Brüssel. Die EU-Innenminister hatten sich am Dienstag gegen den Widerstand von vier Ländern auf die Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen verständigt. Ungarn, Rumänien, Tschechien und die Slowakei stimmten gegen den Kompromiss.

Die EU-Staaten haben sich über die Frage der Verteilung von 120.000 Flüchtlingen entzweit. Gegen den Willen von vier osteuropäischen Ländern beschlossen die Innenminister am Dienstag in Brüssel die Umsiedlung der Menschen mit Aussicht auf Asyl, die vornehmlich in Griechenland und Italien angekommen sind. "Europa ist geteilt, aber wir befinden uns in einer Notsituation", rechtfertigte der luxemburgische Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn die ungewöhnliche Abstimmung im EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit. Wenn es keinen Beschluss gegeben hätte, wäre Europa noch mehr entzweit worden, sagte Asselborn, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft ausübt. "Wir hätten eine einstimmige Entscheidung vorgezogen."

Tschechien, Slowakei, Ungarn und Rumänien stimmten dagegen

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Gegen den Ministerbeschluss stimmten Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico drohte damit, dass es eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen in der Slowakei während seiner Regierungszeit nicht geben werde. Der tschechische Innenminister Milan Chovanec twitterte nach der Abstimmung in Brüssel: "Wir werden bald erkennen, dass der Kaiser keine Kleider hat. Der gesunde Menschenverstand ist heute verloren gegangen." Die osteuropäischen Länder sperren sich vor allem gegen Vorgaben, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen sollen. Im Ratsbeschluss verzichteten die EU-Minister nach Angaben Asselborns allerdings auf das Reizwort einer verpflichtenden Quote. Der Luxemburger kündigte an, dass die Frage nach einer permanenten Verteilung später erörtert werden soll. Am Mittwoch beraten die Staats- und Regierungchefs in Brüssel über die Flüchtlingskrise.

Insgesamt sollen zunächst 160.000 Flüchtlingen in der EU umgesiedelt werden. Über die Verteilung von 40.000 Menschen hatten sich die EU-Staaten schon zuvor geeinigt. In der Zahl von 120.000 Flüchtlingen ist auch eine mögliche Umverteilung von 54.000 Personen aus anderen Staaten als Italien und Griechenland vorgesehen, wenn in jenen Ländern besonders viele Flüchtlinge ankommen. Diesen Mechanismus könne auch Deutschland in Anspruch nehmen, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. "Ob wir das tun, ist eine andere Frage." Die angedachte Option, dass sich Länder von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen können, sei vom Tisch. "Es kann kein Geschäft geben: Geld gegen Flüchtlinge", sagte de Maiziere.

Der gesamte "Flüchtlingsprozess" laufe im Augenblick "sehr ungeordnet" ab

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Vor der Sitzung in Brüssel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein einheitlicheres Vorgehen in der EU gefordert. Der gesamte "Flüchtlingsprozess" laufe im Augenblick "sehr ungeordnet" ab, sagte sie in Berlin. Notwendig seien "Signale der Ordnung", wozu etwa der Schutz der EU-Außengrenzen gehöre.

Bei dem Treffen am Mittwoch werde es vor allem um die Lage in Syrien, größere Hilfen für die Anrainerstaaten und einen intensiveren Dialog mit der Türkei gehen, sagte Merkel. Dies sei wichtig, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Vordringlich sei zudem der Bau der geplanten Aufnahme- und Verteilzentren in Italien und Griechenland. So lange es diese Hotspots nicht gebe, könne es auch keine Verteilung der Flüchtlinge geben. Nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht das Vorhaben der EU-Kommission, 120.000 Hilfesuchende in Europa aufzunehmen, längst nicht weit genug.

Migranten warten auf Einreise

Am Montag passierten 4300 Migranten die deutsch-österreichische Grenze, wie die Bundespolizei mitteilte. Am Dienstagnachmittag schätzte sie die Zahl der Flüchtlinge vor dem Grenzübergang Freilassing auf deutlich mehr als 1000. Auf österreichischer Seite warteten bis zu 1200 Menschen auf die Einreise. In Freilassing wurden zudem zwei Sonderzüge mit Flüchtlingen aus Salzburg erwartet. Der reguläre Zugverkehr zwischen Salzburg und München bleibt nach Angaben der österreichischen Bahn bis zum 4. Oktober gesperrt. Auch in Österreich kamen wieder Tausende aus Ungarn an. Am Montag hatten fast 10.000 den Grenzort Nickelsdorf im Burgenland erreicht. (Reuters)