Essen. Internet-Ermittler legen Bilder aus Kinderpornos bundesweit Schulleitern vor, weil sie die Kinder vielleicht erkennen. Die Fahndung ist erfolgreich.
Ein hübsches, kindgerechtes Badezimmer zeigt das Internet-Video. Die Tür hat goldfarbene Beschläge, gekachelt ist es mit Motiven von Biene Maja. Im Vordergrund steht ein Wickeltisch und darauf liegt ein Mädchen. Vielleicht ist es zwischen drei und neun Monate alt. Es wird, so zeigt der Streifen, gerade sexuell missbraucht.
Der Fall der Baby-Schändung stammt aus dem Jahr 2005. Das Video ist damals den Fahndern der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität ZIT in Gießen in die Hände gefallen. Sie sind für alle diejenigen Internet-Straftaten zuständig, die geografisch nicht sofort einem Bundesland zugeordnet werden können. Sie haben vermutet, dass der Tatort irgendwo in Deutschland gelegen und das Mädchen auf den Namen Kim oder Sophie gehört hat. Denn der Täter, ein damals vielleicht 40-jähriger Mann mit Brille, rundem Gesicht, braunen Haaren, etwas Bauch und viel Körperbehaarung, war kurz im Bild. Von seinen Lippen haben die Fahnder die Namensnennungen während der Tat ablesen können.
"Akte Kim" geht an die Nieren: Lebt das Mädchen noch?
Die „Akte Kim“ ist offen. Immer noch. „Auch die umfangreichen Ermittlungen mit dem Bundeskriminalamt haben bislang nicht zur Identifizierung eines Tatverdächtigen geführt“, sagt Alexander Badle, der Sprecher des Generalstaatsanwalts in Frankfurt am Main.
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Die „Akte Kim“ geht den Leuten bei ZIT - wie alle anderen ungeklärten Fälle - an die Nieren. Lebt das Mädchen noch? Wird es weiter missbraucht? Und was ist mit dem blonden, 2003 etwa elf Jahre alten Jungen, dessen Martyrium aus einer möblierten Wohnung ins weltweite Netz an andere Pädo-Täter übertragen wurde?
Die ZIT-Fahnder nutzen in der Regel technische Mittel, um Tatort, Täter und Opfer zu orten. Sie ermitteln IP-Adressen, bekommen, wenn sie Glück haben, auch über das GPS Fakten für die Akten. Sie stellen zudem die Angaben und, wenn es geht, ausgewählte Bilder in die Öffentlichkeitsfahndung und haben insgesamt durchaus Erfolge. Wie 2012. Sie fassten sie einen 34-jährigen aus Brandenburg. Er hatte über drei Jahre den Sohn seiner Lebensgefährtin missbraucht.
Ist dieses Kind auf Ihrer Schule?
Aber nicht immer läuft es so. Geht die Fahndung ins Leere und das Opfer ist im Schulalter, schalten sie auch mal von digital auf analog. Sie legen, nachdem ein Richter grünes Licht gegeben hat, herausgefilterte Bilder der missbrauchten Kinder zweimal im Jahr bundesweit Schulleitern mit einer einfachen Frage vor: Ist dieses Kind auf Ihrer Schule?
Klar-Bilder missbrauchter Kinder auf den Bildschirmen der Lehrerzimmer? Ist die Streuung nicht sehr breit? Wird hier auch noch der Datenschutz ohnehin ungeschützter Opfer verletzt? Die Fahnder wissen um die heikle Seite der Sache. Sie wenden die Methode selten an, schneiden die Darstellungen sexueller Handlungen heraus und verlassen sich auf die Verschwiegenheitspflicht des beamteten Schulpersonals. Aber manchmal geht es eben um das Leben eines Kindes, zumindest um seine Gesundheit und Lebensqualität. Und um die Aussicht, einen gefährlichen Täter zu enttarnen. Was überrascht: Gerade diese Aussicht ist groß.
Sieben von acht Fällen aufgeklärt
Sieben der acht den Schulen übermittelte Fälle konnten in den letzten zwei Jahren so aufgeklärt werden. Schulleiter aus Bayern und Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatten die Gesichter wiedererkannt. Und auch in den vier Schulfahndungsfällen, die seit Ende Februar 2016 laufen, gibt es erste Treffer.
Am 3. März wurde ein 40-jähriger aus dem rheinischen Leverkusen festgenommen, der seine heute neun Jahre alte Tochter seit 2012 missbraucht hat.
24 Stunden später klickten die Handschellen bei dem 45-jährigen Verwandten eines 13-jährigen Opfers im süddeutschen Memmingen. In beiden Fällen hatten sich Grundschullehrer aus NRW und Bayern gemeldet.
Mehr als 14.000 Missbrauchsfälle jährlich
„Erste strafprozessuale Maßnahmen hat es in Hessen gegeben“, sagt überdies Oberstaatsanwalt Alexander Badle. Gelingt der Zugriff beim Fall Nr. 3, käme schon eine Aufklärungsquote von 75 Prozent heraus.
Mehr als 14.000 Fälle von sexuellem Missbrauch bei Kindern jährlich meldet das Bundeskriminalamt. Das Dunkelfeld ist riesig. Wer steckt dahinter? Eltern? Bekannte? Unbekannte Kriminelle oder osteuropäische Banden, die Kinder entführen und als Sexware anbieten“? Der Tatort ist meist die Familie. „In den hier bearbeiteten Ermittlungsverfahren standen die Beschuldigten jeweils in einer familiären Beziehung zu den Opferkindern“, sagt Badle. Hinweise auf die Existenz eines „Marktes“? „Die haben sich nicht ergeben“.