Essen.. Viele Menschen überschätzen das Ausmaß von Verbrechen, zeigt eine Bochumer Studie. Essens Polizeipräsident Frank Richter bestätigt diese Wahrnehmung.

Wie viele Raubüberfälle hat es im vergangenen Jahr in Essen gegeben? Gerd Dimsaat überlegt kurz, nennt dann eine Zahl: „2500 würde ich schätzen.“ Tatsächlich waren es 707, so steht es in der Kriminalitätsstatistik der Polizei. „Das überrascht mich schon“, sagt Dimsaat bei der Umfrage dieser Redaktion auf dem Willy-Brandt-Platz.

Gefühlte und tatsächliche Kriminalität klaffen bei vielen Bürgern erheblich auseinander, das hat zuletzt eine Langzeitstudie der Bochumer Ruhruniversität ergeben. Und spricht man mit den Menschen in der Innenstadt über Zahlen aus der Kriminalitätsstatistik, fallen zwei Erkenntnisse auf: Entweder wird die Anzahl der Verbrechen überschätzt oder es existiert keine klare Vorstellung. Viele äußern aber ein gewisses Unwohlsein, eine unbestimmte, vielleicht sogar nur unterbewusst wahrgenommene Sorge vor Kriminalität.

Richter will Brennpunkte nicht verschweigen

Der Essener Polizeipräsident Frank Richter kann diese Wahrnehmung bestätigen. „Es gibt ein diffuses, subjektives Angstgefühl“, sagt Richter, obwohl Essen nach wie vor im bundesweiten Vergleich zu den sichersten Großstädten gehöre. „Zahlen alleine machen aber nicht sicher.“ Hauptsächlich fürchteten sich die Menschen vor Wohnungseinbrüchen und Überfällen, obwohl Raubdelikte nur einen Anteil von rund einem Prozent an den Verbrechen in der Stadt haben.

Dass es bestimmte Viertel in der Stadt gibt, in denen das subjektive Sicherheitsgefühl besonders niedrig ist, will Richter nicht verschweigen: „Natürlich haben wir Brennpunkte.“ Die nördliche Innenstadt gehört dazu, Teile von Altendorf, der Polizeipräsident betont aber: „Es gibt in Essen keinen Bereich, wo Bürger nicht entlang gehen können oder die Polizei nicht hinkommt, keine No-Go-Areas.“

Die Polizei will an Brennpunkten verstärkt Präsenz zeigen – sei es durch Streifen, Zivilpolizisten oder durch Schwerpunktaktionen mit massivem Personaleinsatz, etwa gegen Einbrecherbanden oder Drogendealer. „Wir müssen flexibel reagieren und das zeigt auch seine Wirkung“, meint Richter. „In Altenessen hat sich die Situation etwas entspannt.“

Problemviertel gab es schon immer

Dass die Menschen die Kriminalität drastischer wahrnehmen, als sie in Wirklichkeit ist, dieses Phänomen ist nicht neu.

Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes bezeichnet das als „Verbrechensfurcht-Paradox“. Essens Polizeipräsident sagt dazu: „Ich frage die Leute immer: Seit wann ist es eigentlich schlimmer geworden? Darauf hat fast niemand eine Antwort.“ Soll heißen: Problemviertel, unsichere Gegenden gab es schon immer. Nur die Wahrnehmung habe sich verändert; durch soziale Medien gelängen Informationen und Gerüchte im Internet oft ungefiltert an die Öffentlichkeit. Gleich ob sie stimmen oder nicht. Zudem sei das Thema Sicherheit in den Tagen von Terrorismus und Flüchtlingssituation ein großes. „Es wird nichts mehr diskutiert derzeit als die innere Sicherheit.“

Die Polizei will dem unguten Gefühl auch mit Prävention entgegensteuern – gerade bei Einbrüchen. Es gebe aber auch Bereiche, da könne sie nicht eingreifen. Ein vermüllter Spielplatz, die Trinkerszene, auch das sorgt bei Menschen für ein ungutes Gefühl. Nicht zuletzt die Frage, wie man im öffentlichen Raum miteinander umgeht. „Es gibt Respektlosigkeiten, die sind keine Straftat, sorgen aber für Angst“, sagt Richter. „Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe.“