Hagen. . Viele Vereine in NRW fürchten um die Zukunft ihrer traditionellen Veranstaltungen, weil das Land einen strikten Lärmschutz vorschreiben will.
Die Schützen in Südwestfalen laufen Sturm gegen Pläne des NRW-Umweltministeriums, per Erlass den Freizeitlärm zu reduzieren. Sie warnen vor dem Aus der Schützenfeste und dem finanziellen Kollaps kleiner Vereine. Betroffen sind auch andere Volksfeste.
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In dem Erlass-Entwurf, der dieser Redaktion vorliegt, schreibt das Ministerium für bestimmte Veranstaltungen in ortsnahen Lagen oder in Ortskernen eine strikte Obergrenze von 65 Dezibel (dB) vor. Das entspricht dem Geräuschpegel eines lauten Gesprächs oder von Kantinenlärm. Bisher wurden den Kommunen bei der Genehmigung von Freizeitveranstaltungen Freiräume zugestanden, nun sollen sie verstärkt von Vereinen und anderen Ausrichtern Schallgutachten einfordern, die bis zu 3000 Euro kosten können.
3000 Euro für Lärmschutzgutachten – "Das kann ein kleiner Verein nicht bezahlen"
„Das kann ein kleiner Verein nicht bezahlen“, sagte Ralf Heinrichs, Bundesgeschäftsführer des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften. Er rechnet zudem mit einer Klagewelle von Anwohnern, die sich auf diesen Erlass berufen könnten. Demnächst werde jede Veranstaltung mit einem Lärmschutzgutachten belegt. „Das ist ein neuer Versuch, die Ortsgemeinschaften zu zerstören“, sagte Heinrichs. „Über den Lärmschutz lässt sich theoretisch jede Veranstaltung kippen.“
65 Dezibel - "nur mit Pantomimen-Fest zu schaffen"
Der Deutsche Schaustellerbund kritisierte das Umweltministerium scharf. „65 Dezibel sind unerreichbar. Das schafft man nur, wenn man Pantomime macht“, sagte der Bundesvorsitzende Albert Ritter. Der Verband lehne Obergrenzen schon seit Jahren ab. Beim Jahresempfang des NRW-Verbandes am Freitag in Köln werde man den für dieses Gewerbe zuständigen Minister Schmeltzer (SPD) auf das Thema ansprechen. „Unser Hauptproblem ist der grüne Umweltminister“, sagte Ritter.
65 Dezibel sind in der Tat nicht viel. So manches Ehepaar dürfte diesen Lärmpegel schon beim Frühstücks-Tisch erreichen – und das ganz ohne Schreierei. Deshalb verwundert es nicht, dass die Schützen kurz nach Karneval auf die Pauke hauen, weil das Landesumweltministerium ihnen aus ihrer Sicht mit einem Erlass zum Freizeitlärm das Leben schwer macht.
Ministerium sieht den Erlass nur als Entscheidungshilfe
Das Remmel-Ministerium dagegen versteht die Aufregung nicht und sieht den Erlass allenfalls als Handreichung für die Kommunen, schließlich seien sie für die Genehmigung der Veranstaltungen zuständig. Und überhaupt: Es habe sich ja nichts geändert zum derzeit gültigen Erlass. Veranstaltungen würden nicht bedroht. Die Dezibel-Vorgaben seien schon in dem bisher gültigen Erlass enthalten gewesen, teilte eine Sprecherin mit.
CDU und Schützenbund sehen das anders. „Wir teilen die Sorge der Schützen“, sagte Lutz Lienenkämper, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU. Der Vorschlag aus dem Remmel-Ministerium nehme den Kommunen Entscheidungsspielräume.
Vereine sehen keinen Entscheidungsspielraum mehr
Der CDU-Abgeordnete Matthias Kerkhoff aus dem Sauerland habe deshalb dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Der Justiziar des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften, Hermann-Josef Pierenkemper sieht jedenfalls „schwarz für die Schützen“. Bisher hätte die Rechtslage den Behörden einen kleinen Spielraum bei der Genehmigung von lauten Veranstaltungen eingeräumt. Der werde ihnen nun genommen, sagt Rechtsanwalt. Ähnlich beurteilt der Sauerländer CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg die Lage. „Wenn ich es richtig verstehe, konnte man bisher über die 65 Dezibel gehen, jetzt gibt es eine starre Grenze.“ Sensburg sollte es richtig verstehen: Er ist Jurist.
Pierenkemper fordert die Landesregierung auf, die „Verschärfung“ nicht umzusetzen. „Insgesamt wird den Traditionsvereinen das Leben schwer gemacht“, sagt er. „Es geht ja nicht nur um die Schützen.“ Jungen Menschen könne man in Zukunft die Veranstaltungen nicht mehr schmackhaft machen: „Die kommen ja erst abends um elf.“
Klagewelle von Anwohnern erwartet
Für Schützen und Schausteller steht fest, dass die Zahl der Anwohnerklagen in Zukunft stark zunehmen wird. In der Stadt Kahl beispielsweise habe ein neu zugezogener Anwohner mit Verweis auf die Lärmbelästigung eine Kirmes verhindert, sagte Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes.
„Die Ideen gehen der Politik nicht aus, wenn man den Schützen das Leben schwer machen kann“, schrieb Norbert Clement, Geschäftsführer des Kreisschützenbundes Brilon, an Politiker der Region und im Landtag. „Wir dürfen Sie bitten, sich den Sorgen der Schützen anzuschließen und sich für die Abschwächung der beabsichtigten Änderungen im Sinne des Schützenwesens einzusetzen.“
Und Patrick Sensburg kritisiert das Landesumweltministerium: „Wer immer mit spitzem Bleistift unsere Gesellschaft regulieren will, der wird irgendwann merken, dass die Menschlichkeit verloren geht.“
Aktualisierung: Umweltminister Johannes Remmel hat auf die Proteste reagiert und dementiert, dass es Pläne gäbe, die Lärm-Verordnung zu verschärfen.