Mülheim.. In Flüchtlingsunterkünften an Klöttschen und Oberheidstraße werden Tagespflegenester für Kleine eingerichtet. Mit speziell geschulten Tagesmüttern.
Das eigene Zuhause verlassen zu müssen, aus Angst vor Tod und Verfolgung, das muss eine zutiefst erschütternde Erfahrung sein. Wer das überlebt hat, hängt besonders an seiner Familie und kommt so rasch nicht auf den Gedanken, das eigene Kleinkind von fremden Menschen betreuen zu lassen. „Doch wir möchten auch diese Kinder so schnell wie möglich in unsere Bildungskette einreihen“, sagt Ingolf Ferner, Leiter des Bereichs Elementarbildung im Amt für Kinder, Jugend und Schule. Am Klöttschen und an der Oberheidstraße, wo aktuell Flüchtlingsunterkünfte entstehen, werden daher „Kinderstuben“ unter Leitung speziell ausgebildeter Tagesmütter eingerichtet.
Mädchen und Jungen ab zwölf Monaten können dort künftig von 8 bis 14 Uhr betreut werden – für zunächst einmal ein Jahr. Jeweils neun Plätze wird es geben und je drei Tagesmütter, die sich in Schulungen vorab interkulturelle Kompetenz aneignen sollen, so Ferner.
Mit dem Gedanken frühkindlicher Fremdbetreuung anfreunden
Damit sich auch die teils traumatisierten Eltern der Kleinen mit dem Gedanken frühkindlicher Fremdbetreuung anfreunden können, werde sich eine sozialpädagogische Fachkraft um ihre Belange kümmern. Ihnen etwa erklären, wie der Bildungsweg von Kindern in Deutschland für gewöhnlich aussieht, ihnen aber auch mal bei alltäglichen Erziehungsproblemen zur Seite stehen.
Wesentlicher Vorteil des Projektes Kinderstube, bei dem das Jugend- und das Sozialamt sowie der Evangelische Kirchenkreis an der Ruhr und die Bildungsinitiative Ruhr Futur zusammenarbeiten, sei folgender: Die Betreuung findet vor Ort statt, das nehme Eltern Angst, Scheu und Hemmungen, sagt Ferner. Und es ermögliche den Kindern zum einen viel Nähe zu Mutter und Vater, zum anderen aber eben auch einen abwechslungsreichen Tag, ein kindgerechtes Aufwachsen. Das sei elementar wichtig für die Integration.
Projektidee stammt aus Dortmund
In Dortmunds Problemviertel, der Nordstadt, habe man die Betreuung im Nahbereich erstmals getestet und für gut befunden, so Ferner. Leerstehende Ladenlokale wurden angemietet, eine Betreuung für Kinder, aber auch Tagesmütter aus dem engeren, durchaus schwierigen Umfeld wurde auf die Beine gestellt. Weil das Projekt erfolgreich war, habe die Initiative Ruhr Futur ihren Mitgliedskommunen, zu denen Mülheim zählt, ein Nachahmen empfohlen. „Es hieß, guckt euch das doch mal an, vielleicht ist das auch was für euch.“ Die Verantwortlichen in Mülheim überzeugte die Idee tatsächlich – und Ruhr Futur beließ es zum Glück nicht allein bei der Anregung, sondern unterstützt das Projekt auch mit 80 650 Euro. Mit dem Geld wird die beim Kirchenkreis mit halber Stelle beschäftige sozialpädagogische Fachkraft bezahlt, zudem werden Rechnungen für Fortbildungen und Einrichtungsgegenstände wie Wickelkommoden, Tische, Schränke beglichen. Die Kinderstuben sollen spätestens zum Herbst an den Start gehen können.
Laut Jugendamtsleiterin Lydia Schallwig könne man sich übrigens auch vorstellen, andere Kinder aus Eppinghofen, das ja eher schlecht mit Angeboten für frühkindliche Betreuung ausgestattet sei, aufzunehmen. „Wir denken vor allem an Menschen, die nicht so mobil, nicht so finanzstark sind.“
Nester und Kitas sollen kooperieren
Die Initiative Ruhr Futur unterstützt noch ein weiteres Projekt. Auf dem Weg Richtung Familienstadt hatte das Bündnis für Familie Workshops mit Eltern durchgeführt, in denen ein Wunsch mehrfach aufkam: Tagesmütter und Kitas sollten besser zusammenarbeiten, sich nicht als Konkurrenz verstehen. Wie das klappen könnte, erproben aktuell drei Nester und drei Kitas. Ruhr Futur hat dafür weitere 22 350 Euro zur Verfügung gestellt.
In Holthausen kooperieren seit Frühjahr die am William-Shakespeare-Ring liegende Kita Kindertraum und das benachbarte Tagespflegenest Die Krabbelkäfer, in Stadtmitte die Kita Wirbelwind an der Kämpchenstraße mit den Kleinen Erdlinge an der Oberstraße und in Styrum die Kita Karlchen an der Friedrich-Karl-Straße mit der Raupe-Lino an der Augustastraße.
Ausprobiert werde Verschiedenes, berichtet Ingolf Ferner: Ob sich ein Außengelände gemeinsam nutzen lässt, Räumlichkeiten geteilt werden, Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt werden können. Erzieherinnen und Tagesmütter besuchten Fortbildungen zusammen, hospitierten beieinander. Ziel der Bemühungen sei es, dass Kinder eine reibungslose Kita-Karriere erleben können, ein sanfter Übergang vom Nest zum Kindergarten möglich ist, Brüche ausbleiben. Diskutiert wird laut Eltern übrigens auch der Vorschlag, dass Kinder eines bestimmten Nestes automatisch in der kooperierenden Kita einen Platz bekommen. Es könne sein, dass es tatsächlich dazu kommt, so Ferner, „doch dann muss man sehr genau überlegen, wie man damit umgeht“