Frankfurt/Main. Um auch nach dem Brexit Geschäfte in der EU machen zu können, brauchen internationale Institute einen Standort in der Gemeinschaft.
„Wir in Frankfurt sagen: Wir bedauern es. Aber was können wir für Sie tun? Die Tore der Stadt sind weit geöffnet, und wir stehen bereit.“ So reagiert Hubertus Väth, Geschäftsführer des Lobbyverbands Frankfurt Main Finance auf die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen. Mit dem Brexit nämlich verliert der Finanzplatz London an Bedeutung – und Frankfurt könnte ein Haupt-Nutznießer sein. Die Europäische Bankenaufsicht EBA hat schon angekündigt, im Fall eines Brexit ihren Sitz zu verlagern, da wäre Frankfurt naheliegend, ist doch außer der Europäischen Zentralbank (EZB) auch die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hier angesiedelt.
Es kommt aber auf die Rahmenbedingungen an, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, also auf die Ausgestaltung der Verträge zwischen der EU und Großbritannien. Da solle Frankfurt sich nicht zu früh freuen. „Ich rechne mit einer sauberen Scheidung“, sagt Krämer, damit also, dass die EU sich mit Großbritannien verständigt. Dann hätten die Banken in London weiter Zugang zum Markt. Nur wenn es dazu nicht käme, würden die Banken aus London abwandern: „Aber ob sie dann nach Frankfurt kommen, steht auf einem anderen Blatt“, sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank. Denn um diese Banker wetteifern auch andere, Dublin, Mailand oder Paris etwa.
Experten rechnen mit 20.000 zusätzlichen Jobs in Frankfurt
700.000 Menschen arbeiten bisher in der Finanzbranche in London, 70.000 in Frankfurt/Main. 20.000 neue Jobs könnten hier entstehen, schätzen Beobachter. Die meisten Londoner Banker können sich zwar bisher kaum vorstellen, an den Main umzusiedeln, aber die Kosten sprechen für Frankfurt: die Büromieten liegen im Vergleich zu London bei etwa einem Viertel, genügend Bürofläche wäre vorhanden. 120.000 Quadratmeter stehen nach Expertenangaben leer, weitere 280.000 sind geplant. Zudem haben viele Banken in ihren Frankfurter Niederlassungen noch Platz. Und genug Wohnraum wäre am Main wohl auch noch zu finden.
Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat offenbar Pläne, 1000 ihrer 6000 Beschäftigten in London nach Dublin und Frankfurt umzusetzen. Auch die Deutsche Bank dürfte einen Teil ihrer mehr als 8000 Mitarbeiter an der Themse an den Stammsitz zurückholen. „Wir als Bank mit Sitz in Deutschland und mit einem starken Geschäft in Großbritannien sind gut darauf vorbereitet, die Folgen des Austritts zu mildern“, sagte Deutsche-Bank-Chef John Cryan. Verlagert werden dürften wohl vor allem bestimmte Geschäftsfelder wie der Handel in Euro-Anleihen oder das Währungsgeschäft. Auch die Commerzbank könnte von ihren 1000 Mitarbeitern in der britischen Hauptstadt einige zurückbeordern.
„Wir reden hier über Billionen, nicht mehr über Milliarden“
Neben dem Währungs- und Anleihegeschäft könnte auch das sogenannte Clearinggeschäft an den Main verlagert werden. Banken müssen seit der Finanzkrise ihre Finanzgeschäfte in der EU über einen sogenannten Clearing-Partner abwickeln. Das lief bisher in London. Die EZB habe aber klar signalisiert, dass sie das in ihrer Jurisdiktion haben wolle, sagt Hubertus Väth von Frankfurt Main Finance, dem Marketingverein des Finanzplatzes.
Das Clearinggeschäft in London zu halten, werde deshalb nach dem Brexit nicht mehr möglich sein. „Wir reden hier über Billionen, nicht mehr über Milliarden“, sagt Väth. Er glaubt, dieses Geschäft werde mit Sicherheit überwiegend nach Frankfurt kommen, weil dort mit der Eurex Clear bereits der größte Partner innerhalb der Eurozone angesiedelt ist.
Fusion der Deutschen mit der Londoner Börse gefährdet
Das aber hängt zum Teil davon ab, ob die Fusion der Deutschen mit der Londoner Börse wie geplant zustande kommen kann. Beide Seiten gaben sich betont gelassen. Der geplante Zusammenschluss hänge nicht vom Ausgang des Referendums ab, die „strategische Logik“ bleibe bestehen, sagte ein Sprecher. Nun werde ein Komitee die Auswirkungen analysieren und Empfehlungen erarbeiten. Über den Zusammenschluss entscheiden die Aktionäre – die der London Stock Exchange am 4. Juli auf einer Hauptversammlung, die der Deutschen Börse bis 12. Juli Zeit, ihre Aktien zum Umtausch anzudienen. Die Holding der fusionierten Börsen soll in London angesiedelt werden, die Aktionäre der Deutschen Börse die Mehrheit am neuen Unternehmen halten.
Der Brexit verändere die Ausgangslage sehr, meint dagegen Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Für den Finanzplatz Frankfurt sei es deutlich schwieriger, wenn es keine deutsche, sondern nur eine britische Börse gebe. Das könnte auch die hessische Börsenaufsicht so sehen. Sie prüft die geplante Fusion und könnte sie blockieren.