Berlin. Der jüngste Vorstoß von Thomas de Maizière in der Flüchtlingskrise lässt die Zweifel an der Amtsführung des Innenministers wachsen.

Also sprach Peter Altmaier: „Es wird jetzt nichts einseitig geändert.“ Via Deutschlandfunk macht der Kanzleramtschef am Sonntag klar, dass und warum sich für die syrischen Flüchtlinge vorerst nichts ändert: weil es „Irritationen“ bei der SPD gebe und das Vertrauen in der Koalition „ein hohes Gut“ sei.

Es sind solche Sätze, die einen Mann wie Wolfgang Bosbach auf 180 bringen. „Im Moment bestimmt die SPD, was geschieht bzw. was nicht geschieht“, beklagt der CDU-Parlamentarier im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wer trägt jetzt eigentlich noch die Verantwortung für die innenpolitischen Entscheidungen, ist es das Innenministerium oder das Kanzleramt?“

Rivalität zwischen Ministerium und Regierungszentrale

Bosbach verrät, was seit Wochen im Hü-und-Hott-Kabinett schwelt: die Rivalität zwischen Ministerium und Regierungszentrale. Es geht um Zuständigkeiten, Lösungskompetenzen, Loyalitäten, womöglich auch schon um das Amt selbst, um Thomas de Maizières Kopf.

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Sein Status im Kabinett hat gelitten: Er ist nur ein Geduldeter, seit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihm Altmaier als Koordinator vorgesetzt hat. Wie wenig sie sich vertrauen, zeigt gerade die Kontroverse vom Wochenende.

Rückblick: Anfang der Woche weist das Innenministerium das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an, Syrern nicht pauschal ein Bleiberecht zu geben. Die Behörde soll in jedem Einzelfall prüfen, welcher Status angemessen ist: Asyl, Bleiberecht oder subsidiärer Schutz. De Maizière redet umständlich vom „Status quo ante“.

Der Innenminister darf das Bundesamt anweisen

Gemeint ist, dass mit den Flüchtlingen aus Syrien jahrelang so verfahren wurde. Erst im November 2014 wurde diese Praxis geändert, zu der er nun wieder zurückkehren möchte. Der Grund dafür liegt für Bosbach auf der Hand: „So wie in den letzten Monaten kann es nicht weitergehen. Das ist seine Motivation, da bin ich mir ziemlich sicher.“

De Maizière darf das BAMF anweisen. Es ist auch kein „Alleingang“, sondern ein Routinevorgang. Der Minister weiß zu dem Zeitpunkt allerdings, dass für Donnerstag die Chefs der drei Koalitionsparteien einen Asylkompromiss anpeilen und dass es dazugehört, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz auszusetzen.

De Maizières Vorgehen brüskiert die SPD

Über den Verlauf ihrer Gespräche gibt es unterschiedliche Versionen. Der offiziellen Version zufolge hatten weder Merkel (CDU) noch Horst Seehofer (CSU) oder Sigmar Gabriel (SPD) die Syrer auf dem Schirm. Sie gingen davon aus, dass nur ein kleiner Kreis der Flüchtlinge betroffen sein würde, weniger als 2000 Menschen. Das würde Gabriel die Zustimmung erleichtern. De Maizière wurde zur Dreierrunde nicht dazu gebeten; umgekehrt behielt er die neue Beschlusslage beim BAMF für sich.

Im Hintergrund tickt sie nun wie eine Zeitbombe. Irgendjemand erkennt ihre Sprengkraft und informiert die „FAZ“. Als auf Anfrage erst das Innenministerium und dann der Ressortchef die Weisung bestätigen, fühlt sich die SPD brüskiert. Gabriel ruft bei Altmaier an. Der beteuert, er habe es „persönlich nicht gewusst“. De Maizière wird daraufhin zurückgepfiffen, Zweifel an seiner Amtsführung werden laut, Grünen-Politikerin Renate Künast spricht von einer „losen Kanone“.

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Die zweite Version ist maliziöser: Demnach wussten die Koalitionäre zwar nichts von der Weisung, behielten sich aber vor, den Familiennachzug zu verschärfen. Nach der Version machte de Maizière transparent, was sowieso anstand. Für ihn ergibt es nur Sinn, den Familiennachzug einzuschränken, wenn die große Gruppe der Syrer einbezogen wird. Davon rückt er nicht ab. „Die Zahl der Flüchtlinge ist so hoch, wir können nicht noch ein Vielfaches an Familienmitgliedern aufnehmen“, sagt er n-tv.

Viele Unionsleute wollen ein Bremssignal setzen

Nicht nur er, viele Unionsleute wollen ein Bremssignal setzen. „Darüber sollten wir in Ruhe mit der SPD reden“, so der Vorsitzende des Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU). Ebenso begrüßt CSU-Chef Seehofer den Vorschlag de Maizières. „Thomas de Maizière hat recht“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“. Er fordert, Syrern nicht mehr generell Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren.

Auch Wolfgang Schäuble springt de Maizière zur Seite. In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagt der Finanzminister: "Wir müssen natürlich den Familiennachzug begrenzen, denn unsere Aufnahmekapazität ist ja nicht unbegrenzt", sagte er. "Ich halte das für eine notwendige Entscheidung und ich bin sehr dafür, dass wir sehr rasch uns darüber in der Koalition verständigen."

De Maiziére gilt als "loyal bis zum Umfallen"

Derweil streut Bosbach Salz in die Wunde: „Es ist richtig und wichtig, dass wir wieder zum Ressortprinzip zurückkehren.“ Es sei ein Unterschied, ob Altmaier die Flüchtlingspolitik koordiniere oder das Kanzleramt „die Leitung eines Ressorts übernimmt“. Zwar hat die Kanzlerin die Richtlinienkompetenz, aber im Kabinett gelte das Ressortprinzip, erinnert Bosbach.

Wie er sein Amt führt, bleibt jedem Minister überlassen. Plötzlich steht die Machtfrage im Raum, de Maizière wird gegen Merkel in Stellung gebracht. Über ihn sagen Vertraute, er sei gegenüber der Kanzlerin „loyal bis zum Umfallen“. Aber immer schwerer fällt es ihm, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. In einer Talkshow sagte er, „außer Kontrolle“ sei die Lage mit der Entscheidung, „dass man aus Ungarn die Menschen nach Deutschland holt“.

Es war Merkels Entscheidung.

Wenn ein Holzauto zum wichtigsten Gegenstand wird

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Morad (39), geflohen aus Oshnavieh im Iran, zeigt in Passau am Bahnhof in einem Flüchtlingsversorgungszelt seinen wichtigsten Gegenstand. Es ist ein Holzauto von seinem zurückgebliebenen Sohn. Morad ist seit sieben Tagen unterwegs. © dpa
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