New York. . Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach zum dritten Mal vor den Vereinten Nationen. Es ging um Klima, Hunger, Gesundheit und um die Flüchtlingskrise.

In der siebten Reihe rechts – vom Rednerpult aus gesehen – wartet Angela Merkel auf ihren Einsatz. Vor der Uno darf sie erst nach den Vertretern der Kapverden und den Bahamas reden. Wenn die mächtigste Frau der Welt sich hinten anstellen darf und wenn die Bühne nicht einmal dem Papst ganz allein gehört, dann muss die Sache groß sein, größer gar als die einzelnen Staatsmänner und -frauen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Rettung der Erde.

Darum sind Merkel und der Pontifex hier. Merkel und weitere 150 Staats- und Regierungschefs werden am Sitz der Vereinten Nationen (UN) die „Agenda 2030“ verabschieden: einen Aktionsplan, der ab 1. Januar 2016 greift und bis 2030 gelten soll. Schon das erste von 17 Zielen lässt keine Wünsche offen: „Armut in jeder Form und überall beenden.“ Das Ziel sei zu lange „als Träumerei“ abgetan worden, sagt Merkel vor dem Forum der Welt. Merkel argumentiert mit ihrer eigenen Biografie, mit der deutschen Einheit, die gezeigt habe, „dass nichts so bleiben muss, wie es ist“. Eine Veränderung zum Guten sei möglich, „wir können der Welt ein menschlicheres Gesicht geben“.

Agenda 2030 mit 17 Forderungen

Bis Sonntag bleibt sie beim Nachhaltigkeitsgipfel. Ab Montag schließt sich die traditionelle UN-Vollversammlung an, wie jedes Jahr Ende September. 17 Forderungen und weitere 169 Unterziele umfasst der Aktionsplan: Hunger und Armut beseitigen, Geschlechtergerechtigkeit, nachhaltigere Produktions- und Konsumweise, Schutz der Meere. Die Ziele gelten für alle, nicht nur für Entwicklungsländer. Aber ihre Einhaltung ist schwer überprüfbar. Es gibt vor allem in Afrika kaum belastbare Daten, um Fortschritte messen zu können. Es fehlen Sanktionen für jene, die großen Worten keine Taten folgen lassen.

Indes entwickelt so eine Agenda schnell ein Eigenleben. Sie erzeugt einen Handlungsdruck. So war es mit den Millenniumszielen, die um die Jahrhundertwende beschlossen und zum Teil erreicht wurden. So wurde die Kindersterblichkeit halbiert. An die Millenniumsziele schließt die Agenda 2030 an. Die Kanzlerin spricht denn auch von einer „guten Weiterentwicklung“. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die sie ebenso begleitet wie ihr Kabinettskollege Gerd Müller (CSU, Entwicklungshilfe) geht sogar noch einen Schritt weiter: „Noch nie hat es eine so breit aufgestellte und tief greifende Agenda gegeben.“

Merkel muss sich anstellen

Ein Unterschied ist, dass die Millenniumsziele für die Entwicklungsländer gedacht waren und die reichen Nationen nur Geld beisteuern sollten. Mit der neuen Agenda sind diesmal allerdings alle gefordert, „nachhaltiger, umweltbewusster und gerechter“ (O-Ton Merkel) zu leben. Freigestellt von Zahlungsverpflichtungen ist Deutschland nicht, gerade nicht vom selbst gesteckten Ziel, 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Entwicklungshilfe aufzuwenden. Momentan sind wir bei 0,4 Prozent. Die Mittel sind beträchtlich erhöht worden, für den Haushalt 2016 um über 800 Millionen Euro. Aber die Wirtschaftsleistung ist auch gestiegen.

Merkel mag Jahr für Jahr den Titel der mächtigsten Frau der Welt erringen, im Bundestag spricht sie meist als erste – doch vor der UN muss sie anderen den Vortritt lassen. Es dauert lange, bis sie das Wort ergreifen darf. Von der Agenda ist die Kanzlerin überzeugt.

Treffen mit US-Präsident Obama

Während ihre Kollegen ihre Fensterreden halten, hat sie – ganz nebenbei – noch ein paar Termine in ihren Kalender reingequetscht, hier ein Treffen mit dem US-Präsidenten, dort eines mit Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, nebenbei noch ein Gespräch mit Journalisten.

Merkel reist erst zum dritten Mal in ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft zur UN – nach 2007 und 2010. Sonntagabend löst ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sie in der Vollversammlung ab. Als sie zugesagt hat, konnte Angela Merkel nicht ahnen, dass sich mit dem Einsatz in Manhattan ein Bogen schließen würde. Die Vereinten Nationen sind für sie der logische Endpunkt des Krisenmanagements in der Flüchtlingsfrage. Im Bundestag hatte die Kanzlerin vor ihrem Abflug nach New York nur eine Zahl nennen müssen, um die Dimension greifbar werden zu lassen: 60 Millionen. So viele Menschen sind weltweit auf der Flucht.

Wenn Merkels Politik der offenen Aufnahme der Flüchtlinge Dienst am Menschen war – sie sei päpstlicher als der Papst werden sie ihr daheim in der C-Partei nachrufen –, dann ist die Agenda 2030 Prävention auf höchstem Niveau. Nicht alle, aber viele ihrer Treffen bis Sonntag sind dem einen Ziel untergeordnet: der Flüchtlingskrise. Sie ist nicht das Problem, eher ein Indikator – für eine Welt, die aus den Fugen geraten ist.