Essen. NRW-Kommunen wollen die volle Übernahme der Flüchtlingskosten durch Bund und Land erreichen. Hohe Erwartungen in den Berliner Flüchtlingsgipfel.

Der Streit zwischen Land und Kommunen um die finanziellen Lasten der Flüchtlingsunterbringung hat sich verschärft. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse (CDU), forderte am Dienstag in Düsseldorf eine bundesweit gültige Kopf-Pauschale pro Flüchtling und Jahr von 10.000 Euro.

Michael Makiolla bringt die Lage auf den Punkt: „Wir sind alle an der Grenze unserer Möglichkeiten“, sagt der Landrat des Kreises Unna im Gespräch mit unserer Redaktion. Makiolla (SPD) gehört zu den Mitunterzeichnern jenes Brandbriefes aus dem Ruhrgebiet, der am Wochenende für Aufsehen im Land gesorgt hatte.

Acht Revier-Oberbürgermeister und drei Landräte der Region hatten – mitten hinein in die weit verbreitete Euphorie über die Willkommenskultur in Deutschland – überraschend deutlich vor gravierenden Problemen in den Städten gewarnt, sollten Land und Bund den wirtschaftlich gebeutelten Ruhrgebietskommunen nicht stärker unter die Arme greifen. Ohne die volle Übernahme der Flüchtlingskosten durch Bund und Land, so die Verwaltungschefs, sei angesichts leer gefegter Kassen der soziale Frieden in den Städten in Gefahr. Die aktuelle Situation berge „erheblichen gesellschaftspolitischen Sprengstoff“.

Noch mehr als die drei Milliarden Euro erwartet

Der dramatische Appell, den die Landräte und OBs, wie berichtet, direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gerichtet haben, ist nur die Spitze des Eisbergs. In den Rathäusern an Rhein und Ruhr rumort es – trotz der überall anzutreffenden Hilfsbereitschaft. In den Städten und Gemeinden geht die Sorge um, dass die Nöte der Kommunen, die die Hauptlast der Flüchtlingsarbeit tragen, auf dem Flüchtlingsgipfel in Berlin am Donnerstag auf der Strecke bleiben. Städte und Gemeinden sind dort nicht vertreten.

Zwar empfing Kanzlerin Merkel am Montag Abend kommunale Spitzenvertreter zum Gedankenaustausch. Beobachter gehen davon aus, dass die vom Bund bisher zugesagten drei Milliarden Euro beim Flüchtlingsgipfel noch erhöht werden. Doch das wird ohnehin allgemein erwartet. Ansonsten blieb das kommunale Vorglühen des großen Gipfels ohne greifbares Ergebnis. „Unsere größte Sorge ist, dass wir die Bundesmittel nicht in der erforderlichen Höhe erhalten“, sagte die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse, gestern in Düsseldorf.

Kurz vor dem Treffen mit der Kanzlerin hatte der Städte- und Gemeindebund NRW sogar einen grundlegenden Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik des Bundes ins Spiel gebracht. „Profis und Ehrenamtler können nicht mehr, sie stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagte Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider. Wenn der Zustrom nicht rasch gestoppt oder erheblich reduziert werde, sei in vielen Kommunen eine geordnete Verwaltung nicht mehr möglich.

Hohe Zusatzkosten in vielen Städten

Derzeit fehlt den Kommunen vor allem eins: Planungssicherheit. Kopfzerbrechen bereitet zum Beispiel, ob man am Ende nicht doch auf einem erheblichen Teil der Flüchtlingskosten sitzen bleibt. Der Pauschalbetrag von rund 7600 Euro pro Flüchtling, den das Land überweist, reicht jedenfalls hinten und vorne nicht. Das räumt sogar das NRW-Innenministerium ein. Wie hoch die Ausgaben für die Flüchtlingsversorgung sind, ist aber von Kommune zu Kommune unterschiedlich und hängt auch davon ab, welche Flüchtlinge kommen und wie der bauliche Zustand der Unterkünfte ist. „Eine Bilanz zur detaillierten Aufschlüsselung der Kosten ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich“, teilte die Stadt Essen auf Anfrage mit.

Als Richtschnur wird in Ruhrgebietsstädten ein Betrag zwischen 12.000 und 13.500 Euro pro Flüchtling und Jahr gehandelt. Essens Kämmerer Lars Martin Klieve (CDU) schätzt, dass die hoch verschuldete Stadt in diesem Jahr zunächst 52 Millionen Euro zusätzlich ausgeben muss – falls es bei den derzeitigen Prognosen der erwarteten Flüchtlingszahlen bleibt. Bochum kalkuliert mit Zusatzkosten in Höhe von 35 Millionen Euro.

Die NRW-Städte bemängeln zudem, dass die Deckungsquote der Flüchtlingskosten in keinem Bundesland so niedrig ausfällt wie in NRW und die Gemeinden an Rhein und Ruhr bislang nicht einmal die Hälfte aller anfallenden Flüchtlingskosten erstattet bekommen. In den Ruhrgebietstädten liegt die Quote nach Informationen dieser Zeitung teilweise weit darunter. Bayern und Baden-Württemberg dagegen erstatten nahezu 100 Prozent der tatsächlichen Kosten. Essen richtet sich jedenfalls darauf ein, dass die Stadt in diesem Jahr zunächst auf rund 40 Millionen Euro sitzen bleibt – falls Berlin nicht doch noch Geld nachschießt.