Ruhrgebiet. Über 100. 000 Briten leben in Deutschland. Auch in NRW befürchten viele Folgen wie Jobhürden durch den EU-Austritt. Eine englische Schule ist hingegen optimistisch.

Um den Union Jack fürs Pressefoto zu holen, geht Robert Troilett in den Nebenraum. Mit ausgestreckten Armen umfasst der Leiter der englisch-internationalen Schule St. George’s im Duisburger Süden den großen Bilderrahmen, in dem die britische Flagge eingefasst ist. Nein, er habe sie nicht wegen des Brexit abgenommen, wehrt der 47 Jahre alte Brite ab. „Sie hat mich lange ein wenig gestört, weil wir nun einmal eine internationale Schule sind.“ Seit einigen Wochen hängt in Troiletts Büro eine Weltkarte.

Nur wenige Tage ist es her, dass diese Welt aus den Fugen geraten ist. Die Mehrheit der Briten hat für den Austritt aus der EU gestimmt und damit nicht nur Europa schockiert. Mehr als 100. 000 Briten leben aktuell in Deutschland. Auch in NRW sorgen sich viele, ob ihre Berufsabschlüsse anerkannt bleiben, ihnen das Gesundheitssystem zugänglich bleibt. Viele Briten sind fassungslos ob des Votums – manch einer ist dennoch optimistisch.

Per Briefwahl für die EU gestimmt

Wer ein kleines Stück Großbritannien in NRW sucht, findet es in der Privatschule St. George’s in Duisburg. 700 Kinder aus 38 Nationen lernen in englischer Sprache und nach englischem Schulsystem. Robert Troilett leitet die Schule seit zwei Jahren, er kommt aus Manchester, bezeichnet sich als Europäer. Den Brexit hält er für falsch: „Vieles in der EU läuft nicht richtig, aber wir sollten das gemeinsam anpacken statt auszusteigen.“

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Der Brexit ist Dauerthema in der Schule: in den Klassen, unter besorgten Eltern beim Sommerfest, in der Versammlung der 105 Mitarbeiter am Montag. Selbst übt sich Troilett in Optimismus. „Wir wissen noch nicht, was tatsächlich passiert.“ Signalisiert worden sei ihm, dass britische Lehrer wie gehabt in Deutschland arbeiten können. Für die Schule könne der Brexit sogar positive Folgen haben: Viele junge Briten und Akademiker wollen EU-Bürger bleiben. „Wir könnten mehr Bewerbungen von Lehrern bekommen, mehr Schüler.“

Rund 40 Kilometer von der englischen Schule entfernt ist Marc McFadyen weniger gelassen. Der 31 Jahre alte Schotte ruft aus Bochum an, wenige Stunden, bevor er bei Starlight Express auf der Bühne steht. Knapp 40 Briten gehören zum Ensemble des Musicals, für sie alle sei das Votum ein Schock gewesen, sagt McFadyen. „Wir befürchten, dass es für uns schwieriger wird, in Deutschland zu arbeiten.“ Eine Forderung der Brexit-Befürworter war eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit – um die Einwanderung zu drosseln. Im Umkehrschluss, so McFadyens Sorge, müssen Briten wohl bald ein Arbeitsvisum für die EU beantragen. „Für mich als Künstler ist es wichtig, mich frei in Europa bewegen zu können.“ Er habe per Briefwahl ge­gen den Brexit gestimmt. Er beobachte nun, ob seine pro-europäische schottische Heimat über die Abspaltung von Großbritannien abstimmen wird. Er würde das unterstützen: „Ich denke, dass man in einer Gemeinschaft immer stärker ist.“

In den Großstädten, etwa Köln, interessieren sich vermehrt Briten für die doppelte Staatsangehörigkeit. Für Susan Pilling-Wilké aus Manchester wäre das vor einigen Jahren noch überhaupt kein Thema gewesen. Heute sagt die 63-jährige Wahl-Mülheimerin: „Ich habe meinen britischen Pass – noch. Das Brexit-Votum macht mich fassungslos.“ Vielleicht besonders, weil sie ein Großbritannien vor dem EU-Beitritt kennt: 1971 kam sie nach Deutschland, musste jedes Jahr eine neue Aufenthaltsgenehmigung beantragen. „Das war keine schöne Erfahrung.“ Sie schätze die Freiheit in der EU.

Engländer entschuldigen sich

Die Sorgen der Briten in NRW – viele Deutsche mit Wohnsitz in Großbritannien teilen sie. Nils Gutacker gehört zu den 2,2 Millionen Europäern, die auf der Insel leben. Der gebürtige Oberhausener arbeitet an der Universität von York im Nordosten Englands – dort wurde für den EU-Verbleib gestimmt. „Einige Engländer sind sogar zu mir gekommen und haben sich für das Endergebnis des Referendums entschuldigt“, erzählt der 32-Jährige.

Kollegen, die erst kürzlich nach England gekommen sind, befürchteten nun, ausreisen zu müssen. Gutacker selbst hofft auf einen Sonderstatus für Arbeitnehmer, die wie er schon länger im Land sind. „Sonst könnte ich eine doppelte Staatsbürgerschaft beantragen.“ Auch wenn er auf ein anderes Ergebnis gehofft hatte – das Referendum zu wiederholen, hält er für falsch: „Man kann nicht eine Abstimmung so lange wiederholen, bis einem das Ergebnis gefällt. Jetzt muss man damit umgehen.“