Essen. . Ein tiefer Riss geht durch die deutsche Städtelandschaft: Dresden ist schuldenfrei und Oberhausen hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung bundesweit.
Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer: Was nach wiederkehrenden Erkenntnissen eine fatale Formel für die ganze Welt zu sein scheint, bewahrheitet sich zunehmend auch in der vergleichsweise überschaubaren deutschen Städtelandschaft: Die Spaltung zwischen wohlhabenden Kommunen und solchen, die der Schuldenspirale selbst mit immer höheren Steuern und Gebühren für ihre Bürger nicht mehr entkommen können, wächst und wächst.
Zu diesem Befund kommen die Wirtschaftsprüfer der renommierten Agentur Ernst & Young (E&Y) nach Auswertung langfristiger Studien. „Wir beobachten seit Jahren, dass die Spreizung zwischen armen und reichen Städten immer deutlicher wird“, sagte Ernst & Young-Experte Manfred Morgenstern im Gespräch mit dieser Zeitung.
Riss quer durch die Republik
Der Riss geht quer durch die Republik. Während sich laut der Ende letzen Jahres erschienenen E&Y-Verschuldungsstudie deutscher Großstädte Dresden, Göttingen und Wolfsburg in ihren städtischen Kernhaushalten schuldenfrei stellen konnten, rangieren Oberhausen, Offenbach und Mülheim mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung an der Tabellenspitze aller 72 deutschen Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern.
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Aber auch insgesamt betrachtet, sind die Kommunen nicht auf Rosen gebettet. Trotz guter Konjunkturlage, steigender Steuereinnahmen und historisch niedriger Zinsen sei die Gesamtverschuldung der deutschen Großstädte im letzten Erhebungszeitraum 2014 um gut drei Prozent gestiegen – und damit deutlich stärker als noch im Vorjahr, so die Finanzexperten.
30 Millionen Euro Zinsen im Jahr
Besonders das Ruhrgebiet muss sich wieder einmal attestieren lassen, Sorgenkind der kommunalen Finanzwelt zu sein. Zehn der 20 Großstädte mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in den städtischen Kernhaushalten liegen im Revier: Neben Oberhausen und Mülheim zählen Hagen, Essen, Moers, Gelsenkirchen, Bochum, Recklinghausen, Herne und Duisburg zum Armenhaus der Republik (siehe Tabelle). Dortmund und Bottrop folgen dicht dahinter.
Allein der Duisburger Haushalt wird mit Zinszahlungen von jährlich rund 30 Millionen Euro belastet. Tendenz steigend. Jüngst forderte die Stadt Hilfe von Bund und Land beim Abbau der erdrückenden Altschulden. Frankfurt dagegen steckt mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 2251 Euro nur halb so tief im Schuldensumpf wie Duisburg. Münchner stehen rechnerisch mit nur 640 Euro in der Kreide, in Stuttgart sind es 39 Euro.
Großstädte chancenlos beim Schuldenabbau
Auch die Stadt mit dem stärksten Schuldenabbau findet man im Süden: Ingolstadt konnte seine ohnehin niedrige Pro-Kopf-Verschuldung in nur zwei Jahren auf 251 Euro mehr als halbieren. Die Bundesländer Berlin, Hamburg und Bremen wurden in der Studie nicht berücksichtigt.
„Die meisten deutschen Großstädte kommen beim Schuldenabbau nicht voran“, urteilt Studienautor Bernhard Lorentz. Die hoch verschuldeten Revierkommunen treiben den Experten von Ernst & Young dabei besonders tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Das Ruhrgebiet könne es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, aus den Schulden herauszukommen, so ihr niederschmetternder Befund.
Essens Schulden wären erst in 100 Jahren getilgt
„Eine Schuldentilgung kann es nur durch Überschüsse geben“, erläutert Ernst & Young-Experte Morgenstern. Doch selbst wenn es einer Stadt wie Essen gelingen sollte, den kaum vorstellbaren Betrag von jährlich 30 Millionen Euro in die Tilgung stecken zu können, wären die Schulden der Stadt erst in 100 Jahren getilgt, so der frühere Staatssekretär im Düsseldorfer Bauministerium. Morgenstern: „Das aber ist außerhalb jeder Vorstellungskraft.“
Ohne Hilfe von außen – sprich: von Land und Bund – könne es kein Entrinnen aus dem Schuldenturm geben. Dennoch müssten die Städte auch vor der eigenen Haustür kehren und beispielsweise ihre Stadtwerke, Sparkassen und andere profitable Töchter viel mehr zur Kasse bitten. Außerdem sei gerade im Ruhrgebiet das Synergiepotenzial zwischen den Städten groß, etwa im IT-Bereich oder im Nahverkehr. Bernhard Lorentz: „Der Druck, hier zu handeln, wird immer stärker werden.“