München/Berlin. Flüchtlingskrise bringt München ans Limit. Knapp 13.000 Menschen kamen bis Sonntagmorgen. Olympiahalle wird Notlager. Politik streitet unterdessen.
Weitere 750 Flüchtlinge haben am frühen Sonntagmorgen den Hauptbahnhof München erreicht. Das teilte ein Sprecher der Bundespolizei am Sonntagmorgen mit. Prognosen zur erwarteten Zahl neu ankommender Menschen wollte die Bundespolizei nicht nennen. Ein rückläufiger Trend sei jedoch nicht zu erwarten, hieß es.
Angesichts der massenhafter Flüchtlingsankünfte in München suchen die Behörden nach neuen Lösungen. Zeltstädte und die Olympiahalle sollen als Notunterkünfte bereitgestellt werden. Erstmals seit Beginn der großen Flüchtlingswanderung vor einer Woche konnte die bayerische Landeshauptstadt am Samstag nicht mehr garantieren, dass alle Ankommenden sicher eine Notunterkunft bekommen.
Wegen der sich dramatisch zuspitzenden Lage kommt das bayerische Kabinett an diesem Sonntag zu einer Sondersitzung zusammen, um weitere Sofortmaßnahmen zu beschließen.
Die Bundeswehr half beim Einrichten der Notlager. Feldbetten seien kaum noch zu bekommen, hieß es. Gegen 20.30 Uhr hatten Helfer die Münchner über die sozialen Medien aufgerufen, Schlafsäcke und Isomatten zu bringen. "Wir haben weit mehr bekommen, als wir brauchen", sagte Lessig. "Wir werden den Aufruf aber noch nicht stoppen, weil wir nicht wissen, was morgen los ist."
Die Lage hatte sich bereits den ganzen Tag über abgezeichnet. "Sie sehen uns durchaus sehr besorgt vor sich", hatte der Regierungspräsident von Oberbayern, Christoph Hillenbrand am Abend bereits gesagt.
Mangelnde Unterstützung aus anderen Bundesländern
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte erneut die mangelnde Unterstützung aus anderen Bundesländern. Außer nach Nordrhein-Westfalen seien am Samstag lediglich acht Busse mit insgesamt 400 Menschen in andere Bundesländer gestartet. "Das ist einfach lächerlich", sagte Reiter. München übernehme gerade eine nationale Aufgabe. Die Situation sei seit Tagen absehbar gewesen. Dennoch habe sich nichts getan. Er sei "bitter enttäuscht, dass es nun auf ein Situation zuläuft, in der wir sagen müssen: Wir haben für ankommende Flüchtlinge keinen Platz mehr."
Er finde es seitens der anderen Bundesländer nach zehn Tagen "absolut dreist, zu sagen: wir sind am Anschlag". Wer so spreche, solle sich in München ansehen, was "am Anschlag" bedeute. Reiter und Hillenbrand wiederholten ihren Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die anderen Bundesländer, München und die Region nicht alleinzulassen. Jeder Zug, der in einer anderen Kommune ankomme, sei eine Entlastung für München.
Denn Tausende weitere Menschen sind auf dem Weg. Die Balkanroute sei voller denn je, hieß es.
De Maizière will "schnell wieder zu den geregelten Verfahren"
Angesichts des starken Andrangs wächst bei Bund, Ländern und Kommunen die Sorge für einer Überforderung. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mahnte, das Tempo des Zuzugs müsse verringert werden: "Wir müssen jetzt schnell wieder zu den geregelten Verfahren zurückkehren", sagte der CDU-Politiker dem Berliner "Tagesspiegel" (Sonntag).
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einer Situation, in der Deutschland an Grenzen stoße. "Die Geschwindigkeit ist fast noch problematischer als die Zahl", sagte der SPD-Chef bei einer Veranstaltung in Hildesheim.
Merkel verteidigt ihre Entscheidung vom vergangenen Wochenende
Merkel sprach von einer "unglaublichen Anstrengung". Bei einem CDU-Kongress in Berlin verteidigte sie ihre Entscheidung, Zehntausende Flüchtlinge unregistriert aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. Es sei eine Notlage gewesen, betonte sie. Merkel forderte erneut, dass sich alle EU-Staaten an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. "Dies ist nicht nur eine Verantwortung Deutschlands, sondern aller Mitgliedstaaten der EU."
Seit der Entscheidung der Bundesregierung waren bereits in der vergangenen Woche mehr als 50.000 Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Allein in München trafen 40.000 Migranten ein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte am Freitag erklärt, an diesem Wochenende könnten bis zu 40 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Drehkreuz in Lüneburger Heide geplant
Um München zu entlasten, soll in der Lüneburger Heide ein Drehkreuz für Flüchtlinge in Norddeutschland entstehen. Asylbewerber sollen direkt per Bahn von Österreich nach Bad Fallingbostel gebracht werden, dort in Busse umsteigen und auf die norddeutschen Länder verteilt werden, wie das niedersächsische Innenministerium mitteilte.
Die Innenminister der EU wollen am Montag bei einem Sondertreffen über eine faire Verteilung schutzbedürftiger Flüchtlinge beraten. Brüssel will erreichen, dass in den kommenden zwei Jahren weitere 120 000 Asylbewerber nach einem verbindlichen Schlüssel umgesiedelt werden. Damit sollen Ungarn, Griechenland und Italien entlastet werden. Vor allem osteuropäische Staaten wie Polen, Tschechien und die Slowakei stemmen sich aber gegen solche Quoten.
Orban sorgt einmal mehr für Empörung
Für internationale Empörung sorgte der rechtsnationale ungarische Regierungschef Viktor Orban. Er hatte in der "Bild"-Zeitung (Samstag) damit gedroht, Flüchtlinge abzuschieben. Sie sollten "dorthin, wo sie herkommen", sagte er.
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann verglich Orbans Vorgehen in der Flüchtlingskrise mit der NS-Rassenpolitik. "Menschenrechte nach Religionen zu unterteilen, ist unerträglich", sagte der Sozialdemokrat dem Magazin "Der Spiegel". "Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woandershin fahren, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents."
Ungarn erwägt, am Dienstag wegen des starken Zuzugs von Flüchtlingen den Krisenfall auszurufen. Außerdem soll die Grenze zu Serbien effizienter abgesperrt werden. Am selben Tag tritt ein neues Gesetz in Kraft, wonach illegaler Grenzübertritt in Ungarn als Straftat gilt. Bislang ist er nur eine Ordnungswidrigkeit. Österreich richtet sich darauf ein, dass die Flüchtlingen über andere Routen ins Land kommen, sollte Ungarn seinen Kurs der Abschottung weiter verschärfen.
In London demonstrierten Zehntausende für Solidarität mit Flüchtlingen und gegen die Asylpolitik der britischen Regierung. Den Protestmarsch durch die Innenstadt vor das Parlament hatten Bürgerrechtler organisiert. Ganz vorne in dem Demonstrationszug in Richtung Parlament gingen Flüchtlinge. (dpa)