Berlin. Das Umweltministerium will Auflagen im Baurecht kippen, um Flüchtlinge schneller unterzubringen. Einige Vorhaben betreffen nicht nur Asylheime.
Der Druck auf Städte und Kommunen wächst, Flüchtlinge dauerhaft in eigenen Wohnungen unterzubringen: Das Umweltministerium plant eine ganze Reihe von bürokratischen Vorgaben wie etwa zur Fassadendämmung zu kippen. Dies soll die Kosten von Neubauten grundsätzlich senken.
„Wir stehen vor der größten wohnungsbaupolitische Herausforderung seit Jahrzehnten“, sagte die Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf der Immobilienmesse „Expo Real“ in München. Sie will einerseits Flüchtlingsunterkünfte von bestimmten Regeln des Baurechts ausschließen, etwa strengen Vorgaben zur Dämmung der Gebäude. Andererseits plant Hedricks Änderungen, die das gesamte Bauwesen betreffen: Die SPD-Ministerin fordert beispielsweise die sogenannte Stellplatzpflicht komplett zu streichen.
Denn in vielen Städten und Kommunen schreibt das Baurecht vor, dass jeder Neubau über eine bestimmte Anzahl von Stellplätzen für Autos verfügt. Das kritisiert die Ministerin scharf: „Die Stellplatzanforderungen von Ländern und Kommunen stellen einen wesentlichen Kostenfaktor für Bauherren dar.“ Laut Bundesarchitektenkammer verteuert sich das Bauen in Ballungsräumen wie Hamburg oder Berlin in der Regel für jeden einzelnen Parkplatz um mehr als 30.000 Euro.
400.000 Wohnungen benötigt
Die Herausforderungen sind enorm. Die Bundesarchitektenkammer rechnet damit, dass in den nächsten Jahren mehr als 400.000 Wohnungen benötigt werden, um Flüchtlinge unterzubringen. Vor dem Hintergrund steigender Mietpreise und von Wohnungsknappheit hat sich eine Debatte um Baustandards und Liegenschaften entzündet.
Als erstes Bundesland hatte Hamburg vor kurzem angekündigt, leerstehende Gewerbeimmobilien notfalls auch gegen den Willen der Eigentümer als Flüchtlingsunterkünfte zu nutzen. „Solche Androhungen von Zwangsmaßnahmen sind völlig kontraproduktiv, weil sie dazu beitragen, dass die Stimmung kippen kann“, sagt Alexander Wiech, Sprecher des Eigentümervereins Haus & Grund.
Der Verein kritisiert vor allem den Plan der Bundesregierung, die Auflagen zur Dämmung Schritt für Schritt zu verschärfen. Im Rahmen der sogenannten Energieeinsparverordnung (EnEV) müssen Bauherren immer strengere bautechnische Regeln einhalten. Eine neue Stufe soll zum Jahr 2016 in Kraft treten. „Die Verschärfung der sogenannten Energieeinsparverordnung für Neubauten im nächsten Jahr wird den Neubau eines Wohngebäudes um bis zu 4,2 Prozent teurer machen“.
Kritiker: Missbrauch der laschen Regeln
Zum nächsten Jahr sollte die sogenannte Energieeinsparverordnung 2016 strengere Regeln für Dämmung und Energieeffizienz von Neubauten vorschreiben. Weil „die Einhaltung eine erhebliche Verzögerung der Unterbringung von Flüchtlingen bedeuten würde“, werden Massenunterkünfte von diesen Regeln befreit, heißt es aus dem Umweltministerium.
Befristet bis Ende 2018 gelten daher Erleichterungen für Dämmung und Wärmeschutz. „Die Dämmstandards werden reduziert und es wird die Pflicht ausgesetzt, die oberste Geschossdecke nachzudämmen“, sagt ein Sprecher des Umweltministeriums. Im Einzelfall könnten auch andere Regelungen fürs das Einsparen von Energie ausgesetzt werden.
Kritiker werfen die Frage auf, wer künftig Missbrauch der lascheren Regeln verhindert. Wer verhindert, dass ein Bauherr vortäuscht ein Gebäude für Flüchtlinge zu bauen, dann aber später dort andere Mieter unterbringt?
Wenn ein Bau im Anschluss eine andere Funktion erfüllt, heißt es im Umweltministerium, müsse nachgedämmt werden. Der Bund kontrolliert allerdings nicht, ob es sich tatsächlich um eine Flüchtlingsunterkunft handelt. „Das fällt in den Bereich der Aufsichtsbehörden der Länder und Kommunen“, sagt der Sprecher des Ministeriums.