Berlin. Teilerfolg für die Länder beim Flüchtlingsgipfel in Berlin: Die Bundesregierung hat zugesagt, ihre Unterstützung aufzustocken. Ob das reicht?

Der Bund zahlt Milliarden zusätzlich für die Unterbringung der Flüchtlinge, Asylverfahren werden beschleunigt, mehr Aufnahmeplätze eingerichtet: Bundesregierung und Länder haben bei einem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt in wichtigen Punkten eine Einigung nach wochenlangem Streit erzielt. Vereinbart wurde ein Paket von Hilfen und Gesetzesänderungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.

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Kanzlerin Angela Merkel sieht die Verständigung aber nur als einen Baustein, sie fordert jetzt weltweite Anstrengungen: Die Bekämpfung der Flüchtlingskrise sei eine „nationale, europäische und globale Kraftanstrengung“, sagte sie im Bundestag.

Merkel verschiebt Abflug nach New York

Vorsichtshalber hatte Merkel ihren Abflug zu einer UN-Nachhaltigkeitskonferenz in New York Donnerstagabend um mehrere Stunden verschoben, damit sie nicht durch Zeitdruck in eine schlechte Verhandlungsposition gegenüber den 16 Ministerpräsidenten gerät. Doch die Vorsichtsmaßnahme war gar nicht nötig, die Einigung im zentralen Finanzstreit zeichnete sich schon zum Auftakt des Treffens ab: Die Bundesregierung verdoppelt dieses Jahr ihre Hilfen für Länder und Kommunen um eine Milliarde auf zwei Milliarden Euro. Ab 2016 stellt der Bund auf eine Kostenpauschale um: 670 Euro pro Asylbewerber und Monat, das ergibt 8040 Euro pro Jahr.

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Vorgesehen ist dafür eine Abschlagszahlung von gut 4 Milliarden Euro für nächstes Jahr, der Bund würde damit eine Milliarde mehr an die Länder überweisen als bislang geplant; möglicherweise fällt die Summe auch höher aus.

Zudem würden 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt sowie 350 Millionen Euro für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Wie es weiter hieß, erhalten die Länder auch weitere Mittel für Kita-Ausbau und Familienpolitik. So sollen die freiwerdenden Mittel aus dem gekippten Betreuungsgeld dafür auf die Länder verteilt werden.

Die Länder haben deutlich mehr Geld gefordert

Damit kommt der Bund den Forderungen der Länder nach einer dauerhaften und dynamischen Beteiligung an den Flüchtlingskosten nach. Erst vor zwei Wochen hatte die Regierung angeboten, die Zahlungen für 2016 auf 3 Milliarden Euro zu erhöhen. Ländern und Kommunen, die eine Überlastung beklagen, reichte das nicht – die Gelder waren zugesagt worden, bevor die Öffnung der Grenzen für die über Ungarn einreisenden Flüchtlinge die Lage erneut verschärft hatte.

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Jetzt ist klar: Je mehr Flüchtlinge kommen und je länger auch aussichtslose Asylverfahren dauern, desto mehr Geld zahlt der Bund. Dennoch stellt auch der neue Finanzkompromiss die Länder nicht vollständig zufrieden: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, forderte gestern vom Bund eine Summe von 15 Milliarden Euro für 2015 und 2016: „Wir müssen erstmal die Grundsicherung abdecken, Lehrer einstellen, Kitas schaffen und Sprachlehrgänge organisieren“, klagte der CDU-Politiker. „Das alles können wir nicht allein stemmen.“

Weise will Asylverfahren beschleunigen

Entlastung bietet der Bund auch bei den Erstaufnahmeeinrichtungen: Die Zahl der Plätze wird auf 150.000 verdreifacht, damit Flüchtlinge, die kaum eine Chance auf Anerkennung als Asylbewerber haben, in der Erstaufnahme bleiben können und erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden. Der Bund ist nun bereit, sich an den Kosten dieser Einrichtungen mit über 300 Millionen Euro zu beteiligen.

Der neue Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, präsentierte Vorschläge, wie er die Asylverfahren beschleunigen will. Derzeit schiebt die Behörde 275.000 unbearbeitete Asylanträge vor sich her. Weise will unter anderem Auszubildende der Bundesagentur für Arbeit statt in Jobcentern für einige Monate in der Flüchtlingsbehörde arbeiten lassen.

Umstrittene Ausweitung "sicherer Herkunftsländer"

Die Regierung stellte den Ländern beim Gipfel zudem ihr Paket zu Gesetzesänderungen vor, dem der Bundesrat zustimmen muss: Die Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte soll durch einen Abbau bürokratischer Hürden leichter werden. Im Asylrecht ist vorgesehen, drei weitere Balkanstaaten (Albanien, Kosovo, Montenegro) als „sichere Herkunftsstaaten“ einzustufen – Asylbewerber von dort sollen so schneller in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können. „In Zukunft sollen Asylbewerber auch länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben und dort überwiegend Sachleistungen bekommen. Merkel sagte: „Wir müssen jene effektiv zurückführen, die keinen Anspruch auf Asyl haben.“ Und: Wer als Flüchtling hier bleibe, müsse Regeln und Werte respektieren, vor allem aber den Willen haben, die deutsche Sprache zu erlernen und zu beherrschen.

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Die Ausweitung der „sicheren Herkunftsstaaten“ ist aber umstritten, in Landesregierungen mit Grünen-Regierungsbeteiligung gibt es Widerstand. Mit dem Plan von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), den Ländern die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber zu erleichtern, soll für die Grünen aber eine Brücke gebaut werden. Die Bundesregierung hatte großen Wert auf eine umfassende Verständigung gelegt: Merkel wollte in dieser Woche auf allen politischen Ebenen Lösungswege in der Flüchtlingskrise präsentieren.

Nach dem Kompromiss wirbt Merkel für eine globale Lösung

Am Vorabend hatten sich die EU-Regierungschefs auf eine internationale Strategie in der Flüchtlingspolitik verständigt, wozu mehr Hilfen etwa für die Nahost-Region und ein besserer Schutz der Außengrenzen gehört. „Alle Teilnehmer haben die gesamteuropäische Dimension der Flüchtlingskrise anerkannt“, lobte Merkel im Bundestag.

Eine europaweite Umverteilung könne auf Dauer nur funktionieren, wenn es die vereinbarten konsequenten Kontrollen an den Außengrenzen gebe, in Italien und Griechenland und gegebenenfalls auch in Bulgarien.

Nach der nationalen und europäischen Verständigung will die Kanzlerin am Wochenende beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel in New York auch eine weltweite Lösung vorantreiben. Dort werde besprochen, was auf globaler Ebene zu tun sei, um die Flüchtlingswanderungen zu bremsen – etwa durch mehr Anstrengungen zur Armutsbekämpfung. Zuversicht will Merkel auch vor der UN verbreiten: Sie sei überzeugt, erklärte sie erneut, „dass wir das schaffen“.