Washington. . Volkswagen muss sich in den USA auf Geldstrafen, Sammelklagen, Untersuchungen des Justizministeriums und einen langfristigen Imageschaden einstellen.
Volkswagens Amerika-Chef Michael Horn hatte sich die geplante Vorstellung der neuen Passat-Limousine in New York anders vorgestellt. Der Show-Event mit dem Rocksänger Lenny Kravitz sollte dem Wolfsburger Autobauer auf dem umkämpften US-Markt dringend benötigten Schub geben. Statt über die Ästhetik neuer Scheinwerfer und Räder zu philosophieren, erwarten Horn unerquicklicke Fragen zu einem Betrugs-Skandal, der für VW ans Eingemachte geht. Der Konzern muss sich auf Umsatzeinbußen, Geldstrafen, Sammelklagen, Untersuchungen des Justizministeriums und einen langfristigen Imageschaden einstellen.
Auch darum ging VW-Chef Martin Winterkorn am Sonntag in die Offensive, machte einen ungewöhnlichen Kotau und kündigte rückhaltlose Aufklärung an. „Ich persönlich bedauere zutiefst, dass wir das Vertrauen unserer Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht haben“, sagte der Chef des weltweit größten Automobilherstellers und versprach eine Untersuchung durch externe Prüfer.
Wie die staatliche US-Umweltbehörde EPA und ihr kalifornischer Ableger CARB zuvor erklärten, hat Volkswagen Amerika seit 2009 absichtlich Abschaltfunktionen in die Software der Diesel-Motoren von rund 430 000 Wagen eingebaut. Sie sorgen dafür, dass nur in Tests die Schadstoff-Auflagen eingehalten werden. Auf offener Straße liegen die Stichoxide bis zu 40 Mal über den Grenzwerten. Die EPA spricht von vorsätzlichem Betrug.
Wie aus Schreiben der Behörden an den Auto-Konzern hervorgeht, die dieser Zeitung vorliegen, hat VW die Manipulation bereits zugegeben. Kurzfassung des brisanten Inhalts: 2014 entdeckten Fachleute der Universität von West Virginia und des „International Council on Clean Transportation“, das Stickstoff-Werte im Test- und im Real-Betrieb von VW-Fahrzeugen sehr unterschiedlich ausfielen. Damit konfrontiert, verpflichtete sich VW im Dezember 2014 zur Problembeseitigung. Dazu sollen rund 500 000 Autos zur Nachrüstung zurückgerufen worden sein.
Bei Nachprüfungen von EPA und CARB im Mai 2015 kamen Zweifel auf - die Werte waren vielfach immer noch zu hoch. Kurz danach kam ans Tageslicht, dass VW die Nachjustierungen nur bei Zertifizierungstests aktiviert hatte; also im Werkstatt-Labor. Am 3. September, schreibt Annette Hebert, Chefin für die Abteilung für die Einhaltung von Abgasvorschriften der Umweltbehörde in Kalifornien, räumte Volkswagen dann schließlich alles ein: Auch die Fahrzeuge des Baujahres 2015 waren mit einem „Abschaltmechanismus konzipiert und hergestellt, um Teile des Abgas-Kontroll-Systems zu umgehen, zu überwinden oder wirkungslos zu machen“. Ein massiver Verstoß gegen US-Luftreinehaltegesetze.
Dass VW die beanstandete Diesel-Software manipulierte, können sich Auto-Experten wie Aaron Bragman vom Info-Portal cars.com in Detroit und Drew Kodjak vom „International Coucil on Clean Transportation“ nur so erklären: „Die manipulierten Autos brachten mehr Durchzugskraft und Beschleunigung.“
Für VW Amerika bedeutet die Betrugsaffäre möglicherweise einen wirtschaftlichen Totalschaden. Der Konzern hat seine US-Händler angewiesen, keine Diesel-Fahrzeuge mit 2-Liter-Maschinen des Baujahres 2015 mehr zu verkaufen. Zudem hat die EPA Volkswagen die Unbedenklichkeitsbescheinigung („certificate of conformity“) für Diesel-Autos des Baujahres 2016 verweigert. Das heißt: der neue Passat ist unverkäuflich, bis VW den Nachweis führt, dass die Abgas-Normen eingehalten werden.
Weitere Rückschläge: Der „Consumer Report“, die amerikanische Stiftung Warentest, hat die Kaufempfehlung für die Modelle Jetta und Passat zurückgezogen - solange, bis eine „Rückrufaktion dazu führt, dass die Motoren der Abgasnorm entsprechend nachgerüstet sind. Und die Anwaltskanzlei „Hagens Berman Sobol Shapiro LLP“ hat damit begonnen eine Sammelklage gegen VW anzustrengen. „Wir sind mit Anrufen erboster Kunden überschwemmt worden“, sagt Kanzlei-Chef Steve Berman. Tenor der Klage: die von VW zu verantwortende Manipulation sorgt beim Wiederverkauf für einen Wertverlust.
Umweltverbände wie die „Safe Climate Campaign“,schießen sich auf ein Kern-Argument ein: „VW ist der führende Konzern, wenn es darum geht, Amerikaner vom Kauf eines Diesel-Autos zu überreden, weil das angeblich besser für die Umwelt ist. Jetzt kommt heraus - sie haben nicht die Wahrheit gesagt.“ Auto-Experten rechnen damit, dass auch das Justizministerium aktiv wird. „Irgendwer bei VW muss entschieden haben, dass es unter ökonomischen Aspekten besser war zu betrügen, als die Abgas-Normen einzuhalten“, schreiben US-Medien, „das kann strafrechtlich relevant sein.“
Betroffen sind laut EPA Passat-, Golf-, Jetta-, Beetle- und Audi A3-Modelle aus den Produktionsjahren 2009 bis 2015. Sie müssen binnen eines Jahres gesetzeskonforme Abgaswerte aufweisen. Wie VW die technische Nachrüstung auf eigene Kosten bewerkstelligen will, ist unklar. Konzernchef Winterkorn stellte heraus, dass Volkswagen „alles daran setzen wird, Vertrauen wiederzugewinnen und den entstandenen Schaden wiedergutzumachen.“
Pro Auto kann die EPA ein Bußgeld von 37 500 Dollar verhängen. Macht theoretisch zusammen 18 Milliarden Dollar. Eine gigantische Summe, die VW den Hals brechen würde. Branchenkenner rechnen mit einer geringeren Strafe, erinnern aber daran, dass Honda und Ford, die schon vor 15 Jahren mit ähnlichen Abgas-Tricksereien aufgefallen waren, Strafen bis zu 267 Millionen Dollar zahlen mussten.
Für Volkswagen ist die Betrugsaffäre mehr als eine Beule. Bereits im August hatte VW in den USA 420 000 Autos, darunter Golf, Jetta und Passat, wegen möglicher Airbag-Probleme zurück in die Werkstätten gerufen. Dazu kommt die widrige Gesamtlage. Während der Automarkt in Amerika allgemein boomt, fährt Volkswagen hinterher. 2014 sank der Marktanteil bei rund 367 000 verkauften Fahrzeugen auf 2,2 Prozent. In den ersten achten Monaten dieses Jahres musste erneut ein Rückgang um fast drei Prozent verkraftet werden.
Der größte Autobauer der Welt stemmt sich der Flaute mit Groß-Investitionen entgegen. So sollen bis 2019 in den USA sieben Milliarden Euro investiert werden. Am Standort Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee wurde erst vor wenigen Wochen grünes Licht für eine Erweiterung des seit 2011 bestehenden Werkes gegeben, aus dem der Passat vom Band läuft. 900 Millionen Dollar lässt VW sich das kosten. Gemeinsam mit dem spanischen Zulieferer Gestamp soll ab 2016 das oft beklagte Manko eines fehlenden SUV-Modells in der Produktpalette ausgeglichen werden. Großräumige Limousinen mit Geländewagen-Charakter sind in den USA Verkaufsschlager.
Die Affäre um die Abgas-Trickserei gibt aber auch deshalb Rätsel auf, weil VW in Umweltdingen in den USA bislang Vorbild-Charakter besaß. Mehrfach wurde das Werk in Chattanooga für innovative Maßnahmen ausgezeichnet. Zuletzt, weil dort unter anderem Regen- und Sturmwasser aufgefangen wird, um Kühltürme und Toiletten zu bedienen. Bei der Preisverleihung 2014 - übrigens durch die Umweltbehörde EPA - wurde vor allem die Einrichtung von Feuchtgebieten auf dem Werksgelände gelobt, die den Fortbestand von zwei seltenen Vogelarten begünstigen: Rotkopfspecht und Roststärling.