich drosseln. „Wir haben noch keine belastbare Auswertung“, sagt der Sprecher der Stadt, Thorsten Schröder: „Wir haben aber auch keine Beschwerde. Sondern positive Meldungen der Anwohner, es sei spürbar ruhiger geworden.“

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Das Ende ist offen, in Moers wird entschieden nach einem Jahr. Doch fest steht, dass etliche Revierstädte zunehmend Tempo 30 für Abschnitte selbst von Durchgangsstraßen vorschreiben.

Lärmaktionsplan

Ein Motiv: Sie wollen damit Lärm und Schadstoffe verringern. In Mülheim ist deshalb sogar ein Kilometer der B1 versuchsweise Tempo-30-Zone – aber natürlich der alten B1, nicht der Autobahn. Und Bochum hat erst in der vergangenen Woche im Zuge eines „Lärmaktionsplans“ fünf vierspurige Strecken ausgewiesen, auf denen es künftig langsamer zugehen soll; an solchen Ausfallstraßen, wo große Wohnhäuser direkt am Bürgersteig stehen. Der erhoffte Rückgang des Schalls um drei Dezibel „hört sich nicht so an, als ob es viel wäre, entspricht aber der Reduzierung des Verkehrs um die Hälfte“, sagt Stadt-Sprecherin Tanja Wißing.

Zudem wird die Straßenverkehrsordnung bald erlauben, dass auch vor Kitas und Schulen, Altenheimen und Krankenhäusern an Durchgangsstraße Tempo 30 vorgeschrieben werden kann – auf Verwaltungsdeutsch: „in sensiblen Bereichen mit besonders schützenswerten Verkehrsteilnehmern“.

7645 Tempo-Verstöße an Kitas und Schulen in Essen

Bisher hätte dort ein Unfallbrennpunkt liegen müssen, nun will man nicht mehr „warten, bis eine Unfallhäufungsstelle entsteht“, sagt Landesverkehrsminister Michael Groschek (SPD). Um was es dabei geht, vermittelt eine einzige Zahl aus Essen: Dort gab es 2014 allein vor Schulen und Kindergärten 7645 nachgewiesene Tempo-Verstöße – und dabei wird nur an wenigen Tagen gemessen.

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Die Stadt Dortmund hat den angestrebten Änderungen bereits an manchen Stellen vorgegriffen, etwa vor Grundschulen. Dabei habe sie „das Vorliegen besonderer Gefahrenlagen bereits als gegeben vorausgesetzt“, so eine Sprecherin der Stadt. Die Ausweitung ist absehbar: Es sei zu erwarten, dass „künftig auch im Bereich weiterer Einrichtungen Geschwindigkeitsreduzierungen möglich sind“.

Tempo-30-Zönchen um den Zebrastreifen

50 Kilometer westlich davon, in Oberhausen, hat sich auch die Kindertagesstätte „Villa Kunterbunt“ vor kurzem eine Tempo-30-Zone erstritten, eine kleine, vor und hinter dem Zebrastreifen – weil auf der Tannenbergstraße so schrecklich viel Verkehr rollt. „Selbst während der Fußgängertrainings mit den Kindern wurde keine Rücksicht genommen“, erinnert sich Martina Brunnert-Münster, die Mutter von Damon (5): „Wenn man am Zebrastreifen langsamer fuhr, wurde man vom Hintermann angehupt und sogar überholt.“

Dann kam die Unterschriftenaktion, dann irgendwann kamen tatsächlich Schilder und Blitzer. „Da sind sie reihenweise reingekachelt“, sagt die 37-jährige Brunnert-Münster, Tagesmutter von Beruf. Die Blitzer sind nun wieder weg, die Schilder stehen weiter. Und jetzt? Ist es „sehr viel besser als vorher“.