Essen. Wer hat behauptet, dass städtischer Wahlkampf langweilig sei? Die Politiker geben sich alle Mühe, ihr Publikum zu unterhalten. Kandidaten, die keine sein wollen, Plakate, die verschwinden: Kapriolen aus dem Kommunalwahlkrampf.

Muss es in diesen Zeiten verwundern, wenn Kandidaten auf dem Wahlzettel stehen, die bitte schön alles wollen, nur eins nicht: gewählt werden? Zeiten, in denen Menschen herumposaunen, ihnen wäre Günter Jauch als Kanzler ohnehin am liebsten? Die sich mit ihrer eigenen Albernheit erheitern und – Achtung, Humor – Horst Schlämmer ihre Stimme gäben? Zeiten, in denen die Politik lieber über Ackermanns Abendessen und Schmidts Dienstwagen streitet als über Inhalte zu reden? Wer hat da wen zuerst nicht ernstgenommen? Zur Wahl der Stadtoberhäupter und Räte am Sonntag hat die Politik indes schon wieder allerlei Futter geliefert jenseits der Frage: Wie soll's denn weitergehen in den Rathäusern?

Auf Dolly Buster, schlechter bekannt als Nora Baumgärtner, geborene Dvorakovà, fiel die Wahl schon oft. In der „Über 18”-Abteilung der Ortsvideothek an der Ecke. Jetzt kann man sein Kreuzchen bei ihr machen. Am Niederrhein, wo sie für die „Unabhängige Weseler Wählergemeinschaft” eingetragen ist. Wider Willen, wie sie beharrt. Sie hat eine Erklärung unterschrieben, aber offenbar vorher nicht durchgelesen. Das Leben im Pornofilm ist übersichtlicher.

Schützenkönig wird unfreiwillig Linken-Kandidat

Das Schützenleben auch. Giorgios Karagiovanis aus Kamp-Lintfort dachte zwischen Durchladen und Abdrücken, er hätte bei den Linken seinen Namen druntergesetzt, damit sie bei der Kommunalwahl überhaupt antreten könnten. Jetzt hat er den größten Vogel seines Lebens abgeschossen und ist Kandidat, wie freundliche Nachbarn ihm verrieten. Armer König. Woher hätte er auch wissen sollen, dass die Linken längst im Bundestag sitzen?

Mancher landet offenbar auch auf der NPD-Kandidatenliste, ohne es zu wissen. Zwei Mendener schwören, sie seien betrunken gewesen, hätten auf der Kirmes nur den Aufruf gegen einen Moscheebau unterschrieben. So straft Allah die Ungläubigen. Ein Bochumer wollte angeblich nur einem Freund helfen, einen Wahlstand der Rechtsradikalen aufzubauen und habe ein Formular unterschrieben, auf dem es hieß: keine Waffe mitbringen! Man könnte einwenden, wer solche Freunde duldet, kann gleich selbst bei der NPD kandidieren.

In Haltern gibt's rote Gratiskondome

In Borken müssen zwei Männer für die Unabhängige Wählergemeinschaft ihre Köpfe hinhalten, die mit der UWG längst gebrochen haben. Einer hatte nach internen Querelen bereits eine eigene Partei gegründet. Plötzlich stand er auf zwei Kandidatenlisten. Verdoppelt man so seine Wahlchancen?

Halterns SPD-Kandidat Harry Meyer biedert sich derweil mit roten Gratiskondomen an der Kneipenfront bei der Jugend an. Tolle Idee. Noch toller, dass das Haltbarkeitsdatum der Gummis mit Erdbeeraroma abgelaufen ist. Ja will den Sozialdemokraten denn nichts mehr gelingen? Bochums Junge Union lädt zum Komasaufen, als könne man sich ihr Programm schöntrinken, und der schwarze Politnachwuchs in Bottrop findet eine „Sex-am-Arbeitsplatz-ist-geil-”Kampagne nicht peinlich, sondern scharf.

Dass die CDU in Sprockhövel nicht gewählt werden will, mag man ihr nicht unterstellen, ihre Wahlplakate aber nahm sie ab. So laut natürlich, dass sogar das Fernsehen anrückte. Selbstlos verkündeten die Christdemokraten vor laufenden Kameras, sie wollten das Ortsbild angesichts der allgegenwärtigen Wahlwerbung nicht weiter verschandeln und den Verkehr nicht gefährden. Sollte die CDU den einen Prozentpunkt gutmachen, der ihr vor fünf Jahren fehlte, um an der SPD vorbei zu ziehen, dann wird sie bei der nächsten Wahl noch mehr Plakate zum Abhängen aufhängen.

Weiße Hände, schwarzer Popo

Die Grünen hängen auch ab. Ausgerechnet im friedlich-familiären Kaarst vor den Toren von Düsseldorf wollten sie mit zwei weißen Händen auf einem schwarzen Frauenpopo punkten („der einzige Grund, schwarz zu wählen”). Und nachdem den Bewohnern auffiel, dass hier nicht der örtliche FKK-Saunaclub gegen die Wirtschaftskrise ankämpft, schwappte eine Protestwelle in die Parteizentrale. „Wenn Menschen sich verletzt fühlen, nehmen wir das sehr ernst”, schwadronierte der Landesverband pflichtschuldig.

Bis nach Gelsenkirchen hat sich das offenbar nicht herumgesprochen. In einer „satirischen Reihe” eines grünen Ratskandidaten im Internet heißt es, die FDP plane „erst weiße Flecken auf den Plakaten und dann das Kreuz auf dem Wahlzettel zu kassieren”. Auf dem Plakat sind die Spitzenkandidatinnen der Liberalen zu sehen. Hübsch, ein bisschen wie „Drei Engel für Guido”. Die Gelsenkirchener FDP, offenbar auch ein Hort deutschen Humors, entgegnete wutschnaubend, hier werde dazu aufgerufen, auf das Plakat zu onanieren. Eine Analyse, die niemanden befriedigt.

"Borkener Beben"

Die Borkener CDU-Kandidatin Sabine Ottich hält sich gar nicht erst mit Analysen auf. Sie hängt das Plakat ihres parteilosen Gegners Rolf Lührmann vor ihrer Garage immer wieder ab – und der lässt immer wieder neu plakatieren. Ausgerechnet Lührmann! Der war 2007 aus der CDU ausgetreten, das Internet-Lexikon Wikipedia spricht ehrfürchtig vom „Borkener Beben”.

Wie Ottich packt offenbar auch der grüne Dortmunder OB-Kandidat Mario Krüger zu. Ihm wird sogar vorgeworfen, ein Plakat der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands zerstört zu haben, deren Einfluss man zweifelsfrei fürchten muss. Der Staatsanwalt ermittelt. Die Zeugen: zwei Betrunkene. Anders ausgedrückt: zwei potenzielle Kandidaten. Wenn man sich schnell genug um ihre Unterschriften bemüht.