Düsseldorf.. Nach erneuter Einkesselung von Polizisten in Dortmund streitet der Landtag über „No-Go-Areas“ in NRW. Der Innenminister bestreitet, dass es sie gibt.
Von „No-Go-Areas“ in Nordrhein-Westfalen will Innenminister Ralf Jäger (SPD) auch nach der Einkesselung von zwei Polizisten am vergangenen Samstag in der Dortmunder Nordstadt nichts wissen. „Es gibt in NRW keine Bereiche, die die Polizei meidet, und kein Quartier, in dem sie das Gewaltmonopol anderen überlässt“, versicherte Jäger.
Dortmunder Polizisten von 100 Personen umringt
Die Opposition sezierte den Eindruck zunehmender rechtsfreier Räume insbesondere in den NRW-Großstädten dennoch am Donnerstag in einer „Aktuellen Stunde“ im Landtag. Jäger reagierte gereizt und beschimpfte das Parlament als „No-Brain-Area“ (hirnlose Zone). CDU-Chef Armin Laschet forderte umgehend eine Entschuldigung des Innenministers bei seinem Gesetzgeber: „Die Beleidigung all derer, die die Sorgen ernst nehmen und im Parlament thematisieren, ist eine neue Stufe der Arroganz der Macht.“
Auch interessant
Der Dortmunder Vorfall vom vergangenen Samstag reiht sich ein in eine Serie von Berichten über Polizei-Ohnmacht. Zwei Beamte waren nach der Personenkontrolle eines 24-jährigen Rumänen von rund 100 Personen eingekreist und bedroht worden. Seit eineinhalb Jahren gibt es immer wieder Berichte aus Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen oder Essen, dass sich Beamte kriminellen Clans ausgeliefert sähen. Im August 2015 hatte ein interner Report des Polizeipräsidiums Duisburg aufhorchen lassen, der die Lage in Marxloh schonungslos beschrieb: „Die Rechtspflicht des Staates zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ist in solchen Stadtbezirken langfristig nicht gesichert.“
CDU und FDP warfen der Landesregierung vor, die Lage zu verharmlosen. „Wir sind in NRW immer mehr auf dem Weg zum risikolosen Verbrechen“, sagte FDP-Innenexperte Marc Lürbke. Clans hätten sich ganze Viertel aufgeteilt, es herrsche mancherorts das Gesetz der Straße. „NRW ist brutaler, unsicherer und radikaler geworden“, so Lürbke.
Angriffe auch gegen Rettungskräfte
Nicht nur Polizisten werden immer häufiger bedrängt. In einer Studie der Ruhr-Uni Bochum haben Rettungskräfte in NRW angegeben: Mehr als die Hälfte von ihnen sei schon einmal im Dienst angegriffen worden, 98 Prozent berichteten von Beleidigungen im Einsatz.
Auch gegen Mitarbeiter der Deutschen Bahn nehmen Aggressionen zu. Ab 2017 sollen sie mit Pfefferspray und Alarmgeräten ausgerüstet werden.
Jäger verwies darauf, dass die Landesregierung längst gegengesteuert habe. In Dortmund etwa zeige die Polizei auch mit Unterstützung von Hundertschaftbeamten inzwischen deutlich mehr Präsenz. Die Straßenkriminalität sei hier in diesem Jahr um 40 Prozent zurückgegangen, die Gewaltkriminalität um 20 Prozent. In Duisburg-Marxloh habe er selbst erst kürzlich einen Döner gegessen und sei selbst durch die Straßen geradelt, berichtete der aus Duisburg stammende Innenminister. Die Opposition zeichne ein „Zerrbild“ und schüre bloß Ängste.
Beamte in NRW besonders belastet
Die Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte haben jedoch im vergangenen Jahr zugenommen. Laut Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) kam es in NRW 2015 zu 6161 Attacken, was einem leichten Plus von knapp zwei Prozent gegenüber 2014 entsprach. Gemessen an der Einwohnerzahl sieht das BKA in NRW neben Berlin, Bremen, Hamburg und dem Saarland die höchste Belastung für die Beamten. Im Dortmunder Wachbezirk Nord, zu dem die Nordstadt gehört, ist die Anzahl der Übergriffe jüngst wieder angestiegen: laut der Dortmunder Behörde von 49 im ersten Halbjahr 2015 auf 63 zwischen Januar und Juni 2016.
Auch interessant
Es dürfe nicht als Normalzustand akzeptiert werden, „wenn zehn Streifenwagen zu einem normalen Einsatz fahren müssen“, forderte der Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses, Daniel Sieveke (CDU). Jäger leugne Probleme lange und reagiere erst auf maximalen Druck. So will die rot-grüne Koalition nach jahrelanger Debatte im November das Polizeigesetz ändern, um den Einsatz von 180 Uniform-Kameras („Bodycams“) in Duisburg, Düsseldorf, Köln, Wuppertal und im Kreis Siegen-Wittgenstein zu erproben. Sie sollen Randalierer vor einer Rudelbildung zurückschrecken lassen.
Arnold Plickert von der Polizeigewerkschaft GdP in NRW warnt davor, in der Polizei einen „sozialen Reparateur“ zu sehen, der Probleme in den Brennpunkten im Alleingang bekämpfen kann. „Damit diese Stadtteile keinen Niedergang erleben, brauchen wir dort auch ein vernünftiges Quartiersmanagement.“